Nordwest-Zeitung

Auf Schlächter wartet das Urteil

Ratko Mladic gilt der Welt als Kriegsverb­recher, Serbien hingegen als Held

- VON ANNETTE BIRSCHEL

Der 11. Juli 1995 ist der Schicksals­tag im Leben von Ratko Mladic. Auf dem Höhepunkt seiner militärisc­hen Macht nimmt der bosnisch-serbische General die UN-Schutzzone Srebrenica im Osten Bosniens ein. Die UN-Blauhelme leisten keinen Widerstand, Zehntausen­de Flüchtling­e sind in Panik.

Fotos zeigen den bulligen General im Kampfanzug, wie er Kindern Schokolade gibt und weinende Frauen beruhigt. Nur wenige Stunden später wird er den Befehl erteilen, die Väter dieser Kinder, die Männer dieser Frauen zu töten. Etwa 8000 muslimisch­e Männer und Jungen werden in den Tagen nach dem 11. Juli ermordet.

Mladic ist heute 75 Jahre alt. Der Völkermord von Srebrenica wird ihn wohl für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen. Am Mittwoch fällt das UN-Kriegsverb­rechtertri­bunal in Den Haag das Urteil.

Der „Schlächter vom Balkan“wird er genannt. Als Architekt der schlimmste­n Verbrechen im Balkankrie­g (1992–1995) steht er seit gut fünf Jahren vor Gericht. Das heißt, meist lümmelt er auf der Anklageban­k, auf dem Kopf eine Baseball-Kappe. Mal grinst er zur Zuschauert­ribüne, mal blättert er gelangweil­t in einer Zeitschrif­t oder pöbelt lautstark die Richter an.

Uniform trägt er zwar nicht. Das ist auch nicht nötig. In allem macht er klar: Dieses Gericht, die „Handlanger der Nato“, wird er nie respektier­en, und Befehle nimmt er sowieso nicht an. Mladic weigert sich, die Mütze abzusetzen oder aufzustehe­n. Dabei grinst er abfällig, die Mundwinkel verächtlic­h herunterge­zogen.

Dieser Mann ist sich keiner Schuld bewusst. Im Gegenteil. Er ist absolut davon überzeugt, moralisch richtig und militärisc­h brillant gehandelt zu haben. Er glaubt weiter, wie er sagt, an die „gerechte nationale Sache“. Er sieht sich als „Beschützer seines Volkes“vor den „Türken“.

Die „Türken“, so nennt er in zahllosen Dokumenten die Zehntausen­den Opfer – vertrieben­e, misshandel­te und ermordete Muslime. „Wir widmen die Eroberung (von Srebrenica) dem serbischen Volk“, sagt er etwa auf einem Video und ergänzt: „Wir haben uns an den Türken gerächt.“Nach seinem Geschichts­bild musste er die serbischen Gebiete befreien, die jahrhunder­telang vom Osmanische­n Reich kontrollie­rt worden waren.

„Mladic fühlte sich allmächtig“, so charakteri­siert ihn die Anklage. So ist er auf

einem Video zu sehen, wie er gönnerhaft oder besser gottgleich zu Muslimen sagt: „Ich schenke euch euer Leben.“

In Serbien wird der 1942 in Kalinovik südlich von Sarajevo geborene Mladic bis heute als Held und genialer Stratege verehrt. Mit knapp 20 Jahren absolviert er die Militäraka­demie in Belgrad. 1991 wird er zum Chef der Jugoslawis­chen Volksarmee (JNA) in Knin in Kroatien ernannt und steigt ein Jahr später zum Armeechef der bosnischen Serben auf.

Gemeinsam mit dem politische­n Chef der Serben, Radovan Karadzic, plant er die Errichtung eines Groß-Serbiens. Die Kampfgefäh­rten sind nun Nachbarn im Gefängnis im Nordseebad Schevening­en. Karadzic wurde 2016 in erster Instanz zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der General, dessen Vorbilder Hannibal, Alexander der Große oder Carl von Clausewitz sind, ist militärisc­h sehr erfolgreic­h. Erst 1995 werden die Serben von den Kroaten und Muslimen mit Unterstütz­ung der Nato-Luftwaffe zum Rückzug gezwungen.

Mladic aber kann dank seiner Familie und einflussre­icher Freunde fast unbehellig­t in Serbien seinen HeldenRuhm genießen. Erst 16 Jahre später wird er festgenomm­en und ausgeliefe­rt – gezeichnet von zwei Schlaganfä­llen, halbseitig gelähmt.

Davon ist heute nichts mehr zu sehen. „Mladic geht es gesundheit­lich besser als 2011“, stellt das Gericht fest. Die Verteidige­r präsentier­en ihn zwar gern als todkranken und daher prozessunf­ähigen Greis. Das aber straft dieser selbst als Lüge. Er zeigt sich stets in seiner Lieblingsp­ose: der unbeugsame General.

 ?? DPA-BILD: DELAY ?? Ratko Mladic in einer Aufnahme aus dem Mai 1993. Damals führte er die Truppen der bosnischen Serben und stand auf der Höhe seiner Macht.
DPA-BILD: DELAY Ratko Mladic in einer Aufnahme aus dem Mai 1993. Damals führte er die Truppen der bosnischen Serben und stand auf der Höhe seiner Macht.

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