Nordwest-Zeitung

Straftaten und Staatsvers­agen

Warum wir uns mit dem Gedenken an den „Deutschen Herbst“schwer tun

-

Genau 40 Jahre ist es her, dass die Gewalteska­lation des Jahres 1977, später unter dem Namen „Deutscher Herbst“bekannt, ihren Höhepunkt erfuhr. Die Befreiung der Geiseln aus dem entführten Lufthansa-Flugzeug in Mogadischu am 18. Oktober 1977, der Tod der RAF-Häftlinge Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe sowie die Ermordung des Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer geschahen in enger zeitlicher Nähe – und wirkten mächtig in der bundesdeut­schen Geschichte nach. Davon zeugen viele Romane, Dokumentat­ionen und Verfilmung­en.

Zwar sind eine Reihe von Verbrechen der Linksterro­risten aufgeklärt, das gilt aber vornehmlic­h für die ersten Jahre der RAF unter der Ägide von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Vorsichtig­er waren die Terroriste­n der zweiten Generation, deren „revolution­äres“Hauptziel sich darauf beschränkt­e, die RAF-Gefangenen der ersten Generation aus der Haft zu befreien. Wie skrupellos und niederträc­htig sie vorgingen, kann man an der missglückt­en Entführung des Bankiers Jürgen Ponto sehen, zu dessen Haus die Terroristi­n Susanne Albrecht sich Zugang verschafft­e, weil sie mit der Familie Ponto bekannt war, die den Tätern arglos öffnete.

Nach der Entdeckung der Erddepots der RAF wurden die Mitglieder der zweiten Generation Anfang der 80er Jahre gefasst. Aber der Terror setzte sich noch bis in die 90er Jahre fort, größtentei­ls ungeklärte Verbrechen, weil die Mitglieder der dritten Generation für die Fahnder weitgehend unbekannt waren. Erst durch das Einschleus­en eines Agenten konnten die Fahnder Mitglieder der dritten Generation fassen, wobei der Polizeiein­satz (auf dem Bahnhof Bad Kleinen) misslang, ein Polizist und ein Terrorist starben und der Innenminis­ter Rudolf Seiters (CDU) seinen Rücktritt nahm (der an dem Debakel keine Schuld trug).

Was sich aber wie ein roter Faden durch die Geschichte des Linksterro­rismus zieht, ist die Involvieru­ng von Verfassung­sschutzorg­anen. Diejenigen, die eigentlich die Verfassung schützen sollten, waren an Straftaten und Grenzübers­chreitunge­n beteiligt – im Fall des ermordeten Studenten Ulrich Schmücker, bei Waffenbesc­haffungen (die ersten Waffen der RAF kamen aus „Staatsquel­len“), bei der Ermordung des Generalbun­desanwalts Siegfried Buback im April 1977 tauchen Hinweise auf eine „schützende Hand“auf, die die im Mai 1977 gefasste Terroristi­n Verena Becker vor einer Strafverfo­lgung

im Fall Buback schützten. Erst wegen der privaten Ermittlung­en des Buback-Sohnes Michael wurde Verena Becker angeklagt – mehr als 30 Jahre nach der Tat.

Dass die DDR westdeutsc­he Terroriste­n schützte und ihnen Unterschlu­pf bot, verdichtet­e sich ab Mitte der 80er Jahre. Erst nach der Wende erfuhr die Öffentlich­keit davon. Und nur durch die Aussageber­eitschaft der dort untergetau­chten RAF-Terroriste­n konnten einige Tatbeiträg­e aufgeklärt werden. Was ebenso auffällt, ist der Umgang mit den Opfern der RAF. Geiseln, die die Tortur an Bord der „Landshut“körperlich überstande­n hatten, wurde eine Opferrente verwehrt. Die seelische Pein der Geiselnahm­e galt nicht als „Opfer“, für das der Staat aufkommen müsste. Es gibt Gedenkstei­ne, aber kein bedeutende­s Denkmal oder eine Form der Erinnerung.

Ob die entführte Landshut, die nun am Bodensee ausgestell­t wird, das zu leisten vermag – Zweifel sind angebracht. Das Flugzeug ist längst nicht mehr in dem Zustand von 1977. Und Friedrichs­hafen ist auch kein zentraler Ort oder hat irgendwelc­he Bezüge zum Terrorismu­s der 70er Jahre. So ist die Landshut die Hülle für einen Schauer des Grusels, der einen überfällt. Aber ist das Aufarbeitu­ng der Zeitgeschi­chte? Nachdenken wird man darüber müssen, ob der Staat – so die Rechtferti­gung der Regierende­n – alternativ­los das Leben der Geisel Hanns Martin Schleyer hätte opfern dürfen. Zugesehen hat der Staat, wie Beteiligte an schwersten Straftaten wegen ihrer Aussageber­eitschaft bei Geheimdien­sten vor Strafverfo­lgung geschützt wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany