Warum den Deutschen der große Trommler fehlt
Bünter Grass wäre 90 Jahre alt geworden – Neue 24-bändige Werkausgabe erscheint ab 2018
LÜBECK/GÖTTINGEN – Wegen seiner politischen Einmischungen ist Günter Grass, der am 16. Oktober 90 geworden wäre, oft geschmäht worden. Doch der laue Bundestagswahlkampf, das Verhalten von US-Präsident Donald Trump oder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un lassen die oft bissigen Kommentare des 2015 gestorbenen Nobelpreisträgers vermissen.
In der deutschen Intellektuellen-Szene jedenfalls hat bisher niemand den Platz des großen Trommlers ausgefüllt, es dominiert eher der Klang der Stille. „Es gab so wenig Humorvolles, Niveauvolles“, sagt der frühere Grass-Lektor und langjährige Freund, der Lübecker Literaturwissenschaftler Dieter Stolz, über den Wahlkampf. Es fehle jemand, „der auch mal Tacheles redet“.
Verleger Gerhard Steidl, der lange mit Grass dessen Bücher gestaltete, sieht es ähnlich: „Ich kann hier nur spekulieren, aber die Tatsache, dass eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einzieht, hätte ihn empört, aber vielleicht auch nicht überrascht. Er hätte sich wohl über das Schweigen vieler Intellektueller gewundert und sich vernehmlich eingemischt, da bin ich mir sicher.“
Für Literaturfreunde spannender als vermisste politische Aperçus dürfte die Arbeit am literarischen Nachlass sein. Laut Stolz gibt es „noch unendlich viel zu entdecken“– etwa unveröffentlichte Gedichte und Prosa aus den frühen 1950er Jahren. „Allerdings gibt es, soweit ich weiß, keinen Roman, der in den Archiven schlummert.“Bei Siegfried Lenz (1926–2014) hatte sich als Riesenüberraschung im Nachlass der fertige, aber unveröffentlichte Roman „Der Lberläufer“gefunden, der 2016 posthum erschien.
Den Lberblick über den Grass-Nachlass zu behalten, ist nicht einfach. Ein heikles Thema bleiben auch die Grass-Tagebücher. Laut Steidl hat der Schriftsteller immer Tagebuch geführt. Doch die Tagebücher bleiben gesperrt, so will es die Günter-und-UteGrass-Stiftung.
Eine neue 24-bändige Gesamtausgabe wird von 2018 an erscheinen. Sie löst dann die 12-bändige „Göttinger Ausgabe“von 2007 ab.