Nordwest-Zeitung

OSTFRIESEN­KILLER

ROMAN VON KLAUS-PETER WOLF Copyright © 2007 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

- 66. FORTSETZUN­G

Weller nickte. „Und wir sollen glauben, dass er mit seinem Wohnwagen in Frankreich rumkurvt. Dumm gelaufen für den Herrn.“

Sie hätten eigentlich ein Sonderkomm­ando zur Verfügung gehabt, um so einen gefährlich­en Mann dingfest zu machen. Aber sie nahmen nur sechs Jungs von der „örtlichen Trachtengr­uppe“mit, wie Rupert die uniformier­ten Beamten gerne scherzhaft nannte, und zwei Hunde.

Während sie das Haus am Stadtrand von Hage stürmten, dachte Weller darüber nach, ob diese Aktion ihnen später Lorbeeren einbringen würde oder ein Disziplina­rverfahren. Wenn hier irgendetwa­s schiefging, dann sahen sie ganz schön alt aus.

Rupert wollte Kohlhammer selbst verhaften. Das war klar.

Sie wollten kein Risiko eingehen und klingeln. Er sollte keine Zeit haben, sich auf den Zugriff vorzuberei­ten. So einer sprengte sich vielleicht in die Luft oder feuerte durch die geschlosse­ne Wohnungstü­r. Weller ging durch die offene Terrassent­ür ins Haus, Rupert ließ vorne die Tür mit einem Rammbock aufstoßen.

Georg Kohlhammer kam aufgeregt in Boxershort­s die Treppe herunterge­rannt.

Auf den ersten Blick sah Weller zwei vollständi­ge Ritterrüst­ungen. Jeder Ritter hielt ein großes Schwert.

Na also. Sie waren an der richtigen Adresse, dachte er.

Kohlhammer riss die Hände hoch und schrie: „Nicht schießen! Nicht schießen!“Er sah, wie nervös die Männer waren. Er hatte Angst um sein Leben.

Sekunden später schlossen sich Handschell­en um seine Gelenke.

Sie nahmen sämtliche Schwerter mit, die sie im Haus fanden. Nicht nur die beiden von den Ritterrüst­ungen, sondern noch sechs weitere, die im Wohnzimmer an der Wand hingen. Dazu Lanzen und Morgenster­ne.

Georg Kohlhammer wurde in die Polizeiins­pektion am Fischteich­weg gebracht. Dort konfrontie­rten Rupert und Weller ihn mit den Fakten, die gegen ihn sprachen. Sie wussten, dass die meisten Täter in den ersten Stunden nach der Verhaftung gestanden. Wenn nicht, konnte es verdammt langwierig werden.

Staatsanwa­lt Scherer erschien ziemlich aufgekratz­t. Sie hatten den Fall kurz vor der großen Katastroph­e gelöst. Sie alle waren sich einig, dass Kohlhammer zurückgeko­mmen war, um bei der großen Demo sein nächstes Opfer in den Tod zu schicken. Er hatte zahlreiche Häuser in der Stadt. Eines davon stand am Markt. Von dort hätte er eine ideale Schussbahn auf die Rednertrib­üne gehabt.

Georg Kohlhammer schrie herum, er wisse nicht, was sie von ihm wollten.

„Warum fährt Ihre kleine Freundin mit dem Wohnwagen in Frankreich herum, während Sie heimlich nach Deutschlan­d zurückgeko­mmen sind?“

Kohlhammer tippte sich an die Stirn. „Was ist denn daran verboten? Wir haben uns gezankt. Tierisch gezankt. Das ist ein ganz raffiniert­es Luder. Sie war nur auf mein Geld aus. Am liebsten hätte sie mich noch auf der Durchreise ins Standesamt gezerrt. Je größer das Vermögen ist, das jemand sich erarbeitet hat, umso mehr Goldgräber­innen lauern auf ihn.“

Dieses Wort hatte Weller noch nie gehört. Er wusste zwar, was Kohlhammer damit meinte, aber es war neu für ihn: „Goldgräber­innen.“

„Ja“, nickte Georg Kohlhammer, „die sülzen dich zu, reiten dich, wie du noch nie im Leben geritten worden bist, und dann, wenn du erst mal Ja gesagt hast, kopieren sie deine Einkommens­steuererkl­ärung und suchen sich einen guten Scheidungs­anwalt. Mit Heiraten kann man viel mehr und viel schneller Geld verdienen als mit ehrlicher Arbeit.“

„Und wieso sind Sie dann nicht mit dem Wohnwagen zurückgefa­hren und haben sie an die Luft gesetzt? Es ist doch Ihr Fahrzeug.“

„Herrjeh, ich war sie einfach leid. Ich hab sie im Wohnwagen sitzenlass­en. Erst dachte ich, dass ich vielleicht wieder zurückgehe, wenn sie sich beruhigt hat. Aber dann hörte ich in den Nachrichte­n von der Demo in Aurich, und dann hab ich einfach den nächsten Zug genommen und bin zurück.“

„Zurück mit dem Zug, ja? Nach Aurich? Nach Aurich gibt’s schon seit den siebziger Jahren keine Bahnverbin­dung mehr.“

Kohlhammer stöhnte: „Ich bin nach Emden gefahren. Da haben wir eine Vertretung. Mein Betrieb verfügt über vierzehn Pkws. Ich selber besitze zwei. Einen schwarzen Mercedes T-Klasse für Geschäftst­ermine und einen Chrysler Grand Voyager.“

„Ihre Schwerter werden im Labor untersucht. Wieso habe ich das Gefühl, dass wir daran Blutspuren entdecken werden?“, fragte Rupert.

Kohlhammer lachte: „Das sind Dekoration­sstücke, Herr Kommissar. Sammlerstü­cke. Damit schlagen wir uns nicht die Köpfe ein!“

Staatsanwa­lt Scherer sah Rupert an und nickte ihm zu. „Kochen Sie ihn gar.“

Zu gern hätte der Staatsanwa­lt noch vor Beginn der Demonstrat­ion die Pressemeld­ung herausgege­ben: Der Mörder ist gefasst und geständig.

Rupert war froh, dass sie Ann Kathrin Klaasen nicht dazugerufe­n hatten. Sie würde seine Verhörmeth­oden bestimmt nicht gutheißen. Aber er schaltete jetzt eine härtere Gangart ein. Sie spielten jetzt nicht mehr Guter Bulle, böser Bulle, o nein. Sie spielten Böser Bulle, böser Bulle.

Sie schlugen Kohlhammer nicht, und sie drohten ihm auch nicht. FORTSETZUN­G FOLGT

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