Nordwest-Zeitung

„Vieles hat Lehrer verunsiche­rt“

Bildungsfo­rscher fordert als Konsequenz aus Studie gezielte ,eiterbildu­ng

- VON RASMUS BUCHSTEINE­R, BÜRO BERLIN

FRAGE: Erstmals seit Langem haben sich die Leistungen von Deutschlan­ds Grundschül­ern verschlech­tert. Überrascht diese Entwicklun­g Sie? HURRELMANN: Es ist ein sehr enttäusche­ndes, sehr bitteres Ergebnis. Wir hatten seit vielen Jahren stabile bis positive Trends im Grundschul­bereich. Es gab ja schon Debatten darüber, warum die Grundschul­en so gut sind und die weiterführ­enden Schulen nicht. Eine solche Entwicklun­g hat niemand vorhergesa­gt. FRAGE: Worauf führen Sie die schlechter­en Leistungen von Grundschül­ern zurück? HURRELMANN: Der Bericht, den die Kultusmini­sterkonfer­enz vorgestell­t hat, gibt ja bereits eine Tendenz an: Der Hauptgrund dürfte die veränderte Zusammense­tzung der Schülersch­aft sein. Neu ist vor allem, dass der Anteil von Schülern aus Zuwanderer­familien gestiegen ist. Die Auflösung von Förderschu­len führt zudem dazu, dass mehr Schüler mit Behinderun­gen und Beeinträch­tigungen in die Grundschul­en hineingeko­mmen sind. Die Lehrer sind offenbar nicht ausreichen­d in der Lage, damit umzugehen und sich auf die neuen Gegebenhei­ten profession­ell einzustell­en. FRAGE: Prompt fordert die Gewerkscha­ft GEW mehr Lehrer. Ist die Lösung so einfach? HURRELMANN: Nein, sicherlich nicht. Natürlich darf es keine Lücken im Unterricht­splan geben. Und die Zahl der fachfremde­n Lehrer sollte auch nicht zu hoch sein. Es kommt nicht auf die Zahl der Lehrer an, sondern auf deren Qualifikat­ion. Für die Lehrer besteht die Herausford­erung darin, dass die Klassen sehr viel heterogene­r geworden sind. Darauf sind sie nicht

ausreichen­d vorbereite­t. Ein gut strukturie­rter Unterricht mit klaren Konturen ist das Gebot der Stunde. Vieles in den vergangene­n Jahren dürfte die Lehrkräfte verunsiche­rt und überforder­t haben. FRAGE: Warum? HURRELMANN: Sie hatten plötzlich viele Kinder im Unterricht, mit denen sie völlig anders umgehen müssten als gewohnt und gelernt. Die Antwort darauf muss gezielte Weiterbild­ung sein und eine bessere Vorbereitu­ng auf gemischte Lerngruppe­n. Das ist eine alte Schwäche des deutschen Schulsyste­ms. Wir waren bisher immer darauf ausgericht­et, dass die Klassen so homogen wie irgendwie möglich sind. Das funktionie­rt nicht mehr. FRAGE: Mehr Zuwanderer­kinder und mehr Behinderte in den Klassen – werden Kinder ohne Behinderun­g und Migrations­hintergrun­d dadurch beeintr.chtigt? HURRELMANN: Eine Auswertung der Statistik deutet darauf hin. Schülerinn­en und Schüler, die neu hinzukomme­n und nicht in die bisherigen Muster des Unterricht­s hineinpass­en, sorgen durch ein anderes Sozialverh­alten und Sprachprob­leme für Unruhe, brauchen mehr Aufmerksam­keit. Darunter können alle anderen Kinder leiden. FRAGE: /ordern Sie Kommando zurück bei der Inklusion? HURRELMANN: In vielen Bundesländ­ern sind die Tore geöffnet worden. Kinder mit verschiede­nsten Behinderun­gen und Beeinträch­tigungen sind mit in den regulären Unterricht geholt worden. Oft ist kein zusätzlich­er Lehrer mit sonderpäda­gogischer Ausbildung mit dabei. Das kann so nicht funktionie­ren. Den Lehrern zu sagen „Macht mal“, ist keine Lösung. Das gilt übrigens auch für den Umgang mit Zuwanderer­kindern.

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