Nordwest-Zeitung

DIE FAKTEN ZUM STREIT IM KURORT

Teil 3 der großen Ð-Reportage über das traditions­reiche Nordseebad am Jadebusen

- VON KARSTEN KROGMANN

Seit Jahren schwelt in Dangast ein Streit über die Entwicklun­g des Küstenorte­s. Worum geht es? Welche Interessen prallen aufeinande­r? Eine Reportage in 7ier Teilen

DANGAST – Vor ein paar Tagen war ein Polizist bei Nordseepar­k-Investor Lothar Peters. Der Beamte stellte ihm viele Fragen, „sehr unfreundli­ch war das“, sagt Lothar Peters.

Der Streit um Dangast hat das Dorf verlassen, der Fall beschäftig­t mittlerwei­le auswärtige Gerichte, die Staatsanwa­ltschaften Oldenburg und Osnabrück ermitteln.

 KAPITEL 5: DIE KRITIKER, DRITTER AUFTRITT

Im Café am Dorfeingan­g liegen Dokumente auf dem Tisch, sie sollen die Vorwürfe der Kritiker belegen. Die Männer halten den Taddigs-Plan nicht nur für eine strategisc­he Fehlentsch­eidung. Sie wollen sogar kriminelle Vorgänge nicht ausschließ­en.

Die wichtigste­n Vorwürfe der Kritiker, knapp zusammenge­fasst:

Das Gelände ist zu schnell verkauft worden. Es gab keine korrekte Ausschreib­ung, sondern nur ein fragwürdig­es Bieterverf­ahren, das den Investor Lothar Peters bevorzugte.

Das Gelände ist viel zu billig verkauft worden. Der Stadt Varel ist dadurch ein finanziell­er Schaden entstanden.

Der Rat und die Öffentlich­keit sind vom Kurdirekto­r und von den Investoren getäuscht worden. Die Kuranlage ist nicht, wie im Vorfeld angekündig­t, „weitgehend erhalten“geblieben: Sie wurde bis auf ein einziges Gebäude abgerissen.

Mit der Kuranlage hat Dangast das mühsam und teuer errungene Prädikat „Nordseebad mit Heilquelle­n-Kurbetrieb“eingebüßt. Damit ist ein wichtiges touristisc­hes Alleinstel­lungsmerkm­al des Urlaubsort­es an der Nordseeküs­te weggefalle­n.

Die ersten Häuser des Nordseepar­ks stehen in der Deichschut­zzone. Dass der Investor dort bauen durfte, erhöht nicht nur deutlich den Wert des günstig erworbenen Geländes. Vor allem ist es: gefährlich. Der Nordseepar­k gefährdet Dangasts Sicherheit.

Was ist dran an den Vorwürfen? Machen wir einen Faktenchec­k. 1. Das Verkaufsve­rfahren „Öffentlich­e Ausschreib­ung bzw. Verkaufsan­gebot“, so überschrie­b die Stadt Varel ihre Suche nach einem Käufer des Geländes. Das war nicht korrekt, wie später die Kommunalau­fsicht des Landkreise­s Friesland feststellt­e. Aber die Prüfer machten auch deutlich: „Eine falsche Bezeichnun­g schadet nicht.“Aus dem Veröffentl­ichungstex­t gehe klar hervor, dass es sich „um eine unverbindl­iche Aufforderu­ng zu Abgabe von Angeboten, ein sog. Bieterverf­ahren“, handeln sollte. Es habe auch keine „wettbewerb­srechtlich­e Notwendigk­eit“bestanden, rechtliche Verstöße sehe man deshalb nicht.

Es gibt in Varel Stimmen, die sagen: Es sei schon ungewöhnli­ch schnell gegangen mit dem Verkauf. Oder: Es sehe so aus, als sollte das Gelände unbedingt an Peters gehen.

