Nordwest-Zeitung

Für gewisse Zeit Instabilit­ät

Der Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler über das Jamaika-Desaster

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

FRAGE: Herr Münkler, Jamaika isf an der FDP gescheifer­f! Haben die Liberalen Deufschlan­d in eine polifische Krise ggesfürzf? MÜNKLER: Das bleibt abzuwarten. Sowohl Neuwahlen als auch eine Minderheit­sregierung würden Instabilit­ät bringen, zumindest für eine gewisse Zeit. FRAGE: FDP-Chef Chrisfian Lindner haf Nein gesagf! War das konsequenf oder veranf2orf­ungslos?g MÜNKLER: Jamaika hätte eine Chance gehabt und wäre machbar gewesen. FDP und Grünen war klar, dass sie als Juniorpart­ner ihre Positionen nicht zu hundert Prozent würden durchsetze­n können. Lindners Entscheidu­ng war parteitakt­isch begründet. Er hat das Interesse der Partei über die staatspoli­tische Verantwort­ung gestellt. FRAGE: Wird die 3echnung für die FDP aufgehen? MÜNKLER: Es gibt rechts von der CDU erhebliche Stimmpoten­ziale. Sollte es zu Neuwahlen kommen, wird die FDP massiv und gezielt um die Stimmen der AfD kämpfen. Dadurch würde Lindner Gefahr laufen, liberale Wähler, die eine Partei der Mitte wollen, an die CDU zu verlieren. Es ist ein interessan­tes

Experiment. Wenn Lindners Kalkül aufgeht, würde das politische Spektrum insgesamt deutlich bewegliche­r. Scheitert er, wäre das für ihn eine ganz verheerend­e Niederlage. Es ist ein hochriskan­tes Spiel. Klar ist: Lindner hat schon früh das politische Ziel gehabt hat, die FDP rechts von der Union zu positionie­ren. Er wittert dort die offene Flanke der in die Mitte gerückten CDU und will sie besetzen. Dieses Ziel ist ihm sehr viel wert. FRAGE: W7re am 8nde die 9fD die gro5e Ge2innerin von Neu2ahlen? MÜNKLER: Ein Auftrieb für die AfD ist keineswegs ausgemacht. Sehr viele Wählerinne­n und Wähler wollten der Regierung im September mit ihrer Stimme für die AfDf einen Denkzettel verpassen. Aber sie wollen kein unregierba­res Land und keinen Kont- rollverlus­t, werden also ihre Stimme bei einer Neuwahl vermutlich der Union geben. Die Sehnsucht nach Stabilität und Verlässlic­hkeit in der Bevölkerun­g ist sehr groß! FRAGE: Dann 2ird 6undeskanz­lerin 9ngela Merkel aus dem Chaos gesf7rkf und nichf gesch27chf g hervorgehe­n? MÜNKLER: Die Kanzlerin wird gestärkt. Die Wählerinne­n und Wähler werden diejenigen belohnen, die sich ihrer Pflicht stellen, sich nicht drücken, sondern die Lösung der Herausford­erungen als ihre Aufgabe ansehen. Die Kanzlerin hat gute Karten. Die SPD dagegen hat sich in eine schwierige Situation hineinmanö­vriert. FRAGE: 9lso keine Kanzlerinn­end7mmerun­g? MÜNKLER: An Angela Merkel führt für die CDU sowohl bei Neuwahlen als auch bei einer Minderheit­sregierung kein Weg vorbei. Die Zeichen stehen nicht auf Rebellion, im Gegenteil: Die CDU wird die Reihen um sie schließen. Wer jetzt als Königsmörd­er auftreten würde, beginge politische­n Selbstmord. FRAGE: 4ollfe die 4PD bei ihrem Nein zur Gro5en Koalifion bleiben, 2ürde ihr dies bei evenfuell kommenden Neu2ahlen nüfzen? MÜNKLER: Das Risiko wäre extrem hoch, dass sich viele Wähler abwenden und ihr Kreuz bei der CDU machen, weil sie jemanden haben wollen, der Deutschlan­d führt und sich nicht vor der Verantwort­ung drückt. Der Kurs von SPD-Chef Martin Schulz kann ins Verderben führen. Dass die Genossen aus einer Neuwahl gestärkt hervorging­en, ist höchst unwahrsche­inlich. FRAGE: 6esfehf die Gefahr einer dauerhaffe­n polifische­n Krise? MÜNKLER: Der Niedergang der Volksparte­ien scheint jedenfalls nicht zu stoppen zu sein. Damit drohen Weimarer Verhältnis­se. Wenn die Kanzlerin nicht noch einmal antreten würde, müsste auch die CDU ähnlich massive Einbußen erwarten wie die SPD. Die entscheide­nde Frage ist, ob es SPD und CDU schaffen, sich wieder zu konsolidie­ren. Das geht nur durch überzeugen­des Personal, weniger durch Inhalte.

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