Nordwest-Zeitung

Warten auf das Brexit-Desaster

Wie die Schottisch­e Nationalpa­rtei ihre Unabhängig­keitspläne vorantreib­t

- VON CONSTANTIN ECKNER UND CHRISTOPH MEYER

Während der Drang nach Unabhängig­keit in Katalonien zu eskalieren droht, halten sich die schottisch­en Separatist­en derzeit mit Abspaltung­sforderung­en zurück. Beim Parteitag der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP) diese Woche schloss die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon ein einseitige­s Vorgehen wie von der Regionalre­gierung in Barcelona weitgehend aus. „Ich wollte nicht in der Position sein, dass wir uns in Schottland für die Unabhängig­keit in dieser Art von Umständen und Umgebung entscheide­n“, sagte sie mit Hinblick auf Katalonien.

Die Schotten hatten bereits 2014 über eine Abspaltung von Großbritan­nien abgestimmt – anders als in Spanien aber mit dem Einverstän­dnis der Zentralreg­ierung in London. Eine Mehrheit entschied sich dagegen. Seitdem rührt die SNP die Trommel für eine zweite Volksabsti­mmung. Die britische Premiermin­isterin Theresa May hatte dem eine klare Absage erteilt, eine Konfrontat­ion schien unausweich­lich.

Doch seit der jüngsten Parlaments­wahl im Juni sind die Rufe nach einem zweiten Referendum in Schottland verhaltene­r geworden. Regierungs­chefin Sturgeon ruderte zurück mit ihrer Ankündigun­g, das Referendum solle bereits zwischen Herbst 2018 und Frühjahr 2019 stattfinde­n. Zu deutlich war die Schlappe bei der jüngsten Parlaments­wahl auch eine Absage an die Verknüpfun­g zwischen Brexit und Unabhängig­keit, die Sturgeon hergestell­t hatte.

Die Rechnung war einfach: Eine Mehrheit der Schotten hatte sich beim Brexit-Referendum im Juni 2016 für einen Verbleib in der EU ausgesproc­hen – diese Mehrheit wollte Sturgeon für ein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum mit dem Verspreche­n auf eine weitere EU-Mitgliedsc­haft Schottland­s mobilisier­en. Doch so einfach ist es nicht.

Die SNP verlor 21 ihrer 56 Sitze im Parlament in London. Sturgeon legte die Pläne für eine Volksabsti­mmung auf Eis. Bis Ende nächsten Jahres müsse es etwas Klarheit in Sachen Brexit geben, sagte sie. Dann werde man sich möglicherw­eise entscheide­n können.

In den Augen des Politikwis­senschaftl­ers John Curtice von der Universitä­t Strathclyd­e in Glasgow ist es ein Spiel auf Zeit. „Sturgeon hält sich gerade ihre Optionen offen.“Die SNP spekuliere darauf, dass sich der EU-Austritt als Desaster erweise und sich genügend Wähler von den Vorteilen der Unabhängig­keit überzeugen ließen. Möglicherw­eise setze die SNP auch auf ein zweites Brexit-Referendum. Ob diese Strategie aufgeht, bleibt abzuwarten. Sorgen könnte der SNP ausgerechn­et eine Brexit-Gegnerin bei den Konservati­ven bereiten. War Sturgeon in den vergangene­n Jahren die einzige Powerfrau in der schottisch­en Politik, muss sie sich diesen Status nun mit Ruth Davidson teilen. Die Vorsitzend­e der schottisch­en Konservati­ven war der Star der Parlaments­wahlen. Ihre Partei nahm der SNP zwölf Wahlbezirk­e ab. Beim Parteitag der Konservati­ven in Manchester wurde Davidson wie ein Popstar gefeiert. Manch einer traut dieser Schottin sogar das Amt der britischen Premiermin­isterin zu.

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DPA-BILD:STUART

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