DIE FAKTEN ZUM STREIT IM KURORT
Teil 3 der großen Ð-Reportage über das traditionsreiche Nordseebad am Jadebusen
Seit Jahren schwelt in Dangast ein Streit über die Entwicklung des Küstenortes. Worum geht es? Welche Interessen prallen aufeinander? Eine Reportage in 7ier Teilen
DANGAST – Vor ein paar Tagen war ein Polizist bei Nordseepark-Investor Lothar Peters. Der Beamte stellte ihm viele Fragen, „sehr unfreundlich war das“, sagt Lothar Peters.
Der Streit um Dangast hat das Dorf verlassen, der Fall beschäftigt mittlerweile auswärtige Gerichte, die Staatsanwaltschaften Oldenburg und Osnabrück ermitteln.
KAPITEL 5: DIE KRITIKER, DRITTER AUFTRITT
Im Café am Dorfeingang liegen Dokumente auf dem Tisch, sie sollen die Vorwürfe der Kritiker belegen. Die Männer halten den Taddigs-Plan nicht nur für eine strategische Fehlentscheidung. Sie wollen sogar kriminelle Vorgänge nicht ausschließen.
Die wichtigsten Vorwürfe der Kritiker, knapp zusammengefasst:
Das Gelände ist zu schnell verkauft worden. Es gab keine korrekte Ausschreibung, sondern nur ein fragwürdiges Bieterverfahren, das den Investor Lothar Peters bevorzugte.
Das Gelände ist viel zu billig verkauft worden. Der Stadt Varel ist dadurch ein finanzieller Schaden entstanden.
Der Rat und die Öffentlichkeit sind vom Kurdirektor und von den Investoren getäuscht worden. Die Kuranlage ist nicht, wie im Vorfeld angekündigt, „weitgehend erhalten“geblieben: Sie wurde bis auf ein einziges Gebäude abgerissen.
Mit der Kuranlage hat Dangast das mühsam und teuer errungene Prädikat „Nordseebad mit Heilquellen-Kurbetrieb“eingebüßt. Damit ist ein wichtiges touristisches Alleinstellungsmerkmal des Urlaubsortes an der Nordseeküste weggefallen.
Die ersten Häuser des Nordseeparks stehen in der Deichschutzzone. Dass der Investor dort bauen durfte, erhöht nicht nur deutlich den Wert des günstig erworbenen Geländes. Vor allem ist es: gefährlich. Der Nordseepark gefährdet Dangasts Sicherheit.
Was ist dran an den Vorwürfen? Machen wir einen Faktencheck. 1. Das Verkaufsverfahren „Öffentliche Ausschreibung bzw. Verkaufsangebot“, so überschrieb die Stadt Varel ihre Suche nach einem Käufer des Geländes. Das war nicht korrekt, wie später die Kommunalaufsicht des Landkreises Friesland feststellte. Aber die Prüfer machten auch deutlich: „Eine falsche Bezeichnung schadet nicht.“Aus dem Veröffentlichungstext gehe klar hervor, dass es sich „um eine unverbindliche Aufforderung zu Abgabe von Angeboten, ein sog. Bieterverfahren“, handeln sollte. Es habe auch keine „wettbewerbsrechtliche Notwendigkeit“bestanden, rechtliche Verstöße sehe man deshalb nicht.
Es gibt in Varel Stimmen, die sagen: Es sei schon ungewöhnlich schnell gegangen mit dem Verkauf. Oder: Es sehe so aus, als sollte das Gelände unbedingt an Peters gehen.
Kurdirektor Taddigs sagt, es habe „sechs oder acht“Interessenten gegeben. Vier Angebote habe man dem Rat vorgestellt, zwei seien in die Endauswahl gekommen: das Angebot
von Peters und eines der Friesenhörn-Klinik, mit 150 Mitarbeitern größter Arbeitgeber in Dangast. Peters erhielt den Zuschlag, die Klinik bekam ein Teilstück des Geländes für eine Erweiterung zugesprochen. 2. Der Kaufpreis Im Herbst 2013 erstellte der „Gutachterausschuss für Grundstückswerte Oldenburg“im Auftrag der Stadt Varel ein „Gutachten über den Verkehrswert“. Die Prüfer besichtigten Gelände und Gebäude und taxierten den Gesamtwert auf 5,136 Millionen Euro. Als Quadratmeterpreis veranschlagten sie 80 Euro, nach Abzug verschiedener anfallende Kosten für den Käufer, zum Beispiel für die Erschließung des Geländes.
Die Kritiker des TaddigsPlans stellen die Berechnungen infrage. Sie halten es für falsch, dass die zu dem Zeitpunkt knapp 35 Jahre alten Gebäude als „nicht nachhaltig wertrelevant“eingestuft wurden. Sie bemängeln auch, dass bei der Berechnung des Marktwerts auch die „Kosten für den Rückbau der Gebäude“und sogar das „Risiko des Investors“wertmindernd einkalkuliert wurden.
