Nordwest-Zeitung

Zum Kaffeeklat­sch bei Siegfried Lenz

4ohnhaus des 2014 gestorbene­n Hamburger Schriftste­llers Siegfried Lenz wird abgerissen

- VON REINHARD TSCHAPKE

Nun debattiert die Hansestadt über eine Gedenkstät­te für den „Deutschstu­nden“-Autor. Lenz lebte bis zu seinem Tod in Othmarsche­n. Der folgende Text schildert einen Besuch.

HAMBURG/OLDENBURG – Durch einen Stau ohnehin zeitlich im Verzug, drängelte ich zum Aufbruch. Wir wollten zu einer Lesung nach Oldenburg, ich durfte als alter Bekannter von Buchmessen und etlichen Telefonate­n der Chauffeur, Begleiter und Moderator der Veranstalt­ung sein.

„Wir müssen doch noch Kaffee trinken!“Lenz winkte mit der Pfeife ins Wohnzimmer.

Seine Frau, damals war er noch mit Liselotte verheirate­t, lächelte herzlich. Widerspruc­h war zwecklos. Wenn einer der größten Dichter einlädt, einer, der in seinen Romanen und Erzählunge­n immer ein Herz für die Zarten, Freundlich­en hatte, lehnt man nicht ab. Der Tisch bog sich unter gekauften Tortenstüc­kchen der größten Art. Eingeschen­kt wurde dem Besucher, einem passionier­ten Teetrinker, der schwärzest­e Kaffee, den es je gab.

Zwischen den Happen

Lenz und Frau qualmten ohne Unterlass. Schmeckt’s? Beide lächelten, es schmeckte. Natürlich. Oder leider. Denn es hatte auch schon eine Stunde zuvor gut geschmeckt, als der Besucher flott von der Autobahn in Hamburg Richtung Pizzeria abbog, voll in dem Gedanken: Bei Lenz, mit dem man ja umgehend losfahren wollte, würde es nichts zu essen geben.

Das war die Fehleinsch­ätzung des Lebens.

Schwarzer Kaffee wurde in riesige Tassen nachgesche­nkt. Wir waren extra beim Bäcker, sagte Lieselotte Lenz, die eine wunderbare Zeichnerin und Künstlerin war und sich selbst in den Schatten immer zugunsten ihres Mannes zurücknahm. Es gibt einen Band, der Zeichnunge­n von ihr versammelt und zu dem Lenz einen wunderbare­n Text geschriebe­n hat. Eine Rarität.

Aber dieses Wissen half jetzt nicht im wunderschö­nen Altbau der Familie Lenz in Hamburg. Ein zweites Teil war fällig. Kuchen ohne Ende. SoRR in den nächsten Tagen abgerissen werden: das inzwischen marode Wohnhaus von Lenz

Es versteht sich fast von selbst, dass Herr und Frau Lenz keinen Kuchen nahmen. Wir haben schon gegessen. Der ist extra für Sie gekauft!

Das Gespräch kam zwischen den Happen auf Horst Janssen, den Oldenburge­r Zeichner, den Lenz verehrte. Eine Grafik von Janssen hing an der Wand.

Lenz nuckelte gemütlich an seiner Pfeife, seine Frau steckte sich eine Zigarette an, mein Blutdruck stieg und leiseste Andeutunge­n, wir könnten langsam losfahren, wurden vollständi­gst ignoriert. Lenz erzählte vielmehr von seinen Anfängen bei der „Welt“. Fast aus Not oder weil er glaubte, er könne es genauso gut wie andere, hatte er angefangen, sollte (was er hasste). Dass man mit dem Publikum diskutiere­n könnte (was er nicht mochte).

Eine halbe Stunde vor der Veranstalt­ung stand ich gestriegel­t vorm Hotel. Alles würde gut werden. Lenz kam mir entgegen. Ich stutzte ein wenig, weil ihm im Winter der Mantel fehlte. Er lächelte.

Wir essen noch ein Brot. Also zurück ins Hotel. Ins Restaurant, Brot bestellt.

Nerven bewahren, Frau Lenz wollte selbstrede­nd noch einen Kaffee, wie der Kaffee verrann die Zeit.

Lenz aß quälend langsam. Ich überlegte, ob es ein Gen gibt, das Dichter so verdammt ruhig werden ließ. Wir kamen schließlic­h nach einer Wahnsinnsf­ahrt eine Minute vor dem Veranstalt­ungsbeginn an. Lenz ging schnurstra­cks zum Lesungstis­ch und las, wie sonst kein deutscher Dichter las: spannend, begeistern­d, amüsant.

Er machte das Beste, was ein Dichter tun konnte: Er unterhielt die Menschen, sie folgten ihm gebannt, keine Minute war verloren.

Am nächsten Tag wollte ich ihn nach Hamburg in die Villa zurückfahr­en. Lenz lehnte ab. Wir wollten doch noch ausführlic­h essen.

Dazu lächelte er, wie nur Lenz lächeln konnte.

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BILD: NDR HAMBURG JOURNAL

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