OSTFRIESENKILLER
ROMAN VON KLAUS-PETER WOLF Copyright © 2007 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Weller nickte. „Und wir sollen glauben, dass er mit seinem Wohnwagen in Frankreich rumkurvt. Dumm gelaufen für den Herrn.“
Sie hätten eigentlich ein Sonderkommando zur Verfügung gehabt, um so einen gefährlichen Mann dingfest zu machen. Aber sie nahmen nur sechs Jungs von der „örtlichen Trachtengruppe“mit, wie Rupert die uniformierten Beamten gerne scherzhaft nannte, und zwei Hunde.
Während sie das Haus am Stadtrand von Hage stürmten, dachte Weller darüber nach, ob diese Aktion ihnen später Lorbeeren einbringen würde oder ein Disziplinarverfahren. Wenn hier irgendetwas schiefging, dann sahen sie ganz schön alt aus.
Rupert wollte Kohlhammer selbst verhaften. Das war klar.
Sie wollten kein Risiko eingehen und klingeln. Er sollte keine Zeit haben, sich auf den Zugriff vorzubereiten. So einer sprengte sich vielleicht in die Luft oder feuerte durch die geschlossene Wohnungstür. Weller ging durch die offene Terrassentür ins Haus, Rupert ließ vorne die Tür mit einem Rammbock aufstoßen.
Georg Kohlhammer kam aufgeregt in Boxershorts die Treppe heruntergerannt.
Auf den ersten Blick sah Weller zwei vollständige Ritterrüstungen. Jeder Ritter hielt ein großes Schwert.
Na also. Sie waren an der richtigen Adresse, dachte er.
Kohlhammer riss die Hände hoch und schrie: „Nicht schießen! Nicht schießen!“Er sah, wie nervös die Männer waren. Er hatte Angst um sein Leben.
Sekunden später schlossen sich Handschellen um seine Gelenke.
Sie nahmen sämtliche Schwerter mit, die sie im Haus fanden. Nicht nur die beiden von den Ritterrüstungen, sondern noch sechs weitere, die im Wohnzimmer an der Wand hingen. Dazu Lanzen und Morgensterne.
Georg Kohlhammer wurde in die Polizeiinspektion am Fischteichweg gebracht. Dort konfrontierten Rupert und Weller ihn mit den Fakten, die gegen ihn sprachen. Sie wussten, dass die meisten Täter in den ersten Stunden nach der Verhaftung gestanden. Wenn nicht, konnte es verdammt langwierig werden.
Staatsanwalt Scherer erschien ziemlich aufgekratzt. Sie hatten den Fall kurz vor der großen Katastrophe gelöst. Sie alle waren sich einig, dass Kohlhammer zurückgekommen war, um bei der großen Demo sein nächstes Opfer in den Tod zu schicken. Er hatte zahlreiche Häuser in der Stadt. Eines davon stand am Markt. Von dort hätte er eine ideale Schussbahn auf die Rednertribüne gehabt.
Georg Kohlhammer schrie herum, er wisse nicht, was sie von ihm wollten.
„Warum fährt Ihre kleine Freundin mit dem Wohnwagen in Frankreich herum, während Sie heimlich nach Deutschland zurückgekommen sind?“
Kohlhammer tippte sich an die Stirn. „Was ist denn daran verboten? Wir haben uns gezankt. Tierisch gezankt. Das ist ein ganz raffiniertes Luder. Sie war nur auf mein Geld aus. Am liebsten hätte sie mich noch auf der Durchreise ins Standesamt gezerrt. Je größer das Vermögen ist, das jemand sich erarbeitet hat, umso mehr Goldgräberinnen lauern auf ihn.“
Dieses Wort hatte Weller noch nie gehört. Er wusste zwar, was Kohlhammer damit meinte, aber es war neu für ihn: „Goldgräberinnen.“
„Ja“, nickte Georg Kohlhammer, „die sülzen dich zu, reiten dich, wie du noch nie im Leben geritten worden bist, und dann, wenn du erst mal Ja gesagt hast, kopieren sie deine Einkommenssteuererklärung und suchen sich einen guten Scheidungsanwalt. Mit Heiraten kann man viel mehr und viel schneller Geld verdienen als mit ehrlicher Arbeit.“
„Und wieso sind Sie dann nicht mit dem Wohnwagen zurückgefahren und haben sie an die Luft gesetzt? Es ist doch Ihr Fahrzeug.“
„Herrjeh, ich war sie einfach leid. Ich hab sie im Wohnwagen sitzenlassen. Erst dachte ich, dass ich vielleicht wieder zurückgehe, wenn sie sich beruhigt hat. Aber dann hörte ich in den Nachrichten von der Demo in Aurich, und dann hab ich einfach den nächsten Zug genommen und bin zurück.“
„Zurück mit dem Zug, ja? Nach Aurich? Nach Aurich gibt’s schon seit den siebziger Jahren keine Bahnverbindung mehr.“
Kohlhammer stöhnte: „Ich bin nach Emden gefahren. Da haben wir eine Vertretung. Mein Betrieb verfügt über vierzehn Pkws. Ich selber besitze zwei. Einen schwarzen Mercedes T-Klasse für Geschäftstermine und einen Chrysler Grand Voyager.“
„Ihre Schwerter werden im Labor untersucht. Wieso habe ich das Gefühl, dass wir daran Blutspuren entdecken werden?“, fragte Rupert.
Kohlhammer lachte: „Das sind Dekorationsstücke, Herr Kommissar. Sammlerstücke. Damit schlagen wir uns nicht die Köpfe ein!“
Staatsanwalt Scherer sah Rupert an und nickte ihm zu. „Kochen Sie ihn gar.“
Zu gern hätte der Staatsanwalt noch vor Beginn der Demonstration die Pressemeldung herausgegeben: Der Mörder ist gefasst und geständig.
Rupert war froh, dass sie Ann Kathrin Klaasen nicht dazugerufen hatten. Sie würde seine Verhörmethoden bestimmt nicht gutheißen. Aber er schaltete jetzt eine härtere Gangart ein. Sie spielten jetzt nicht mehr Guter Bulle, böser Bulle, o nein. Sie spielten Böser Bulle, böser Bulle.
Sie schlugen Kohlhammer nicht, und sie drohten ihm auch nicht. FORTSETZUNG FOLGT