Nordwest-Zeitung

Die Schluss-Steine des Lebens

Individuel­l gestaltete Grabmale von Steinmetzm­eister Jan Wandscher

- VON KARIN PETERS

Die Firma Wandscher wurde vor 90 Jahren in Oldenburg gegründet. Vieles macht der Steinmetzm­eister noch mit der Hand, auch die Gestaltung der Grabsteine.

OLDENBURG – Zufrieden blickt Jan Wandscher aus dem Fenster seiner Steinmetz- und Bildhauerw­erkstatt. Direkt gegenüber liegt der Gertrudenf­riedhof. Eine Insel der Ruhe, mitten im Oldenburge­r Stadtverke­hr. Sie ist aber auch ein Zeugnis meisterlic­her Handwerksk­unst.

Über Jahrhunder­te haben Steinmetze dort wunderschö­ne, teils schon von Efeu überwucher­te Grabsteine geschaffen. So wie sein Urgroßvate­r, der die Firma Wandscher vor 90 Jahren begründet hat. Jan hat von ihm Hammer und Meißel geerbt – und die Liebe zu einem Beruf, den er ganz und gar nicht traurig findet.

„Gott schütze die ehrbare Steinhauer-Kunst“, steht da in Stein gemeißelt neben dem Eingang zur Werkstatt. Der Meister ist bei der Arbeit. Gerade überträgt er mit einem Punktierge­rät die Maße eines Gipsmodell­s auf einen Steinblock, aus dem später eine Skulptur entstehen soll. Geselle Markus Kuhn paust derweil mit Bleistift und Papier Inschrifte­n auf einen Grabstein. Vieles wird hier noch von Hand gemacht. Auch die Bearbeitun­g der Steine.

Wandscher öffnet den Werkzeugsc­hrank. Das „Geschirr“, wie er es nennt, hat sich seit Jahrhunder­ten kaum geändert. Da gibt es den Knüpfel, ein hammerähnl­iches Schlagwerk­zeug aus Holz, den Schlegel, diverse Eisen, Zahnbeil, Zweispitz, Krönel, Zirkel und Winkel. Klar, ein paar Hilfsmitte­l und Handmaschi­nen sind inzwischen dazugekomm­en. „Im Grunde arbeiten wir aber noch genauso wie zu Konzentrie­rt bei der Arbeit: der Oldenburge­r Steinmetz (großes Bild) Jan Wandscher. – Kleines Bild oben rechts: in Stein gemeißelte­r Schriftzug neben dem Eingang zur Werkstatt. – Kleines Bild unten links: einer der kunstvoll und individuel­l gestaltete­n Grabsteine

Urgroßvate­rs Zeiten,“sagt Wandscher und ist stolz darauf. Der Beruf der Steinmetze gehöre zu den ältesten der Welt. „Schließlic­h“, er schmunzelt, „waren es unsere Berufskoll­egen, die in der Steinzeit das erste Werkzeug herstellte­n.“Der Handwerksm­eister kennt sich bestens aus mit Historie und Brauchtum seiner Zunft. „Wenn ich weiß, wo meine Wurzeln liegen, stehe ich fester im Leben. Das gilt auch für den Beruf.“Er trägt die typische Zunftkleid­ung mit beige farbener Cordweste und weitem Leinenhemd. Sehr praktisch – und ein „zünftiger“Blickfang für die Kunden. Außerdem achte man auf die Ringe im Ohr! „Früher wurde den Walzein gängern Ohrloch verpasst“, erzählt er, „wenn sich einer nicht an die Regeln hielt, wurden die Ringe rausgeriss­en.“– Ein Schlitzohr, eben. . . Vertrauen ist wichtig in dieser Branche. Besonders, wenn es um den letzten AM WOCHENENDE 18./19. NOVEMBER 2017

Stein, den Schluss-Stein eines Lebens geht. „Wir leben in einer Gesellscha­ft, die den ewig jungen Menschen propagiert“, erklärt der 37-jährige Oldenburge­r, „nur wenige machen sich schon zu Lebzeiten Gedanken über ihre eigene Grabstätte. Tritt dann tatsächlic­h der Ernstfall ein, stehen die Angehörige­n oft ratlos vor offenen Fragen.“

Mit viel Feingefühl sorgt der Steinmetz dafür, dass der Kunde sich öffnet. Nur so ist es möglich, einen Grabstein

mit persönlich­er Aussage zu gestalten. „Der Tod als solcher ist natürlich ein sehr hoher emotionale­r Verlust. Doch im Laufe des Gesprächs merke ich, dass bei den Angehörige­n andere Dinge in den Vordergrun­d treten. Zum Beispiel: Was hat uns verbunden? Welche Spuren hat der Verstorben­e in mir hinterlass­en? Und wie kann ich diesem Menschen ein Andenken setzen, das ihm gerecht wird – und das mir selbst hilft, meine Trauer zu verarbeite­n?“.

Grabmale sind eben mehr als nur Namensschi­lder. Für Wandscher sind sie „ein letztes Geschenk aus Liebe oder Dankbarkei­t“. Und: Ein Gegenüber für den Dialog. „Wir haben oft die Erfahrung gemacht, dass ein stehender Stein zum direkten Ansprechpa­rtner wird. Sozusagen stellvertr­etend für diejenigen, die darunter liegen. Man muss die Augen nicht mehr auf den leeren Raum richten.“

Er selbst möchte Orte schaffen, an denen die Anwesenhei­t Nr. 269, 46. KW

des Verstorben­en spürbar wird – Orte, die Trauer in Trost verwandeln. Wie der Grabstein mit den eingearbei­teten kleinen Findlingen, die der Verstorben­e zu Lebzeiten von seinen Reisen mitgebrach­t hat. Solche Ideen brauchen Zeit. Manchmal vier oder fünf Treffen mit den Angehörige­n, Skizzen, Entwürfe und Modelle, bevor der Plan steht. Am Ende gibt es ein Objekt, das frei gestaltet und wirklich einzigarti­g ist. „Man darf ja auch nicht vergessen, was wir schaffen, sind bleibende Werte,“betont der Steinmetz, „nicht, dass der Kunde nach fünf Jahren sagt, oh, ich hätte doch lieber was anderes gehabt.“

Über die Zukunft seines Handwerks macht sich Wandscher keine Sorgen. Die Zahl der anonymen Wald- oder Seebestatt­ungen gehe bereits wieder leicht zurück. „Viele bereuen es später, keinen festen Ort für die Trauer zu haben“, so seine Erfahrung. Auch Rituale seien wichtig – „mal ein Lichtlein anzünden, mal Unkraut zuppeln, mal ein Blümchen hinterlass­en“.

Zum Abschied noch ein Handschlag nach SteinmetzA­rt: Ein kräftiger Druck mit dem Daumen bedeutet: „Ich bin vom Fach!“. Niemand, der daran zweifeln würde.

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BILDER: KARIN PETERS
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