Koalitionskarussell nimmt Fahrt auf
Niedersachsens Parteien bereiten sich auf schwierige Gespräche vor – SPD umwirbt sich sträubende FDP
Die Wirtschaft fordert die Liberalen zum Regierunseintritt auf. Erste Treffen stehen fest.
HANNOVER – Das Koalitionskarussell zur Bildung einer neuen Landesregierung in Niedersachsen nimmt Fahrt auf. Infrage kommen eine Große Koalition, Jamaika oder Ampel. Die Parteien haben erste Gespräche vereinbart.
Die wiedergewählte SPDFraktionschefin Johanne Modder (Bunde) hat am Dienstagnachmittag einmal mehr ihr Unverständnis über die Haltung der FDP zum Ausdruck gebracht. „Unser Gesprächsangebot steht“, sagte sie in Richtung der FDP, die sich bislang weigert, in eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen einzusteigen. „Wir hoffen, dass noch Bewegung in die Sache kommt“, betonte die bei sechs Enthaltungen und zwei Gegenstimmen im Amt bestätigte Fraktionschefin. SPD und Grüne treffen sich zu einer ersten Sondierungsrunde am kommenden Dienstag.
Grünen-Fraktionschefin Anja Piel bekräftigte erneut, dass die Ökopartei für eine Ampel zur Verfügung steht. Sie hoffe, dass die FDP noch „weich“werde, sagte Piel. Die SPD scheint bereit, den Liberalen zwei Schlüsselressorts anzubieten, darunter das Kultusministerium. FDP-Chef Stefan Birkner hält dagegen: „Ein Nein bleibt ein Nein.“
Die SPD-Parteispitze will ihren genauen Fahrplan für die nächsten Wochen bei einem Treffen am Freitag in Hannover abstimmen. Festgelegt werden Terminpläne und Reihenfolge der Gespräche mit anderen Parteien.
Unterdessen wächst der Druck auf die FDP, eine Ampel-Koalition einzugehen. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Nordmetall, Volker Schmidt, sagte der Ð: „Es wird jetzt ein komplett neues Buch geschrieben, da sollten sich die Liberalen als möglicher MitAutor nicht von vornherein verweigern.“
Die CDU schließt eine Große Koalition nicht aus. CDUChef Bernd Althusmann zeigte sich jedenfalls „offen für alle denkbaren Gespräche“. Ebenso wie SPD-Fraktionschefin Modder schloss er aber Verhandlungen mit der AfD aus. Die CDU habe bereits Kontakt zu den anderen Parteien aufgenommen. „Und ich habe gehört, dass der Ministerpräsident sich schon nach meiner Handynummer erkundigt hat“, sagte Althusmann, der sich am Dienstagnachmittag zur Wahl als CDUFraktionschef stellte. Das Ergebnis: 43 Ja- und sechs NeinStimmen. Althusmann sprach hinterher von einem „ehrlichen Ergebnis“. Der bisherige Fraktionschef Björn Thümler (Berne) kandidierte nicht.
Die Sozialdemokraten 5eiern sich nochmals. Die Union sucht nach Fehlern im Wahlkamp5.
HANNOVER – Eer SPD-Fraktionssaal platzt aus allen Nähten. Noch dichter als am Wahlsonntag drängen sich die Genossen. Umarmungen, Küsschen, Gratulationen – der Wähler hat die Sozialdemokraten zur größten Fraktion im Landtag gemacht. Die SPD platzt aus allen Nähten – vor Stolz, aber auch aus Raummangel. Fraktionschefin Johanne Modder begrüßt den mit stehendem Applaus gefeierten Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) mit den Worten: „Du hast uns alle mitgerissen!“Partystimmung. Vorsichtshalber liegen die Sektflaschen vom Sonntag diesmal in der untersten Etage des Getränke-Kühlschranks. Ganz oben: Wasser. Arbeitersekt. Denn auf die SPD kommen harte Tage zu. Wer steigt mit den Wahlsiegern ins Regierungsboot?