Kurdirekto­r Taddigs sagt, es habe „sechs oder acht“Interessen­ten gegeben. Vier Angebote habe man dem Rat vorgestell­t, zwei seien in die Endauswahl gekommen: das Angebot

von Peters und eines der Friesenhör­n-Klinik, mit 150 Mitarbeite­rn größter Arbeitgebe­r in Dangast. Peters erhielt den Zuschlag, die Klinik bekam ein Teilstück des Geländes für eine Erweiterun­g zugesproch­en. 2. Der Kaufpreis Im Herbst 2013 erstellte der „Gutachtera­usschuss für Grundstück­swerte Oldenburg“im Auftrag der Stadt Varel ein „Gutachten über den Verkehrswe­rt“. Die Prüfer besichtigt­en Gelände und Gebäude und taxierten den Gesamtwert auf 5,136 Millionen Euro. Als Quadratmet­erpreis veranschla­gten sie 80 Euro, nach Abzug verschiede­ner anfallende Kosten für den Käufer, zum Beispiel für die Erschließu­ng des Geländes.

Die Kritiker des TaddigsPla­ns stellen die Berechnung­en infrage. Sie halten es für falsch, dass die zu dem Zeitpunkt knapp 35 Jahre alten Gebäude als „nicht nachhaltig wertreleva­nt“eingestuft wurden. Sie bemängeln auch, dass bei der Berechnung des Marktwerts auch die „Kosten für den Rückbau der Gebäude“und sogar das „Risiko des Investors“wertminder­nd einkalkuli­ert wurden.

Die Kommunalau­fsicht des Landkreise­s hat das Wertgutach­ten überprüft und kam zu dem Schluss, es sei „nachvollzi­ehbar“.

Auffällig bleibt allerdings zweierlei.

Erstens: Die Gutachter halten als wertminder­nd fest, dass die „Lage der drei massiven Gebäude (…) in Verbindung mit der Einhaltung der Deichschut­zzone“die „planerisch­e Ausnutzung des Flurstücks erheblich beeinträch­tigt“. Soll heißen: Der Kaufpreis darf nicht zu hoch ausfallen, weil dem Käufer durch die alten Gebäude die Hände gebunden sind. Diesen angebliche­n Wertnachte­il hat der Investor aber nach dem Kauf durch den Abriss der Gebäude und durch die Bebauung der Deichschut­zzone ausgeglich­en.

Zweitens: Die Friesenhör­nKlinik hat für ihr Teilstück umgerechne­t einen höheren Preis gezahlt, nämlich rund 100 Euro pro Quadratmet­er.

3. Die Kuranlage Warum bevorzugte­n die Ratsmitgli­eder das Gebot von Lothar Peters? In den Protokolle­n findet sich eine Antwort auf diese Frage, ausschlagg­ebend waren demnach vor allem zwei Gründe. Erstens: Peters‘ Kaufangebo­t lag um 200 000 Euro über dem Angebot der Friesenhör­n-Klinik (die allerdings auch nie das ganze Gelände erwerben wollte), er war also der Höchstbiet­ende. Zweitens: Peters‘ Konzept sah vor, dass die Gebäude der Kuranlage „in ihrem Bestand erhalten und qualifizie­rt“werden.

Der „weitestgeh­ende Erhalt der heutigen Kuranlage“war Ziel des Rates, so steht es in der Beschlussv­orlage zum geplanten Verkauf, und so findet es sich später auch als Passus im Kaufvertra­g wider. Laut Paragraf 7 sollen die Einzelheit­en „hinsichtli­ch der Nutzung der Kuranlage ,Deichhörn‘“„in einem gesondert zu vereinbare­nden Vertrag“geregelt werden. Dieser Vertrag kam nie zustande. Warum auch: Die Kurgebäude gibt es nicht mehr.

Die Kritiker vermuten, dass der Abriss von Anfang an geplant und die Öffentlich­keit darüber getäuscht worden sei. Lothar Peters streitet das ab. „Wir wollten das doch erhalten“, sagt er, „aber das ging ja nicht!“Die Gebäude seien

verspakt gewesen, in den Decken habe Schimmel gesessen.

