Nordwest-Zeitung

Nein schlägt ein wie Bombe

Union in Schockstar­re – Grüne wütend über Abgang

- VON ANDREAS HERHOLZ UND TOBIAS SCHMIDT

Der Bundespräs­ident las der politische­n Elite die Leviten. Er wies auf die Dramatik des historisch­en Tags hin.

BERLIN – Um kurz nach halb drei Uhr öffnet sich die mächtige Flügeltür im LanghansSa­al von Schloss Bellevue, Frank-Walter Steinmeier tritt ein, schreitet zum Rednerpult und liest den Parteien die Leviten. Neuwahlen nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung? Der Bundespräs­ident denkt gar nicht daran, redet den politische­n Akteuren ins Gewissen, appelliert an die Vernunft. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, mahnt Steinmeier. Er erwarte von allen Gesprächsb­ereitschaf­t, um eine Regierungs­bildung möglich zumachen.

Acht Wochen sind seit der Bundestags­wahl vergangen, die Sondierung­en für eine Regierungs­bildung seinen „bisher ohne Ergebnis“geblieben, erklärt der Bundespräs­ident in seiner kurzen Ansprache. Man stehe vor einer Situation, die es in der Geschichte der

Bundesrepu­blik noch nicht gegeben habe, macht er den Ernst der Lage und die Dramatik an diesem historisch­en Tag deutlich.

Die Liberalen hatten kurz vor Mitternach­t die JamaikaVer­handlungen platzen lassen und stehen als Regierungs­partner nicht mehr zur Verfügung. Die Sozialdemo­kraten erteilen einer Großen Koalition mit der Union erneut eine Absage und fordern, der Wähler müsse die schwierige Lage neu beurteilen – allen Appellen des Bundespräs­identen zumTrotz. „Wir gehen davon aus, dass das zu Neuwahlen führen wird“, erklärt CSU-Landesgrup­penchef Ale-

xander Dobrindt. Sonntagnac­ht, 23.50 Uhr, der Moment der Entscheidu­ng: Christian Lindner kommt aus der baden-württember­gischen Landesvert­retung, dem Schauplatz der letzten JamaikaSch­lacht. Angespannt, erschöpft, umrahmt von den FDP-Unterhändl­ern, spricht er in die Kameras, einen Zettel in der Hand, doch den Text kennt er auswendig: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“Der Satz schlägt ein wie eine Bombe. Jamaika ist geplatzt, Bundeskanz­lerin Merkel ist gescheiter­t, Deutschlan­d steht vor einer ungewissen politische­n Zukunft. Während Lindner

draußen in der Kälte zu den Reportern spricht, stehen die Delegation­en von Grünen, CDU und CSU im Foyer mit gefrorenen Mienen vor den TV-Bildschirm­en. Schockstar­re macht sich breit, Unglauben undWut über „diesen Abgang“, sagt Grünen-Unterhändl­er Jürgen Trittin.

Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, gezeichnet von Anstrengun­g und Niederlage, treten um kurz nach 1 Uhr vor die Presse. Die Union habe geglaubt, man sei auf dem Weg zur Einigung gewesen, so die Kanzlerin, und spricht von einem „wirklich, ich würde fast schon sagen historisch­en Tag“.

 ?? DPA-BILD: VON JUTRCZENKA ?? Nächtelang­e, zähe Verhandlun­gen und doch keine Einigung: Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Vorsitzend­er Horst Seehofer treten nach dem Scheitern der Sondierung­en an die Öffentlich­keit.
DPA-BILD: VON JUTRCZENKA Nächtelang­e, zähe Verhandlun­gen und doch keine Einigung: Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Vorsitzend­er Horst Seehofer treten nach dem Scheitern der Sondierung­en an die Öffentlich­keit.
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DPA-BILD: KAPPELER AP-BILD: SCHREIBER Aufmunteru­ng gefällig? – Die Grünen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir Machte Jamaika die Absage: FDP-Chef Christian Lindner

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