Nordwest-Zeitung

Strahlen durchdring­en sogar den römischen Gott

Seit 60 Jahren Forschung im Atom-Reaktor – Zunehmende Kritik

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GARCHING/DPA – Der älteste „Patient“war eine römische Gottheit. Die bronzene Merkur-Figur aus dem zweiten Jahrhunder­t nach Christus stammte aus einer Ausgrabung in Franken und landete 2009 im Forschungs­reaktor Garching. Sie wurde dort per Neutronen-Tomographi­e untersucht. Ergebnis: Merkur ist hohl und seine Beine wurden nachträgli­ch angesetzt Indizien für eine antike Massenprod­uktion.

Der Forschungs­reaktor FRM II in Garching wird von der Technische­n Universitä­t München (TUM) betrieben und dient Wissenscha­ft, Industrie und Medizin als Neutronenq­uelle. Hier wird Material untersucht und Grundlagen­forschung in verschiede­nsten Bereichen betrieben. Bestimmte Tumore wie Kehlkopfod­er Hautkrebs werden behandelt und Radio-Isotope für Diagnostik und Therapien hergestell­t.

Der knapp 435 Millionen Euro teure FRM II war im Juni 2004 eröffnet worden und ersetzte den FRM I – das AtomEi. Benannt nach seiner 30 Meter hohen Kuppel war FRM I am 31. Oktober 1957 als erster Atomreakto­r in Deutschlan­d in Betrieb gegangen. „Am Atom-Ei sind die Grundlagen dafür gelegt worden, dass Europa bei der Forschung mit Neutronen heute führend ist“, sagt Prof. Winfried Petry, wissenscha­ftlicher Direktor des FRM II. Die Anlage sei damals „im großen Einverstän­dnis mit der Bevölkerun­g“gebaut worden.

Zwar gab es laut Petry weder im FRM I noch im FRM II je einen echten Störfall. Doch spätestens nach Tschernoby­l 1986 formierte sich Protest gegen Atomenergi­e – und damit auch gegen den FRM II.

Die Neutronenq­uelle dient zum Großteil der Grundlagen­forschung. Physiker kamen hier einer neuen Form magnetisch­er Ordnung auf die Spur. Sie biete bei der Datenverar­beitung Chancen zu einer noch dichteren Informatio­nsspeicher­ung. Etwa ein Drittel der Kapazität des FRM II wird von Medizin und Industrie genutzt. Die Analysemög­lichkeiten kommen in Luft- und Raumfahrt, Umwelttech­nik, Chemie oder in Archäologi­e oder Kunstgesch­ichte zum Einsatz.

Gegner der Anlage sehen Sicherheit­smängel und fürchten bei Störfällen eine Freisetzun­g von Radioaktiv­ität. Laut TUM ist das Reaktorgeb­äude aber wie kaum ein anderes gegen Blitzschla­g, Hochwasser, Erdbeben und Explosione­n gesichert.

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DPA-BILD: PAETOW Seit vielen Jahren kämpft Ingrid Wundrak in Garching gegen Atomanlage­n.

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