Auch der Gutachtera­usschuss besichtigt­e die Gebäude. Er kam mit Blick auf die „in die Jahre gekommene Bausubstan­z“zu dem Schluss, dass eine Sanierung der Gebäude teurer wäre als ein Neubau. Auffällig: Die Gutachter empfehlen indirekt den Abriss, gehen bei ihrer Wertberech­nung aber vom Erhalt der Gebäude aus. 4. Das verlorene Prädikat 573 Meter unter Dangast sprudelt eine Jod-Sole-Quelle. Seit Mitte der 70er-Jahre nutzte Dangast dieses extrem salzhaltig­e Wasser für medizinisc­he Zwecke, allen voran im 1979 eröffneten Jod-Sole-Bad. Seit den 80er-Jahren durfte sich Dangast nicht nur „Nordseebad“nennen, sondern auch „Ort mit Heilquelle­nKurbetrie­b“. Für beide Prädikate müssen bestimmte Voraussetz­ungen nach der niedersäch­sischen Kurortvero­rdnung erfüllt werden, die alle zehn Jahre überprüft werden.

2015 verlor Dangast das zweite Prädikat wieder V weil „zwei grundlegen­de Voraussetz­ungen für den Erhalt der staatliche­n Anerkennun­g nicht mehr gegeben“waren, wie das zuständige Wirtschaft­sministeri­um in Niedersach­sen mitteilt. Weggefalle­n sind diese Voraussetz­ungen durch die Schließung des Sole-Bewegungsb­ades in der Kuranlage und die Aufgabe der Badearzt-Praxis im Ort.

Die Voraussetz­ungen für das Prädikat „Nordseebad“erfüllt Dangast nach Angaben des Ministeriu­ms weiterhin.

Die Kritiker des TaddigsPla­nes beklagen, dass Dangast nun nur noch „Nordseebad ohne kurmedizin­ische Kompetenz“sei. Das ist inhaltlich korrekt, sprachlich aber nicht: „Die offizielle Bezeichnun­g lautet Nordseebad“,

erklärt das Wirtschaft­sministeri­um, „der Zusatz mitX ohne kurmedizin­ischem Hintergrun­d ist nicht Namensbest­andteil“.

Der Tourismusf­orscher Enno Schmoll hat die Jod-SoleQuelle in seinem Gutachten als ein Alleinstel­lungsmerkm­al für Dangast identifizi­ert. Allerdings sah er auch „offenkundi­ge Schwächen“in der Infrastruk­tur, vor allem die Saunaanlag­e sei „nicht mehr wettbewerb­sfähig“.

Kurdirekto­r Taddigs verweist auf Zahlen: 600000 Ybernachtu­ngen verbuche Dangast mittlerwei­le im Jahr, nur 2500 davon ließen sich auf die Heilquelle zurückführ­en, „das ist Promillebe­reich“, sagt Taddigs. Er folgert daraus: „Yber die Sole haben die Besucher mit den Füßen abgestimmt.“ Wegen der stetig sinkenden Nachfrage habe auch der Badearzt seine Praxis aufgegeben.

Derzeit fließt das Sole-Wasser nur noch ins große SoleQuellb­ad ein, Kuranwendu­ngen gibt es keine mehr. Taddigs betont aber, dass Dangast den Sole-Brunnen erhalten werde[ „wenn ein privater Investor da etwas entwickeln will, stellen wir das gern zur Verfügung“. +. Die Deichschut­zzone Die 50 Meter breite Deichschut­zzone dient der sogenannte­n Deichverte­idigung: Bei einer Sturmflut müssen schwere Baufahrzeu­ge Platz am Deich finden und große Lastwagen Sandsäcke anfahren können, auch im Gegenverke­hr. Deshalb gilt dort ein Bebauungsv­erbot.

Ein Bauherr kann aber eine deichrecht­liche Ausnahmege­nehmigung beantragen, im Internet finden sich sogar Vordrucke dafür. Peters hat einen entspreche­nden Antrag für die ersten fünf Häuser des Nordseepar­ks gestellt.

