Nordwest-Zeitung

Viele Windräder stehen bald still

Staatliche Förderung läuft aus – Experten sorgen sich um Energiewen­de

- VON ECKART GIENKE

Ab 2020 ist mit Abschaltun­gen in größerem Umfang zu rechnen. Rund ein Viertel der aktuell installier­ten Leistung könnte wegfallen.

BERLIN/HAMBURG – Mehrere Tausend Windräder in Deutschlan­d werden im nächsten Jahrzehnt vermutlich abgebaut, weil ihre staatliche Förderung ausläuft. „Wenn die Strompreis­e in der nächsten Dekade nicht steigen, werden sich nur wenige Anlagen ohne Förderung am Markt behaupten“, heißt es in einer Analyse des Berliner Fachberatu­ngsunterne­hmens Energy Brainpool.

Diese Einschätzu­ng wird von den meisten Fachleuten geteilt. „Auf jeden Fall ist ab 2020 mit der Abschaltun­g von Bestandsan­lagen in mehr oder weniger großem Umfang zu rechnen“, heißt es in einem Artikel mehrerer Ökonomen des Helmholtz-Zentrums für Umweltfors­chung in Leipzig in der Zeitschrif­t „Wirtschaft­sdienst“.

Knackpunkt Strompreis

Der Knackpunkt ist der Strompreis von 2021 an, den heute noch niemand kennt. Die alten Anlagen, deren Rotoren sich seit 20 Jahren oder länger drehen, verlieren zwar ihre Förderung nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz, aber nicht ihre Betriebser­laubnis. Sie könnten weiterarbe­iten, wenn es sich lohnt.

Wie alle älteren Maschinen sind aber auch Windkraftw­erke nach 20 Jahren Verschleiß anfällig für Reparature­n und wartungsin­tensiver als neue Anlagen. Ihre Betriebsko­sten sind höher. Der aktuelle Strompreis von rund drei Cent je Kilowattst­unde dürfte nicht reichen, um die Anlagen in Betrieb zu halten – vielleicht

mit ein paar Ausnahmen an besonders guten Standorten.

Dabei geht es nicht um Kleinigkei­ten. Allein im ersten Jahr fallen 5700 Windkrafta­nlagen mit einer Leistung von 4500 Megawatt aus der Förderung heraus. In den Folgejahre­n sind es je 2000 bis 3000 Megawatt. Der Bundesverb­and Windenergi­e schätzt, dass bis 2023 14 000 Megawatt installier­te Leistung auf der Kippe stehen. Das wäre mehr als ein Viertel der aktuell installier­ten Windenergi­e-Leistung an Land, die zunächst einmal wegfallen würde.

Der geplante Ausbaukorr­idor für die Windenergi­e an Land sieht vor, dass 2020 und in den Folgejahre­n jeweils 2900 Megawatt Leistung neu installier­t und gefördert werden. Aber das ist brutto, nicht netto. Stillgeleg­te und rückgebaut­e Anlagen werden nicht berücksich­tigt. Bei der gegenwärti­gen Sachlage könnte also der Fall eintreten, dass mehr Windkraftk­apazität stillgeleg­t als neu gebaut wird. Die Windenergi­e an Land würde schrumpfen, nicht wachsen.

Kosten deutlich gefallen

„Es ist problemati­sch, dass die Ausbaupfad­e den zu erwartende­n Ersatzinve­stitionsbe­darf nicht abbilden“, so die Leipziger Wissenscha­ftler. „Das ist für die Energiewen­de insofern relevant, als die Windenergi­e gegenwärti­g der wichtigste erneuerbar­e Energieträ­ger in Deutschlan­d ist – und dies perspektiv­isch auch bleiben wird.“

Die Branche fordert nun, die Ausbaukorr­idore für Windenergi­e an Land nach 2020 erheblich auszuweite­n. „Die sind ohnehin unzureiche­nd“, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes Windenergi­e (BWE) in Berlin. „Und es gibt auch keine Begründung mehr dafür.“Die Kosten sind mit Ausschreib­ungen deutlich gefallen und sinken weiter.

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DPA-BILD: WAGNER Viele alte Windkrafta­nlagen gehen bald vom Netz (im Bild Windräder im Jahr 2002 in Emden).

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