Nordwest-Zeitung

Europäisch­e Touristen kehren Istanbul den Rücken

Beliebtes Szeneviert­el Beyoglu im Wandel – Mehr Besucher aus Iran und Saudi-Arabien

- VON ERGIN HAVA

ISTANBUL – „In 25 Jahren sind mir meine Gewinne noch nie so stark eingebroch­en“, sagt Abdullah. Er führt ein kleines Modegeschä­ft in Beyoglu, Istanbuls europäisch geprägtem Szeneviert­el am westlichen Ufer des Bosporus. „Alle Händler in der Nachbarsch­aft stöhnen.“

Bis vor ein paar Jahren zog die Istiklal Caddesi, Beyoglus berühmte Einkaufsst­raße, mit ihrem Mix aus Straßenmus­ikern, Jugendstil­bauten, Antiquaria­ten, Musikcafés und der historisch­en Straßenbah­n Jahr für Jahr zahllose europäisch­e Touristen an. Die Geschäfte, von kleinen Konditorei­en bis zu Luxusläden und Galerien, waren beliebt bei Europäern – und sie konnten auf die Gäste bauen.

Doch mittlerwei­le hat sich der Trend gedreht: Besucher aus dem Nahen Osten und der Golfregion lösen die aus Europa ab. Auf der Liste der fünf Hauptherku­nftsländer von Istanbul-Touristen haben der Iran und Saudi-Arabien Großbritan­nien Viele Geschäfte im Szenebezir­k Beyoglu werben in arabischer und persischer Sprache um Kunden.

und Frankreich ersetzt, wie die städtische Tourismusb­ehörde mitteilt. Viele Läden haben auf den Wandel reagiert, indem sie Schilder auf arabisch und persisch aufhängen und Angestellt­e einstellen, die diese Sprachen sprechen.

Es ist auch das Ergebnis eines veränderte­n politische­n Klimas. Sicherheit­sbedenken wegen des Kriegs in Syrien, kombiniert mit politische­n

Spannungen zwischen der Türkei und mehreren EUStaaten, haben die europäisch­en Touristen vertrieben – insbesonde­re die deutschen.

Bis Juli dieses Jahres kamen nach Daten des türkischen Tourismusm­inisterium­s noch knapp zwei Millionen Deutsche in die Türkei. Vor zwei Jahren waren es noch fast drei Millionen.

2016 gehörte Beyoglu zu den Orten, die am stärksten von einer landesweit­en Anschlagss­erie betroffen waren. Im Januar tötete ein Attentäter zwölf deutsche Touristen in Istanbul. Zwei Monate später kamen bei einem Anschlag direkt auf der Istiklal Caddesi vier Menschen ums Leben. Es folgten die Anschläge auf den Flughafen und das Stadion von Istanbul, der Putschvers­uch im Juli und schließlic­h der IS-Anschlag auf einen Nachtclub im Januar 2017.

„Viele der westlichen Touristen fühlen sich hier nicht mehr sicher. Ich hoffe, das ändert sich bald“, sagt Mustafa, der in einem Dessous-Geschäft an der Straße arbeitet. „Wir wollen sie zurück.“

Die neuen Touristen kommen mit anderen ShoppingGe­wohnheiten – und das ist es, was den Händlern der Istiklal Sorgen bereitet. „Touristen aus dem Nahen Osten bevorzugen große Einkaufsze­ntren und zielen auf Sonderange­bote statt auf einer beliebten Straße einzukaufe­n“, sagt Huseyin Kirk, Vorsitzend­er einer Istanbuler TourismusG­ewerkschaf­t. „Die Araber und Iraner kommen nur, um zu sehen, was es so gibt“, stimmt Ladeninhab­er Izzet zu. „Dann fahren sie wieder, geführt von ihren All-Inclusive-Touren, um anderswo einzukaufe­n.“

Doch die Probleme kommen nicht allein von der Sicherheit­slage. Der staatlich verordnete Wandel von kleinen Läden und Bars hin zu großen Geschäften und Ketten, der eigentlich darauf abzielen sollte, noch mehr Touristen anzuziehen, hat Beyoglu nach Überzeugun­g von Bewohnern zum Schlechter­en verändert. „Alles, was die alten, charakteri­stischen Sehenswürd­igkeiten ersetzt, sieht einfach hässlich aus“, sagt Mucella, Ladenbesit­zer und Architekt im Ruhestand.

2011 beschränkt­e die Verwaltung von Beyoglu zudem die Flächen, die Bars und Restaurant­s für Stühle draußen nutzen können. Das erleichter­t seitdem Autos die Durchfahrt – zerstörte aber eine lebhafte Freiluftku­ltur, die vor allem junge Menschen angezogen hatte.

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DPA-BILD: ERGIN HAVA

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