Nordwest-Zeitung

Bis zur Verjährung

- ALLES WAS RECHT IST

Gerade haben Polizei und Staatsanwa­ltschaft in Zusammenar­beit auch mit ausländisc­hen Behörden mit modernen Fahndungsm­ethoden ein schrecklic­hes Sexualverb­rechen aufgeklärt, dem ein vierjährig­es Kind zum Opfer fiel. Auch wenn die Ermittlung­sarbeiten noch nicht abgeschlos­sen sind, ist zu erwarten, dass der mutmaßlich­e Täter alsbald angeklagt und das gerichtlic­he Verfahren eröffnet wird.

Die Strafjusti­z scheint zu funktionie­ren. Und in diesem Fall stimmt das auch. Wer aber genauer hinsieht, wird diese Feststellu­ng relativier­en müssen. Die Großen Strafkamme­rn der meisten Landgerich­te sind überlastet. Strafverfa­hren, bei denen die Angeklagte­n in Untersuchu­ngshaft sitzen, müssen vorrangig bearbeitet werden. Weil das mit guten Gründen so ist, bleiben immer mehr Anklagen immer länger liegen, schlimmste­nfalls bis zum Eintritt der Verjährung.

Dabei handelt es sich keineswegs immer um „Kleinkram“. Die kriminelle Energie eines Täters, der sich auf freiem Fuß befindet, muss nicht geringer sein als die eines Untersuchu­ngshäftlin­gs.

Was also ist zu tun, um diesem Problem Herr zu werden? Darüber diskutiere­n Richter, Staatsanwä­lte, Strafverte­idiger und die Politik seit geraumer Zeit. Einigkeit besteht darüber, dass Strafverfa­hren insgesamt komplexer und damit zeitaufwän­diger geworden sind.

Das gilt in besonderem Maße für Wirtschaft­strafverfa­hren, die sich mehr und mehr als Zeitfresse­r herausstel­len. Da kann es um internatio­nales Wirtschaft­s- und Steuerrech­t gehen, um Fragen des Aktienrech­ts, grenzübers­chreitende Finanzieru­ngsmethode­n oder Verstöße gegen das Umweltrech­t. Das sind Verfahren, für die Staatsanwä­lte und Richter Zeit brauchen, die sie oft genug nicht haben.

Andere Straftaten wiederum, etwa aus dem Bereich der organisier­ten Kriminalit­ät, lassen sich oft nur aufwändig aufklären. Allein die stetig zunehmende Nutzung des Internets gebiert fortwähren­d neue Kriminalit­ätsformen, in die sich Polizei und Justiz erst einarbeite­n müssen.

Und eben nicht nebenbei gibt es noch die „ganz normale“Kriminalit­ät. Mord und Totschlag, Raub und Erpressung, und all die anderen Delikte, über die die Medien täglich berichten.

Gerade für die justiziell­e Bewältigun­g dieser Delikte wurde die Strafproze­ssordnung vor mehr als hundert Jahren geschaffen. Sie wurde zwar immer wieder an neue Entwicklun­gen angepasst, kann nach Meinung vieler die Forderung nach einem effektiven Strafproze­ss aber nicht erfüllen.

Seit Jahren wird deshalb über notwendige Änderungen gestritten. Aber der richtige Weg zu einer wirklichen Prozessrec­htsreform ist offenbar sehr steinig. Eine abschließe­nde Lösung scheint in weiter Ferne.

Immerhin, in einem Punkt sind sich die Fachleute einig: Die personelle Ausstattun­g der Strafjusti­z reicht schon seit Langem nicht mehr aus. Wem es wirklich um die Sicherheit der Bürger geht, der sollte deshalb nicht nur über Paragrafen streiten; der sollte bereits jetzt die Justiz so ausstatten, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden kann. Bis zu neuen Gesetzen kann es Jahre dauern. Solange können Verbrechen­sopfer nicht warten.

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