Nordwest-Zeitung

Einfach eine Nummer zu groß

Wie Größenwahn und falsche Strategien zum Ende von Air Berlin führten

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Die Geschichte der Luftfahrtg­esellschaf­t Air Berlin begann wie so oft in dieser Branche mit einem Enttäuscht­en. Der amerikanis­che Pilot Kim Lundgren verliert im Zuge der Ölpreiskri­se seine Arbeit bei der Pan Am und gründet im Juli 1978 Air Berlin mit einem Flugzeug. Das Ziel heißt Mallorca. 1991 steigt Joachim Hunold dann als Mehrheitse­igner ein: mit Geld aus seiner eigenen Abfindung, denn kurz zuvor hat er seinen Posten als Marketing-Chef bei der LTU räumen müssen. Damals machte die halbstaatl­iche Lufthansa fast eine halbe Milliarde Verlust. Mit ihr ging es steil bergab. Auch im nächsten Jahr befand sich der Kranich im Sinkflug.

Bei Air Berlin setzt Hunold auf die Expansion: mit Strategien, die später manche Billigflie­ger kopieren werden. Er senkt Kosten und die Macht der Arbeitnehm­er, indem er das Kabinenper­sonal nicht bei Air Berlin anstellt, sondern über externe Dienstleis­ter beschäftig­t. Er lässt oft von Regionalfl­ughäfen aus fliegen, die Betrieb brauchen und den Airlines Sonderkond­itionen gewähren. Er setzt früher als viele etablierte Carrier auf Internetve­rkauf. Und er kreiert den „Mallorca-Shuttle“, zeitweise fliegt Air Berlin die Urlaubsins­el mehr als 300 Mal pro Woche an.

Aber dann beginnt die Großmannss­ucht. Hunold will der Lufthansa nicht nur Konkurrenz machen. Der „Achim“, wie sich der Patriarch Ein Flugzeug der Fluggesell­schaft Air Berlin steht auf dem Flughafen in Tegel vor dem Lufthansa-Terminal.

im Unternehme­n nennen lässt, verliert den Boden unter den Füßen. Beispiel: Bei der Internatio­nalen Tourismusb­örse in Berlin 2010 wird Hunold bei einer Pressekonf­erenz, die keine ist, wie ein Superstar angekündig­t. Kritische Fragen sind nicht zugelassen. Völlig abgehoben.

Hunolds Bilanz: Er kauft den Wettbewerb­er DBA auf, der vor allem innerdeuts­ch @Den Autor erreichen Sie unter

fliegt und bei Geschäftsr­eisenden beliebt ist. Und dann übernimmt Air Berlin völlig überrasche­nd die LTU mit ihren Langstreck­enrouten. Jetzt ist der Gefeuerte der große Boss bei seinem Ex-Arbeitgebe­r. Aber sein zusammenge­kauftes

Gebilde ist irre komplex geworden. Plötzlich bedient Air Berlin Kurz-, Mittelund Langstreck­e, Städteziel­e und Ferienorte, Geschäftsr­eisende und Urlauber, zeitweise mit sieben verschiede­nen Jet-Typen von Boeing und Airbus. Das kann nicht gutgehen.

Der „Hybrid-Carrier“, wie Hunold sein Luft-Konglomera­t nennt, kommt in Schwierigk­eiten. 2011 wirft er auf Druck der Aktionäre hin. Es folgen vier andere Männer an der Spitze. Nichts wird besser, nur die roten Zahlen steigen. Fünfter Air-BerlinBoss in sechs Jahren wird Thomas Winkelmann, langjährig­er Chef der Lufthansa-Tochter Germanwing­s und enger Vertrauter von LufthansaL­enker Carsten Spohr. Auch Norbert wahn@infoautor.de unter Winkelmann geht es weiter bergab, es häufen sich Verspätung­en und ausfallend­e Flüge. Schlampige­r kann man eine Fluglinie kaum führen. Kritiker sagen: Dieses Szenario ist ideal für Lufthansa. Und so kommt es auch.

Air Berlin meldet im August 2017 Insolvenz an. Und der Lufthansa wird der rote Teppich ausgerollt, der Staat rettet für sie den wertvollst­en Teil der Insolvenzm­asse – die Start- und Landerecht­e von Air Berlin. Über die staatliche KfW Bank gewährte ihr der Bund einen Überbrücku­ngskredit von 150 Millionen Euro, mit dem der Flugbetrie­b weitergefü­hrt werden konnte.

Bei der Insolvenz von Air Berlin ist scheinbar an alles gedacht. Die Lufthansa bekommt, was sie will. Der Chef verdient noch Millionen. Nur die Mitarbeite­r sind egal. Es kann doch nicht die Lösung sein, einem Unternehme­n alle Wünsche zu erfüllen – und gleichzeit­ig Tausende Mitarbeite­r einfach ihrem Schicksal zu überlassen.

Die Politik trägt eine gehörige Portion Verantwort­ung an der Pleite. Der Flugbetrie­b am Großflugha­fen Berlin Brandenbur­g sollte im Oktober 2011 aufgenomme­n werden. Er sollte zum neuen Drehkreuz für Air Berlin werden. Doch bis heute tut sich dort nichts. Und die Verantwort­ung hierfür tragen das Land Berlin und die Bundesregi­erung. An diesem Freitag ist Schluss mit Air Berlin. Es ist eine Schande.

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DPA-BILD: KUMM
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