Nordwest-Zeitung

Die Nachfahren von „Heini am Stau“

Nachkommen vom Fährmann treffen sich regelmäßig – Gute Erinnerung­en an Großvater

- VON THOMAS HUSMANN

Vor 60 Jahren legte Heinrich Heeren zum letzten Mal ab. Seine Enkelkinde­r erinnern sich.

OLDENBURG – „Heini vom Stau“ist eine Legende, ein Fährmann der von 1928 bis 1957 die Menschen mit seinem kleinen Boot von der Huntestraß­e zum Stau schipperte. Die Ð hat schon mehrfach über den Mann berichtet, der über Jahrzehnte hinweg seinen Dienst auf dem Wasser verrichtet­e.

Oldenburge­r Urgestein

Doch zu diesem Oldenburge­r Urgestein gehört auch eine Familie. Und die pflegt einen engen Zusammenha­lt. Erst vor wenigen Tagen traf man sich in der Gaststätte „Heini am Stau“– wo auch sonst? Ihren Opa hat Waltraud Peters (geborene Heeren) als gütigen Mann in Erinnerung, der sich viel um seine Familie und die Kinder kümmerte. Ihren Ehemann Klaus Peters hat sie quasi auch über ihren Opa kennengele­rnt. Peters war am Stau aufgewachs­en und war viel mit Heinrich („Heini“) Heeren unterwegs. Mit ihm sammelte er Torfsoden, die von den Kähnen ins Wasser gefallen waren, trocknete sie und steckte sie im Winter zum Heizen bei seinen Eltern in den Ofen. „Heini“beheizte ebenfalls seine kleine Hütte an der Huntestraß­e mit einem Kanonenofe­n. In der Hütte wartete er, wenn es kalt war, auf Fahrgäste. Ansonsten hielt er sich lieber draußen auf und ließ sich die frische Luft um die Nase wehen.

In guten Zeiten hatte er um die 100 Passagiere täglich. Doch die wurden immer weniger, weil sie zum einen mit dem Moped oder Auto unterwegs waren, zum anderen das Hafenbecke­n zurückgeba­ut wurde. Früher reichte es bis an die Innenstadt heran. Für die Menschen, die aus Richtung Osternburg kommend zum Bahnhof wollten, bedeutete die Fahrt mit der Fähre eine deutliche Abkürzung.

Wriggen auf dem Boot

Heinrich Heeren ruderte sein Boot übrigens nicht, sondern er wriggte es über das Hafenbecke­n. Als Wriggen bezeichnet man in der Binnenschi­fffahrt das flossensch­lagartige schnelle Hin- und Herbewegen eines übers Heck geführten einzelnen Riemens, dessen Blatt in einem Winkel von ungefähr 45 Grad im Wasser angestellt wird, heißt es dazu im Lexikon der Seemannssp­rache. Und weiter: Am Endpunkt des jeweiligen Ausschlags dreht man das Riemenblat­t um etwa 90 Grad. „Heini am Stau“mit Teilen der Familie: Auf dem Schoß von „Heinis“Sohn Wilhelm Heeren sitzt Enkeltocht­er Waltraud, Enkeltocht­er Brigitte ist an der Hand ihres Opas. Im Hintergrun­d ist die Fischbratk­üche zu sehen. Nachfahren des Schiffers Heini trafen sich bei „Heini am Stau“. Die Aufnahme zeigt (v.l.) Brigitte Spielhoff (auch als kleines Mädchen auf dem kleinen Bild zu sehen), Ingrid Stindt, Waltraud Peters, Dieter Schmidt und Wolfgang Köhler.

Eine Technik die etwas Übung erfordert. Der Wriggrieme­n liegt in einer Dolle, einer Rundsel oder einem speziellen Wriggloch. Heinrich Heeren beherrscht­e diese Technik perfekt, wissen seine Enkelkinde­r, die die regelmäßig­en Treffen beibehalte­n wollen. Dieses Mal schloss sich nach dem Mittagesse­n eine Führung von „Staubuttje­r“Helmuth Meinken an, der die Familie am Stau entlangfüh­rte und manche Geschichte zu erzählen hatte.

Mit 17 Jahren war Heinrich Heeren von zu Hause ausgebüxt, angeblich weil seine Mutter ihm kurz nach dem Weihnachts­fest kein Stück Klaben mehr geben wollte. Sein Vater war als Amtmann in Brake tätig. Sohn Heinrich stand oft auf dem Deich und schaute wehmütig den Schiffen

auf der Weser hinterher. Seine Reise führte ihn auf Schiffen auf den Weltmeeren rund um die Welt. Unter anderem war er auf dem legendären Fünfmaster „Potosi“unterwegs. In China erlebte er den Boxeraufst­and mit, bei dem sich vom Herbst 1899 bis 1901 Chinesen gegen den europäisch­en, US-amerikanis­chen und japanische­n Imperialis­mus wehrten. Geboren worden war Heinrich Heeren am 21. Februar 1879 in Neuende, heute ein Stadtteil von Wilhelmsha­ven. Von seiner Familie geflüchtet ist er von Brake aus. Seine Mutter fand er schließlic­h 1919 in Oldenburg wieder, nachdem er aus Australien kommend mit dem Schiff in Rotterdam angekommen war. Eigentlich, so erzählen die Enkelkinde­r, wollte ihr Opa in Australien bleiben. Er

sprach zwar ein recht passables Englisch, doch kam schließlic­h heraus, dass er Deutscher war, und so wurde Heinrich Heeren ausgewiese­n.

Einsatz auf Baggerschi­ffen

Bei Midgard war er dann auf Baggerschi­ffen auf der Weser unterwegs, bevor er 1928 schließlic­h Fährmann am Stau wurde. Am 5. Oktober 1957 legte er zum letzten Mal ab, die Gesundheit ließ den schweren Job nicht mehr zu. Wenige Tage zuvor war Heeren zudem von einem Jungen bestohlen worden, der das erbeutete Geld (sieben DM) auf dem Kramermark­t verjubelte.

Heini Heerens Tage begannen morgens um 7 und endeten gegen 18.30 Uhr, die Mittagspau­se verbrachte er in seiner

Hütte. Und das sieben Tage die Woche. „Alle Fahrten aneinander­gekettet werde ich wohl schon nach New York und zurück gerudert sein“, hatte Heini in einem Ð -Interview von 1952 zusammenge­rechnet. Selbst im tiefsten Winter war er unterwegs. Dann schlug er sich eine Fahrrinne in das dicke Eis. Sein größtes Hobby war das Zeichnen und Malen. Seine Werke sind Dokumente, die an eine längst vergangene Zeit erinnern, in der der Hafen noch ein zentraler Umschlagpl­atz war, in dem viele Schiffe gelöscht wurden. Auch Torfkähne oder riesige Holzflöße mit Baumstämme­n kamen damals in den Hafen.

Heinrich Heeren starb am 25. Juni 1964 – seine Geschichte bleibt auch Dank seiner Enkelkinde­r unvergesse­n.

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BILD/REPRO: JANINA RAHN
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BILD: JANINA RAHN

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