Warten auf das Brexit-Desaster
Wie die Schottische Nationalpartei ihre Unabhängigkeitspläne vorantreibt
Während der Drang nach Unabhängigkeit in Katalonien zu eskalieren droht, halten sich die schottischen Separatisten derzeit mit Abspaltungsforderungen zurück. Beim Parteitag der Schottischen Nationalpartei (SNP) diese Woche schloss die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon ein einseitiges Vorgehen wie von der Regionalregierung in Barcelona weitgehend aus. „Ich wollte nicht in der Position sein, dass wir uns in Schottland für die Unabhängigkeit in dieser Art von Umständen und Umgebung entscheiden“, sagte sie mit Hinblick auf Katalonien.
Die Schotten hatten bereits 2014 über eine Abspaltung von Großbritannien abgestimmt – anders als in Spanien aber mit dem Einverständnis der Zentralregierung in London. Eine Mehrheit entschied sich dagegen. Seitdem rührt die SNP die Trommel für eine zweite Volksabstimmung. Die britische Premierministerin Theresa May hatte dem eine klare Absage erteilt, eine Konfrontation schien unausweichlich.
Doch seit der jüngsten Parlamentswahl im Juni sind die Rufe nach einem zweiten Referendum in Schottland verhaltener geworden. Regierungschefin Sturgeon ruderte zurück mit ihrer Ankündigung, das Referendum solle bereits zwischen Herbst 2018 und Frühjahr 2019 stattfinden. Zu deutlich war die Schlappe bei der jüngsten Parlamentswahl auch eine Absage an die Verknüpfung zwischen Brexit und Unabhängigkeit, die Sturgeon hergestellt hatte.
Die Rechnung war einfach: Eine Mehrheit der Schotten hatte sich beim Brexit-Referendum im Juni 2016 für einen Verbleib in der EU ausgesprochen – diese Mehrheit wollte Sturgeon für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum mit dem Versprechen auf eine weitere EU-Mitgliedschaft Schottlands mobilisieren. Doch so einfach ist es nicht.
Die SNP verlor 21 ihrer 56 Sitze im Parlament in London. Sturgeon legte die Pläne für eine Volksabstimmung auf Eis. Bis Ende nächsten Jahres müsse es etwas Klarheit in Sachen Brexit geben, sagte sie. Dann werde man sich möglicherweise entscheiden können.
In den Augen des Politikwissenschaftlers John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow ist es ein Spiel auf Zeit. „Sturgeon hält sich gerade ihre Optionen offen.“Die SNP spekuliere darauf, dass sich der EU-Austritt als Desaster erweise und sich genügend Wähler von den Vorteilen der Unabhängigkeit überzeugen ließen. Möglicherweise setze die SNP auch auf ein zweites Brexit-Referendum. Ob diese Strategie aufgeht, bleibt abzuwarten. Sorgen könnte der SNP ausgerechnet eine Brexit-Gegnerin bei den Konservativen bereiten. War Sturgeon in den vergangenen Jahren die einzige Powerfrau in der schottischen Politik, muss sie sich diesen Status nun mit Ruth Davidson teilen. Die Vorsitzende der schottischen Konservativen war der Star der Parlamentswahlen. Ihre Partei nahm der SNP zwölf Wahlbezirke ab. Beim Parteitag der Konservativen in Manchester wurde Davidson wie ein Popstar gefeiert. Manch einer traut dieser Schottin sogar das Amt der britischen Premierministerin zu.