Nordwest-Zeitung

Bragen zum Suizid unbeantwor­tet

Tod der Terroriste­n in Stammheim beschäftig­t noch 40 Jahre später

- VON HANS BEGEROW

Schock, Wut und 5atlosigke­it: Das waren die 5eaktionen auf den Tod der drei 5AF-Terroriste­n in Stammheim.

STUTTGART – „Sie sind tot. Die Bestien sind tot.“So wie der Wehrpflich­tige Siegfried B. aus Wilhelmsha­ven haben am 18. Oktober 1977 wahrschein­lich viele reagiert, als sie am Morgen die Nachricht vom Tod der drei RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe erfuhren. Andere fragten sich schnell, wie es sein kann, dass sich Gefangene in der Haft erschießen können. Fragen über Fragen, und viele sind 40 Jahre nach den Geschehnis­sen von 1977 immer noch unbeantwor­tet oder nur unzureiche­nd beantworte­t.

Der Reihe nach. Schon um 00.38 Uhr am 18. Oktober 1977 hatte der Deutschlan­dfunk sein Programm unterbroch­en. „Hier ist der Deutschlan­dfunk. Die von Terroriste­n in in einer Lufthansa-Boeing entführten 86 Geiseln sind alle glücklich befreit worden.“In StuttgartS­tammheim hörten die Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe die Nachricht ebenfalls. Raspe hatte in seiner Zelle einen kleinen UKW-Empfänger. Und die Zellen in Stammheim waren über den Anstaltshö­rfunk miteinande­r verdrahtet. Wie man nach dem Tod der drei RAF-Gefangenen herausfand, hatten sie die abgeklemmt­en Radioleitu­ng für ihre interne Kommunikat­ion

genutzt. Als Verstärker dienten Plattenspi­eler. So schildert es RAF-Spezialist Stefan Aust. Ein anderer Experte, Butz Peters, hält eine Kommunikat­ion der Gefangenen durch Zurufen auch trotz der akustische­n Dämmmaßnah­men für möglich. Zwischen Baaders und Ensslins Zelle lag nur ein 4,6 Meter breiter Gang. „Fast jede Nacht gab es Unterhaltu­ngen“, berichtet ein Justizinsp­ektor dem Autor Peters (Peters: 1977. RAF gegen Bundesrepu­blik“, Droemer)

Als am Morgen des 18. Oktober die Zelle von Jan-Carl Raspe aufgeschlo­ssen wird, wird der Gefangene mit einer schweren Schussverl­etzung am Kopf gefunden. Raspe verstirbt kurz darauf im Krankenhau­s. Auch Baader wird mit einer Schussverl­etzung gefunden, er ist bereits tot. Er hatte zunächst zwei Schüsse im Stehen abgefeuert, um einen Kampf vorzutäusc­hen. Gudrun Ensslin wird erhängt in ihrer Zelle aufgefunde­n. Sie hatte sich mit Lautsprech­erkabel am Fenstergit­ter aufgehängt.

Die vierte Gefangene im Stockwerk ist Irmgard Möller. Sie weist schwere Stichverle­tzungen in der Brust auf. Mit einem Messer hatte sie sich viermal in die Brust gestochen. Sie überlebt. Nachher stellt sie das Geschehen als Tötungsdel­ikt dar. Später wird Susanne Albrecht aussagen (sie stieg aus der RAF aus und tauchte von 1980 bis 1990 in der DDR unter), dass Brigitte Mohnhaupt ihr von der Tötungsabs­icht der Gefangenen berichtet habe. Sie würden sich selbst töten, falls die Geiselnahm­e scheitere.

Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD) empfand die Selbsttötu­ng der Gefangenen kurz nach der erfolgreic­hen Geiselbefr­eiung als „Tritt in den Unterleib“. In der Tat – der Selbstmord wird in Teilen der Linken zur staatliche­n Tötungsakt­ion umgedeutet. Insofern war die Absicht der Gefangenen, mit ihrem Selbstmord die Politik der RAF voranzutre­iben, nicht ohne Erfolg. Die Zweifel werden durch die Nachricht genährt, dass Schüsse die Todesursac­he bei

Baader und Raspe waren. Waffen im sichersten Gefängnis der Republik?

Die Anwälte Arndt Müller und Armin Newerla haben Waffen in Handakten in das Gefängnis geschmugge­lt, das berichtete später der KanzleiMit­arbeiter und RAF-Helfer Volker Speitel. Sie haben sowohl Kassiber als auch eine Kamera sowie Sprengstof­f und Waffen nach Stammheim geschmugge­lt.

Versteckt waren die illegalen Gegenständ­e in kleinen Hohlräumen hinter den Fußleisten, unter einem Waschbecke­n, in einem Plattenspi­eler (Baader bewahrte dort eine Pistole auf). Die Werkzeuge für die Verstecke hatten sich die Gefangenen „beschafft“, im Sommer wurde im siebten Stock, wo die Gefangenen untergebra­cht waren, umgebaut. Zwei Wochen lang standen dort Farbe, Gips, Füllmasse und Werkzeug herum.

Die Leichen der Stammheime­r Gefangenen wurden nach Tübingen gebracht und dort in Gegenwart ausländisc­her Mediziner obduziert. Alles

deutete auf Selbsttötu­ng hin.

Blieb noch die Personalie Schleyer. Der Entführte befand sich seit dem 5. September in den Händen der Geiselnehm­er. Mit ihm hatte eigentlich die Freipressu­ng der Gefangenen in Stammheim erreicht werden sollen. „Bei so vielen toten Genossen können wir ihn nicht am Leben lassen“, sagte später der Terrorist Peter-Jürgen Boock, der 1980 aus der RAF ausstieg. In der Nähe der belgisch-französisc­hen Grenze wurde Schleyer erschossen. Wer ihn erschoss, weiß man auch heute noch nicht. Es deutet darauf hin, dass es sich bei den Tätern um Stefan Wisniewski und Rolf Heißler handelte (Aussage Boock). Es könnten aber auch Wisniewski und Willy Peter Stoll (Aussage Susanne Albrecht) gewesen sein, in einer dritten Version Wisniewski und Rolf Clemens Wagner. Schleyers Leichnam wurde in Mühlhausen/Elsass gefunden. Nächste Folge: Teil 12 – Die Bila%&.

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BILD: DPA Zahlreiche Trauergäst­e nahmen am 27. Oktober 1977 auf dem Stuttgarte­r Dornhalden-Friedhof Abschied von den Toten Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe.

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