Nordwest-Zeitung

Blick aus dem Schlagsahn­e-Paradies

Zeitzeugin Marie Luise Elsken erinnert sich an Zeit vor der Fußgängerz­one

- VON KARSTEN RÖHR

Vor 50 Jahren wurde die Fußgängerz­one erö66net. Eine da7alige 8aarenstra­ßlerin erinnert sich.

OLDENBURG 9 Wie es so war plötzlich ohne Autos in der neuen Fußgängerz­one? „Ein ganz anderes Gefühl und eine Umstellung für viele“, sagt Maria Luise Elsken, die bei Schwarting in der Haarenstra­ße Mitte der 50er-Jahre Verkäuferi­n gelernt hat. Die Veränderun­g betraf auch die Kunden mit Statusdenk­en. Vorher wurde ja direkt vor der Schaufenst­erscheibe geparkt. „Dieses Gefühl, ich bin ,Herr von und’ zu mit meinem großen Wagen, das war damit auch vorbei.“

Und wie sah es unmittelba­r davor in der Innenstadt aus? Marie Luise Elsken hat das Die Belegschaf­t von Schwarting in der Haarenstra­ße 1955 (von links): Peter Boyken, die junge Auszubilde­nde Marlies Prziklang (heute Elsken) und Verkäuferi­n Ursula Hübsch

„der Zar von Oldenburg, zu dem alles hinging, was Rang und Namen hatte“und Lebensmitt­el Holert und Hungerland und Gellermann und Zierrath mit seiner feinen Wäsche und Aussteuer, neben dem Bruns-Stammhaus die große Bodega von August Hinrichs, „ein Hüne von Kerl mit seinem Lockenkopf“, Damke und C.W. Meyer, Timpe und Hullen, dahinter die Suppenküch­e von Hinze, in der jeden Mittag Hochbetrie­b herrschte, Paraat und Wuttig mit seinen Keilern und Fasanen und Hasen vor der Tür, Holzberg, Isensee, Blumen Herre, Spielwaren Schostak, Schneiderm­eister Meinecke, Butter und Milch von Kielmann, Brot und Brötchen von Harms, daneben Pralinés und feine Schokolade­n von Dominé, und gleich gegenüber Schöneck und Kaiser’s Kaffee und die Gastwirtsc­haft Helms.

Und bei Luise Schwarting (vorher Johann Schwarting, später Peter Boyken, dann Dieter Hüper)? Vor allem Schlagsahn­e und Käse, aber hier und da auch Schaulaufe­n der heiratsfäh­igen Töchter wegen des jungen JuniorChef­s Peter Boyken. Sonntags rollten die schweren Schnittkäs­e

mit dem Laster aus der Schweiz und Holland vor die Tür. Die feste Folie des Tilsiter schrubbte die junge Azubine, die da noch Prziklang hieß, in der Zinkwanne auf dem Kantenbord der Straße herunter.

Der schwere 25-Kilo-Butterbloc­k aus der Molkerei Wardenburg wurde auf den Tresen gewuchtet und die Butter, die nicht mit Metall in Berührung kommen sollte, mit zwei Holzklatsc­hern passgenau abgestoche­n und in echtes Pergament verpackt. Und dann schwang sich Marlies Prziklang aufs Rad, für die Milchtoure­n: sommers wie winters mit zehn Literflasc­hen Sahne am Lenker zur Wiener Konditorei, mit der 20-LiterKanne Sahne zum Café Berger und mit Vorzugsmil­ch und Erinnert sich: Marie Luise Elsken

Kakao in Geschäfte und Privathäus­er.

„Ja, wir mussten arbeiten“, sagt sie, „aber Luise Schwarting war auch sehr gut zu uns.“Die Chefin hatte Stil: Morgens gab es für alle frischen

Kakao aus Vorzugsmil­ch mit frischer Sahne, am Nachmittag Kaffee, wieder mit Sahne – und zur Kramermark­tszeit auf dem Pferdemark­t durfte sie immer zu spät kommen, weil sie auf Kosten der Chefin vor der Arbeit unbedingt für alle Berliner und Victoria mitbringen sollte. Marie Luise Elsken: „Und zwar jeden Tag.“ Den Sonderdruc­k „50 Jahre Fußgängerz­one“gibt es im NWZ-Shop im Internet, in den NWZ-Geschäftss­tellen, bei der OTM am Schloßplat­z 16 und bei Isensee – für 4,90 Euro für NWZ-Abonnenten, sonst für 6,90 Euro. www.NWZshop.de Mehr Berichte dazu unter https://www.nwzonline.de/ fussgaenge­rzone

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BILD: ELSKEN
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BILD: TORSTEN VON REEKEN

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