HINTERGRUND,
5Mch Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner Hoffnung auf Entspannung
Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner ist nach rund 100 Tagen aus der türkischen Haft entlassen worden. In die Erleichterung mischen sich Forderungen nach mehr Druck auf Ankara.
BERLIN/ISTANBUL – Peter Steudtner in Freiheit. Nach mehr als drei Monaten in türkischer Haft kommt der Menschenrechtsaktivist am Donnerstag zurück nach Berlin, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, in die Arme geschlossen von Angehörigen und Freunden. „Endlich!“, twittert der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, in der Nacht zum Donnerstag, nachdem die ersehnte Nachricht aus Istanbul eingetroffen war. „Es ist ein erstes Signal der Entspannung“, zeigt sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) erleichtert, und kündigt zugleich an: „Nun müssen wir weiter an der Freilassung der anderen Inhaftierten arbeiten.“Denis Yücel, Mesale Tolu und andere Deutsche bleiben hinter Gittern, werden weiter vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan festgehalten.
Steudtner zurück in Berlin – es war Altkanzler Gerhard Schröder, der den Dokumentarfotografen und Filmemacher aus Erdogans Fängen befreite, auf geheime Mission geschickt von Gabriel, im Auftrag auch von Kanzlerin Merkel. „Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Vermittlung“, bestätigt Gabriel am Donnerstag den Coup. Der Plot: Nachdem Gabriel mit seinen Bemühungen um die Freilassung von Steudtner, Yücel, Tolu und den anderen Deutschen nicht vorankam, bat er seinen Parteifreund Schröder, quasi „undercover“nach Ankara zu reisen.
Eine Woche nach der Bundestagswahl sitzt Schröder dann tatsächlich mit Erdogan zusammen, findet ein offenes Ohr, die Außenminister beider Staaten werden beauftragt, an einer Lösung zu arbeiten. Gerhard Schröder, gerade noch
für seine engen Kontakte zu Russlands Präsident Wladimir Putin und seinen Posten beim russischen Rosneft-Konzern an den Pranger gestellt, ist plötzlich derjenige, der mit seinen Kontakten Gefängnispforten öffnet, für die erste
gute Nachricht seit Anbruch der deutsch-türkischen Eiszeit sorgt. Im Fall Steudtner geht es am schnellsten, das Untersuchungsgericht in Istanbul setzt die Haft ohne Auflagen aus, ermöglicht die sofortige Rückkehr. Steudtner selbst ist überwältigt von seinen Gefühlen. „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben“, sagt er nach dem Verlassen des Hochsicherheitsgefängnisses in Silviri westlich von Istanbul, dann versagt seine Stimme, fließen die Freudentränen.
Für den 45-Jährigen sei „ein Albtraum zu Ende“, freut sich Berlins Bürgermeister Michael Müller mit Steudtner und erklärt, dieser wolle bei seiner Rückkehr weder von
Politikern noch Journalisten behelligt werden. Dafür wird in Steudtners Kirchengemeinde in Berlin, in der es seit seiner willkürlichen Festnahme wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation täglich Andachten gegeben hatte, gefeiert und gejubelt und das Wiedersehen vorbereitet. „Es gibt in jedem Fall ein Willkommen für ihn“, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Frank Esch.
Steudtners Freilassung, der erste Schritt zur Entspannung im eingefrorenen Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei? Grünen-Chef Cem Özdemir erinnert daran, dass weitere Deutsche „widerrechtlich“in der Türkei hinter Gittern säßen. Ohne deren Freilassung könne es „keinerlei Normalisierung oder gar
Fortschritte“im Verhältnis mit der Türkei geben.
Journalistenorganisationen forderten die Freilassung von Yücel und Tolu. Dies sei überfällig, sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Frank Überall: „Ihr einziges ,Vergehen’ heißt kritischer Journalismus.“
Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge sagte, die Appelle an das Gerechtigkeitsempfinden und die Wahrung rechtsstaatlicher Standards hätten offenbar gewirkt.
Neben Steudtner selbst suchte auch Gerhard Schröder am Donnerstag nicht die Öffentlichkeit. Er lässt lediglich erklären, er freue sich über die Freilassung der Berliner Menschenrechtsaktivisten.