„Vieles hat Lehrer verunsichert“
Bildungsforscher fordert als Konsequenz aus Studie gezielte ,eiterbildung
FRAGE: Erstmals seit Langem haben sich die Leistungen von Deutschlands Grundschülern verschlechtert. Überrascht diese Entwicklung Sie? HURRELMANN: Es ist ein sehr enttäuschendes, sehr bitteres Ergebnis. Wir hatten seit vielen Jahren stabile bis positive Trends im Grundschulbereich. Es gab ja schon Debatten darüber, warum die Grundschulen so gut sind und die weiterführenden Schulen nicht. Eine solche Entwicklung hat niemand vorhergesagt. FRAGE: Worauf führen Sie die schlechteren Leistungen von Grundschülern zurück? HURRELMANN: Der Bericht, den die Kultusministerkonferenz vorgestellt hat, gibt ja bereits eine Tendenz an: Der Hauptgrund dürfte die veränderte Zusammensetzung der Schülerschaft sein. Neu ist vor allem, dass der Anteil von Schülern aus Zuwandererfamilien gestiegen ist. Die Auflösung von Förderschulen führt zudem dazu, dass mehr Schüler mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in die Grundschulen hineingekommen sind. Die Lehrer sind offenbar nicht ausreichend in der Lage, damit umzugehen und sich auf die neuen Gegebenheiten professionell einzustellen. FRAGE: Prompt fordert die Gewerkschaft GEW mehr Lehrer. Ist die Lösung so einfach? HURRELMANN: Nein, sicherlich nicht. Natürlich darf es keine Lücken im Unterrichtsplan geben. Und die Zahl der fachfremden Lehrer sollte auch nicht zu hoch sein. Es kommt nicht auf die Zahl der Lehrer an, sondern auf deren Qualifikation. Für die Lehrer besteht die Herausforderung darin, dass die Klassen sehr viel heterogener geworden sind. Darauf sind sie nicht
ausreichend vorbereitet. Ein gut strukturierter Unterricht mit klaren Konturen ist das Gebot der Stunde. Vieles in den vergangenen Jahren dürfte die Lehrkräfte verunsichert und überfordert haben. FRAGE: Warum? HURRELMANN: Sie hatten plötzlich viele Kinder im Unterricht, mit denen sie völlig anders umgehen müssten als gewohnt und gelernt. Die Antwort darauf muss gezielte Weiterbildung sein und eine bessere Vorbereitung auf gemischte Lerngruppen. Das ist eine alte Schwäche des deutschen Schulsystems. Wir waren bisher immer darauf ausgerichtet, dass die Klassen so homogen wie irgendwie möglich sind. Das funktioniert nicht mehr. FRAGE: Mehr Zuwandererkinder und mehr Behinderte in den Klassen – werden Kinder ohne Behinderung und Migrationshintergrund dadurch beeintr.chtigt? HURRELMANN: Eine Auswertung der Statistik deutet darauf hin. Schülerinnen und Schüler, die neu hinzukommen und nicht in die bisherigen Muster des Unterrichts hineinpassen, sorgen durch ein anderes Sozialverhalten und Sprachprobleme für Unruhe, brauchen mehr Aufmerksamkeit. Darunter können alle anderen Kinder leiden. FRAGE: /ordern Sie Kommando zurück bei der Inklusion? HURRELMANN: In vielen Bundesländern sind die Tore geöffnet worden. Kinder mit verschiedensten Behinderungen und Beeinträchtigungen sind mit in den regulären Unterricht geholt worden. Oft ist kein zusätzlicher Lehrer mit sonderpädagogischer Ausbildung mit dabei. Das kann so nicht funktionieren. Den Lehrern zu sagen „Macht mal“, ist keine Lösung. Das gilt übrigens auch für den Umgang mit Zuwandererkindern.