Die Kommunalaufsicht des Landkreises hat das Wertgutachten überprüft und kam zu dem Schluss, es sei „nachvollziehbar“.
Auffällig bleibt allerdings zweierlei.
Erstens: Die Gutachter halten als wertmindernd fest, dass die „Lage der drei massiven Gebäude (…) in Verbindung mit der Einhaltung der Deichschutzzone“die „planerische Ausnutzung des Flurstücks erheblich beeinträchtigt“. Soll heißen: Der Kaufpreis darf nicht zu hoch ausfallen, weil dem Käufer durch die alten Gebäude die Hände gebunden sind. Diesen angeblichen Wertnachteil hat der Investor aber nach dem Kauf durch den Abriss der Gebäude und durch die Bebauung der Deichschutzzone ausgeglichen.
Zweitens: Die FriesenhörnKlinik hat für ihr Teilstück umgerechnet einen höheren Preis gezahlt, nämlich rund 100 Euro pro Quadratmeter.
3. Die Kuranlage Warum bevorzugten die Ratsmitglieder das Gebot von Lothar Peters? In den Protokollen findet sich eine Antwort auf diese Frage, ausschlaggebend waren demnach vor allem zwei Gründe. Erstens: Peters‘ Kaufangebot lag um 200 000 Euro über dem Angebot der Friesenhörn-Klinik (die allerdings auch nie das ganze Gelände erwerben wollte), er war also der Höchstbietende. Zweitens: Peters‘ Konzept sah vor, dass die Gebäude der Kuranlage „in ihrem Bestand erhalten und qualifiziert“werden.
Der „weitestgehende Erhalt der heutigen Kuranlage“war Ziel des Rates, so steht es in der Beschlussvorlage zum geplanten Verkauf, und so findet es sich später auch als Passus im Kaufvertrag wider. Laut Paragraf 7 sollen die Einzelheiten „hinsichtlich der Nutzung der Kuranlage ,Deichhörn‘“„in einem gesondert zu vereinbarenden Vertrag“geregelt werden. Dieser Vertrag kam nie zustande. Warum auch: Die Kurgebäude gibt es nicht mehr.
Die Kritiker vermuten, dass der Abriss von Anfang an geplant und die Öffentlichkeit darüber getäuscht worden sei. Lothar Peters streitet das ab. „Wir wollten das doch erhalten“, sagt er, „aber das ging ja nicht!“Die Gebäude seien
verspakt gewesen, in den Decken habe Schimmel gesessen.
Auch der Gutachterausschuss besichtigte die Gebäude. Er kam mit Blick auf die „in die Jahre gekommene Bausubstanz“zu dem Schluss, dass eine Sanierung der Gebäude teurer wäre als ein Neubau. Auffällig: Die Gutachter empfehlen indirekt den Abriss, gehen bei ihrer Wertberechnung aber vom Erhalt der Gebäude aus. 4. Das verlorene Prädikat 573 Meter unter Dangast sprudelt eine Jod-Sole-Quelle. Seit Mitte der 70er-Jahre nutzte Dangast dieses extrem salzhaltige Wasser für medizinische Zwecke, allen voran im 1979 eröffneten Jod-Sole-Bad. Seit den 80er-Jahren durfte sich Dangast nicht nur „Nordseebad“nennen, sondern auch „Ort mit HeilquellenKurbetrieb“. Für beide Prädikate müssen bestimmte Voraussetzungen nach der niedersächsischen Kurortverordnung erfüllt werden, die alle zehn Jahre überprüft werden.
2015 verlor Dangast das zweite Prädikat wieder V weil „zwei grundlegende Voraussetzungen für den Erhalt der staatlichen Anerkennung nicht mehr gegeben“waren, wie das zuständige Wirtschaftsministerium in Niedersachsen mitteilt. Weggefallen sind diese Voraussetzungen durch die Schließung des Sole-Bewegungsbades in der Kuranlage und die Aufgabe der Badearzt-Praxis im Ort.
Die Voraussetzungen für das Prädikat „Nordseebad“erfüllt Dangast nach Angaben des Ministeriums weiterhin.
Die Kritiker des TaddigsPlanes beklagen, dass Dangast nun nur noch „Nordseebad ohne kurmedizinische Kompetenz“sei. Das ist inhaltlich korrekt, sprachlich aber nicht: „Die offizielle Bezeichnung lautet Nordseebad“,
erklärt das Wirtschaftsministerium, „der Zusatz mitX ohne kurmedizinischem Hintergrund ist nicht Namensbestandteil“.
Der Tourismusforscher Enno Schmoll hat die Jod-SoleQuelle in seinem Gutachten als ein Alleinstellungsmerkmal für Dangast identifiziert. Allerdings sah er auch „offenkundige Schwächen“in der Infrastruktur, vor allem die Saunaanlage sei „nicht mehr wettbewerbsfähig“.
