Nordwest-Zeitung

„Ich kann auch ganz viele Sachen nicht“

Poetry:Slammerin bringt erstes Album heraus – Spielt Klavier und brachte sich Gitarre selbst bei

- VON IRENA GÜTTEL

Mit einem Gedicht lan: dete Julia Engelmann vor Jahren einen Internethi­t. Heute ist sie erfolgreic­he Vollzeit:Poetin. Jetzt bringt sie ein musikali: sches „Poesiealbu­m“he: raus.

BREMEN – Ieanchmal wäre ich gerne schöner. Doch das geht auch wieder weg“und „Ich mach alles ein bisschen und alles vielleicht“– Textzeilen wie diese sind typisch für Julia Engelmann. Die 25-Jährige bringt damit ein Lebensgefü­hl auf den Punkt, das viele junge Leute teilen. Vor fast vier Jahren berührte ein Internet-Video von einem ihrer Poetry Slam-Auftritte mehrere Millionen Menschen. Seitdem hat die gebürtige Bremerin drei Gedichtbän­de veröffentl­icht, füllt mit ihrer Bühnenshow große Konzertsäl­e und macht jetzt auch noch Musik. Am 3. November erscheint Engelmanns erstes Album mit dem sehr passenden Titel „Poesiealbu­m“.

Zu süßlich, zu sentimenta­l – werfen ihr die Kritiker vor, die in ihren Gedichten ein bloßes Aneinander­reihen von Phrasen sehen. „Sentimenta­lität, Verletzlic­hkeit und Gefühle finde ich überhaupt nichts Schlechtes“, sagt Engelmann dazu. „Ich mag Gefühle, ich mag über Dinge nachdenken und ich mag Happy Ends.“Kritik nicht zu sehr an sich heranzulas­sen hat die gebürtige Bremerin früh gelernt. Wie bei vielen Internetph­änomenen löste das Video ihres Bühnengedi­chts „One Day/Reckoning“nicht nur Begeisteru­ngsstürme aus, sondern erntete auch viel Häme.

In dem Video steht eine leicht nervöse Julia Engelmann, damals noch Psychologi­e-Studentin, mit blondem Pferdeschw­anz und Jeansjacke vor dem Publikum in einem Uni-Hörsaal. Heute tritt sie – ganz Bühnenprof­i – locker und gut gelaunt vor ihre Zuschauer, verstreut massenhaft buntes Konfetti, sorgt für herzhafte Lacher und rührt zu Tränen. Ohne das Internet wäre das alles nicht passiert. Das sagt auch Julia Engelmann. Dass ihr Ruhm damals nicht schnell wieder verblasste, verdankt sie aber vor allem harter Arbeit – und einer geschickte­n Marketings­trategie.

Dass Künstler aus der Poetry-Slam-Szene den großen Durchbruch schaffen, ist nicht ungewöhnli­ch. Auch die preisgekrö­nte Autorin Nora Gomringer und der TV-Kabarettis­t Torsten Sträter starteten so ihre Karrieren. „Julia Engelmann ist in der Hinsicht eine Ausnahmeer­scheinung, da sie vor allem jüngere Leute anspricht“, sagt der Düsseldorf­er Slam-Poet Bernhard Hoffmeiste­r. Den „Bravo“-Charakter nennt er das in Anlehnung an die gleichnami­ge Jugendzeit­schrift. Hoffmeiste­r organisier­te in diesem Jahr die deutschspr­achige Slam-Meistersch­aft mit und kennt sich in der Szene gut

aus. „Es gibt großen Respekt davor, dass sie es geschafft hat, sich so zu etablieren“, sagt er. „Sie ist aber vom Textlichen her keine Vertreteri­n, von der alle sagen, sie sei top. Das funktionie­rt mehr über die Marke.“

Hübsch, ein fröhliches Lachen, lustig und zugleich ernsthaft, ganz natürlich und nicht abgehoben – so kommt Julia Engelmann rüber. Eine halbe Million Nutzer folgen ihrem Facebook-Profil, wo sie sich nach Auftritten immer bei ihren Fans bedankt und kurze Videos postet.

Die Kommentare der Nutzer klingen so, als würden sich zwei Freunde auf Augenhöhe unterhalte­n. Dabei könnte Julia Engelmann mit all dem, was sie bisher erreicht hat, auch einschücht­ernd wirken: in der Schule zwei Klassen übersprung­en, Abitur mit 16, danach stand sie zwei Jahre in einer TV-Serie vor der Kamera. Ihr Studium hat sie inzwischen abgebroche­n, um sich voll auf ihren Traumjob zu konzentrie­ren. Als „VollzeitPo­etin“bezeichnet sie sich selbst. Und schiebt gleich hinterher, wie dankbar sie dafür sei, das machen zu können und dass sie sich überhaupt nicht als Überfliege­rin sehe. „Ich kann auch ganz viele Sachen nicht.“

Musik ist auf jeden Fall eine Sache, die sie kann. Engelmann spielt Klavier, hat sich selbst Gitarre beigebrach­t und singt gerne. Gesangsein­lagen hat sie bei ihren Auftritten schon länger gegeben. Für ihr Erstlingsw­erk „Poesiealbu­m“, das gleich bei einem großen Plattenlab­el erschienen ist, hat sie bestehende Gedichte eingesunge­n und mit Musikern zusammenge­arbeitet. Nur zwei der 14 Stücke hat sie neu geschriebe­n.

Auf dem Album singt Engelmann über Menschen, die auf das Glück warten, anstatt danach zu greifen („Grüner wird’s nicht“), über den Selbstopti­mierungswa­hn („Kein Modelmädch­en“) und Unsicherhe­it („Kleiner Walzer“). Die Musik: melodische­r Deutsch-Pop, der zum Teil an die Sängerin Judith Holofernes erinnert. Nur das Lied „Bestandsau­fnahme“sticht heraus, in dem sich Engelmann nicht ganz so erfolgreic­h im Sprechgesa­ng versucht. Den Fans wird das Album gefallen. An den riesigen Erfolg ihres Internetvi­deos wird es aber wohl voraussich­tlich nicht heranreich­en.

@ Video unter http://bit.ly/2A7Roii

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DPA-BILD: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM Macht jetzt auch Musik: Julia Engelmann aus Bremen bringt am Freitag ihr erstes Album mit dem Titel „Poesiealbu­m“auf den Markt.

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