Zuvor erledigen die 55 SPD-Abgeordneten die Routine-Arbeit. Die Vorsitzende Johanne Modder (57) aus Bunde wird mit 47 Ja-Stimmen bestätigt. Sechs Fraktionsmitglieder enthalten sich, zwei votieren mit Nein. Ein Dämpfer für Modder („Ich bin gern Fraktionsvorsitzende.“) in der Siegesstimmung. Beim letzten Mal erhielt sie nur eine Gegenstimme. Die restliche Fraktionsspitze wird in den nächsten Tagen bestimmt.
Von Partystimmung ist bei der CDU nichts zu spüren. Freundliches Händeschütteln und aufmunterndes Schulterklopfen für den deutlich unterlegenen Weil-Herausforderer Bernd Althusmann (50). Der gebürtige Oldenburger wird in den nächsten Minuten bei sechs Gegenstimmen zum neuen Fraktionschef gewählt und fegt damit den bisherigen Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler (Berne/Wesermarsch) aus dem Amt.
Was aus Thümler nun wird? Für eine persönliche Stellungnahme war der 46Jährige zunächst nicht zu erreichen,
der wortlos aus dem Fraktionssaal verschwand. Bezeichnend: Schon vor Beginn der konstituierenden Sitzung der CDU-Landtagsfraktion ist von Thümler nichts zu sehen. Punkt 14 Uhr schreitet er mit ernster Miene in den
Saal und eröffnet die Sitzung – zum letzten Mal als Fraktionsvorsitzender. Dafür am Abend eine SMS an viele Journalisten mit einem herzlichen Dank „für sieben Jahre und fünf Monate gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“. „Ich stehe
Ihnen weiter gerne zur Verfügung“, verspricht Thümler der Presse. „Herr Thümler wird Teil unserer Verhandlungsdelegation“, wird Althusmann später nur knapp ankündigen.
Erst um 15.49 Uhr tritt Althusmann vor den Fraktionssaal – und stellt sich mit breitem Lächeln als neuer Vorsitzender der CDU im niedersächsischen Landtag vor. Das Lächeln vergeht dem neuen Fraktionsführer, als er auf die verlorene Wahl zu sprechen kommt. Althusmann räumt Fehler ein und kündigt gleichzeitig „strategische Veränderungen“in der CDU-Parteizentrale in Hannover an. Für Ulf Thiele (Uplengen/Kreis Leer), Generalsekretär der CDU Niedersachsen, könnte es eng werden. Es ist die zweite verlorene Wahl des Parteimanagers. Auf die Frage nach der Zukunft Thieles antwortet Althusmann: „Der Generalsekretär hat gute Arbeit geleistet und versucht, den Laden zusammenzuhalten.“Ein Zeugnis, das Raum für Spekulationen lässt.
Ganz deutlich macht Althusmann, dass der Wahlkampf aus seiner Sicht nicht zufriedenstellend verlaufen ist. „Es gab Fehler und es hat nicht alles funktioniert.“Eine stärkere strategische, politische Ausrichtung in der Parteizentrale, dem HasselmannHaus, sei unabdingbar.
Aus Berlin kommt eine andere Analyse. Nach Erkenntnissen der Wahlforscher in der Konrad-Adenauer-Stiftung für den CDU-Bundesvorstand gab es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten und dem schlechten Abschneiden der Union. 72 Prozent der Wähler hätten Twesten übel genommen, dass diese ihr Landtagsmandat zur CDU rübergenommen habe. Twesten selbst nennt ihre Rolle rückblickend „nicht hilfreich“.
Zum kommissarischen parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion wird Jens Nacke (46, Wiefelstede/Ammerland) gewählt. Seine eigene Wahl zum Fraktionschef mit sechs Gegenstimmen nennt Althusmann „ein respektables Ergebnis“– und fügt hinzu: „Ich sehe das entspannt und gelassen. Die Sonne wird auch morgen wieder aufgehen.“
Ins Team für Koalitionsverhandlungen beruft Althusmann übrigens neben Thümler noch Nacke, Thiele, Gudrun Pieper und Editha Lorberg.