Kurdirektor Taddigs verweist auf Zahlen: 600000 Ybernachtungen verbuche Dangast mittlerweile im Jahr, nur 2500 davon ließen sich auf die Heilquelle zurückführen, „das ist Promillebereich“, sagt Taddigs. Er folgert daraus: „Yber die Sole haben die Besucher mit den Füßen abgestimmt.“ Wegen der stetig sinkenden Nachfrage habe auch der Badearzt seine Praxis aufgegeben.
Derzeit fließt das Sole-Wasser nur noch ins große SoleQuellbad ein, Kuranwendungen gibt es keine mehr. Taddigs betont aber, dass Dangast den Sole-Brunnen erhalten werde[ „wenn ein privater Investor da etwas entwickeln will, stellen wir das gern zur Verfügung“. +. Die Deichschutzzone Die 50 Meter breite Deichschutzzone dient der sogenannten Deichverteidigung: Bei einer Sturmflut müssen schwere Baufahrzeuge Platz am Deich finden und große Lastwagen Sandsäcke anfahren können, auch im Gegenverkehr. Deshalb gilt dort ein Bebauungsverbot.
Ein Bauherr kann aber eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung beantragen, im Internet finden sich sogar Vordrucke dafür. Peters hat einen entsprechenden Antrag für die ersten fünf Häuser des Nordseeparks gestellt.
Im Januar 2015 genehmigte die Untere Deichbehörde die Ausnahme. Die Grundlage der Genehmigung bildet die „at\pische Deichlage“, die in Dangast auch schon in anderen Fällen Ausnahmegenehmigungen ermöglicht hat: Der Ort liegt erhöht auf einem Geestrücken. Die verbleibende Deichschutzzone von 21 Metern sei daher hinreichend, stellte die Behörde fest. In der Begründung heißt es, dass eine Ablehnung der Ausnahmegenehmigung zu einer „Beeinträchtigung des Allgemeinwohls“führen und eine „Härte“für den Investor darstellen würde.
Die Kritiker des TaddigsPlans zweifeln an, dass hier eine „Härte“vorliegt. „Hier will doch nur ein Investor seinen Profit optimieren“, sagt Eckhard Koch.
Zu den Kritikern zählt auch Wolfgang Wilts, 7] Jahre alt, aus Varel. Wilts war früher bei der Bezirksregierung WeserEms für den Küstenschutz zuständig, er nennt die Bebauung der Deichschutzzone „brandgefährlich“. Er sagt: „Das hier ist, mit Husum, die gefährlichste Stelle der deutschen Nordseeküste!“Seit Monaten warnt Wilts die zuständigen Behörden in regelmäßigen Eingaben gegen den seiner Ansicht nach „nicht verantwortbaren“Eingriff in die Deichschutzzone. Bislang ohne Erfolg. Auch der II. Oldenburgische Deichband teilte schließlich mit, man habe „keine Bedenken“.
Investor Peters zeigt durch die Fensterfront seines Büros auf Dangast: „Die haben hier doch alle eine Ausnahmegenehmigung! Unsere Häuser sind doch nicht die einzigen in der Zone!“
Kurdirektor Taddigs zuckt im Weltnaturerbeportal mit den Schultern. „Herr Peters hat sein Grundstück eben nachqualifiziert“, so sieht er das aus Kaufmann.
Jetzt sollen Gerichte klären, was zumindest an einem Teil den Vorwürfen dran ist. Mehrere Dangaster haben, unterstützt von der Bürgerinitiative, Strafanzeigen gestellt.
Bei der Staatsanwaltschaft laufen Ermittlungen gegen Kurdirektor Johann Taddigs und Varels Bürgermeister Gerd-Christian Wagner wegen des Verdachts der Untreue. Hintergrund ist der mutmaßlich zu günstige Verkauf des Geländes der Kuranlage.
Die Polizei vernimmt in der Sache derzeit Zeugen, deshalb war sie neulich bei Peters.
Beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg ist ein Verfahren anhängig, in dem darüber entschieden werden soll, ob die deichrechtliche Ausnahmegenehmigung Investor Peters zu Unrecht erteilt wurde und damit die Baugenehmigung illegal war.
Die Kritiker des TaddigsPlans haben nach eigenen Angaben bereits Zehntausende von Euros ausgegeben für den Rechtsstreit.
Sie drohen: Pleite sind wir noch lange nicht!
Hätte man die alte Kuranlage erhalten können? „Das ging nicht“, sagt der Investor: „Die Gebäude sind verspakt gewesen, in den Decken saß der Schimmel.“ Ein Teil der Neubauten steht in der Deichschutzzone. „Der Investor hat sein Grundstück nachqualifiziert“, lobt der Kurdirektor.