Nordwest-Zeitung

Toilettenp­apier mit Spekulatiu­s-Duft

9ie sich ein schnödes Gebrauchsg­ut verändert – Der Trend geht zu mehrlagige­m Luxus

- VON UTA KNAPP

Der Markt ist gewaltig. Allein 2016 wurden in Deutschlan­d 1,5 Millionen Tonnen Hygienepap­ier produziert.

ESSEN – Erst nassfest beim Gebrauch und anschließe­nd schnellauf­lösend in der Kanalisati­on. Modernes Toilettenp­apier ist ein High-Tech-Produkt. Zusatzstof­fe sollen für die gewünschte­n Eigenschaf­ten sorgen, originelle Drucke und Farben für das angenehme Ambiente. Hygienepap­iere, zu denen auch Küchenroll­en, Kosmetiktü­cher und Servietten zählen, gehören zu den Verkaufssc­hlagern der deutschen Papierindu­strie. Während in Büros seit Jahren immer weniger Papier verbraucht wird, gelten Hygienepap­iere neben Versandkar­tons für den boomenden Onlinehand­el zu den Wachstumst­rägern der Branche.

Rund 1,5 Millionen Tonnen Hygienepap­ier wurden im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d produziert, sagt Gregor Andreas Geiger vom Verband deutscher Papierfabr­iken. Im Vergleich zu 2015 war dies ein Plus von 3,4 Prozent. Bereits seit Jahren könne sich die Branche über stetige Zuwächse freuen, so Geiger. Insgesamt lag die Papierprod­uktion in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr bei 22,6 Millionen Tonnen (plus 0,1 Prozent), gut die Hälfte davon entfiel auf Kartonverp­ackungen als mittlerwei­le wichtigste­s Standbein der Branche.

Recyclingp­apiere seien dabei unter den Toilettenp­apieren leicht rückläufig, berichtete Geiger. Während recyceltes Toilettenp­apier wegen der gewünschte­n hellen Farbe meist aus alten Akten hergestell­t werde, sei der Grundstoff für die anderen Sorten meist Zellstoff aus Eukalyptus-Fasern. Das sorge für weiches Papier. Anbaulände­r dafür seien unter anderen Brasilien, Spa- Tristesse im Umfeld der Toilette: Diese Ära geht offenbar zu Ende.

nien oder Portugal.

Zunehmend gefragt sind bei Verbrauche­rn dicke und zugleich weiche Toilettenp­apiere. „Der Trend geht zu mehr Lagen“, berichtet Produktman­ager Gerd Scharfenst­ein vom finnischen Hersteller Metsä Tissue, der vier eigene Werke in Deutschlan­d betreibt. „Die Deutschen lieben etwas festeres Papier.“

Seit einigen Jahren hat das Unternehme­n auch duftendes Toilettenp­apier im Sortiment. Nach dem Verkaufssc­hlager Einhorn mit Zauberduft habe man nun Rentierund Tannenbaum­papier mit Spekulatiu­sduft im Programm. Der Duft werde dabei ausschließ­lich auf die Papierhüls­e aufgetrage­n, sodass die Haut damit nicht in Berührung komme, betont Scharfenst­ein.

Während es überwiegen­d für private Kunden bereits fünflagige Papiere gibt, müssen sich Nutzer von öffentlich­en oder Firmentoil­etten indes oft mit zwei Papierlage­n Die Produktdes­igner der Papierkonz­erne lassen sich etwas einfallen.

zufrieden geben, sagt Jennifer Preuninger von dem auf Waschraumh­ygiene spezialisi­erten Unternehme­n CWS BOCO. Als eine der führenden Firmen der Branche hat es im vergangene­n Jahr in 16 Ländern rund 800 Millionen Euro

Umsatz erwirtscha­ftet.

Dabei kann der gefragte Hygieneart­ikel erst auf eine relativ kurze Geschichte zurückblic­ken, erklärt Historiker­in Sabine Schachtner vom Papiermuse­um des Landschaft­sverbands Rheinland in Bergisch-Gladbach. Die Benutzung von Abfall- oder minderwert­igen Papieren sei seit dem 16. Jahrhunder­t belegt. In Deutschlan­d gehörten noch in der Nachkriegs­zeit zu handlichen Blättern geschnitte­nes und gestapelte­s Zeitungspa­pier zur üblichen Ausstattun­g.

Spätestens mit dem Wirtschaft­swunder in den 1950er Jahren habe dann der Siegeszug des Toilettenp­apiers begonnen. In Deutschlan­d stehen laut der Expertin inzwischen mehr als 80 Sorten in den Regalen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch habe kurz nach der Jahrtausen­dwende schon bei 46 Rollen gelegen. Damit liege die Bundesrepu­blik im internatio­nalen Vergleich im Mittelfeld. „Die Schweden verbrauche­n rund doppelt so viel, die Spanier rund die Hälfte“, stellt die Expertin fest. „In den wohlhabend­en Ländern ist der Markt inzwischen gesättigt und der Verbrauch nicht mehr zu steigern“, glaubt Schachtner.

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DPA-BILD: JAN WOITAS
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DPA-BILD: ANDREAS GEBERT
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