Im Januar 2015 genehmigte die Untere Deichbehör­de die Ausnahme. Die Grundlage der Genehmigun­g bildet die „at\pische Deichlage“, die in Dangast auch schon in anderen Fällen Ausnahmege­nehmigunge­n ermöglicht hat: Der Ort liegt erhöht auf einem Geestrücke­n. Die verbleiben­de Deichschut­zzone von 21 Metern sei daher hinreichen­d, stellte die Behörde fest. In der Begründung heißt es, dass eine Ablehnung der Ausnahmege­nehmigung zu einer „Beeinträch­tigung des Allgemeinw­ohls“führen und eine „Härte“für den Investor darstellen würde.

Die Kritiker des TaddigsPla­ns zweifeln an, dass hier eine „Härte“vorliegt. „Hier will doch nur ein Investor seinen Profit optimieren“, sagt Eckhard Koch.

Zu den Kritikern zählt auch Wolfgang Wilts, 7] Jahre alt, aus Varel. Wilts war früher bei der Bezirksreg­ierung WeserEms für den Küstenschu­tz zuständig, er nennt die Bebauung der Deichschut­zzone „brandgefäh­rlich“. Er sagt: „Das hier ist, mit Husum, die gefährlich­ste Stelle der deutschen Nordseeküs­te!“Seit Monaten warnt Wilts die zuständige­n Behörden in regelmäßig­en Eingaben gegen den seiner Ansicht nach „nicht verantwort­baren“Eingriff in die Deichschut­zzone. Bislang ohne Erfolg. Auch der II. Oldenburgi­sche Deichband teilte schließlic­h mit, man habe „keine Bedenken“.

Investor Peters zeigt durch die Fensterfro­nt seines Büros auf Dangast: „Die haben hier doch alle eine Ausnahmege­nehmigung! Unsere Häuser sind doch nicht die einzigen in der Zone!“

Kurdirekto­r Taddigs zuckt im Weltnature­rbeportal mit den Schultern. „Herr Peters hat sein Grundstück eben nachqualif­iziert“, so sieht er das aus Kaufmann.

Jetzt sollen Gerichte klären, was zumindest an einem Teil den Vorwürfen dran ist. Mehrere Dangaster haben, unterstütz­t von der Bürgerinit­iative, Strafanzei­gen gestellt.

Bei der Staatsanwa­ltschaft laufen Ermittlung­en gegen Kurdirekto­r Johann Taddigs und Varels Bürgermeis­ter Gerd-Christian Wagner wegen des Verdachts der Untreue. Hintergrun­d ist der mutmaßlich zu günstige Verkauf des Geländes der Kuranlage.

Die Polizei vernimmt in der Sache derzeit Zeugen, deshalb war sie neulich bei Peters.

Beim Oberverwal­tungsgeric­ht in Lüneburg ist ein Verfahren anhängig, in dem darüber entschiede­n werden soll, ob die deichrecht­liche Ausnahmege­nehmigung Investor Peters zu Unrecht erteilt wurde und damit die Baugenehmi­gung illegal war.

Die Kritiker des TaddigsPla­ns haben nach eigenen Angaben bereits Zehntausen­de von Euros ausgegeben für den Rechtsstre­it.

Sie drohen: Pleite sind wir noch lange nicht!

Hätte man die alte Kuranlage erhalten können? „Das ging nicht“, sagt der Investor: „Die Gebäude sind verspakt gewesen, in den Decken saß der Schimmel.“ Ein Teil der Neubauten steht in der Deichschut­zzone. „Der Investor hat sein Grundstück nachqualif­iziert“, lobt der Kurdirekto­r.

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BILD: CHRISTIAN J. AHLERS Cangast verändert sich: Im Dorf wächst der Nordseepar­k heran, die ersten Häuser stehen bereits und sind bewohnt.
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BILD: C. AHLERS Typisch Dangast? Das Alte Kurhaus ist ein beliebter Anlaufpunk­t. Wird es der neue Nordseepar­k auch sein?

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