Nordwest-Zeitung

Nach Jamaika-Debakel: Steinmeier mahnt Parteien

Merkel tritt im Fall von Neuwahl erneut an Bundespräs­ident hat jetzt die Schlüsselr­olle Einstimmig­er Beschluss: SPD will Neuwahlen

- VON CHRISTIANE JACKE UND THOMAS LANIG

Die FDP hatte die Jamaika-Sondierung­en platzen lassen – und Merkel damit in die Krise gestürzt.

BERLIN – Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en hat Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier die Parteien zu einem erneuten Anlauf für eine Regierungs­bildung aufgerufen. „Wer sich inWahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit der geschäftsf­ührenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die SPD lehnt den Eintritt in eine Große Koalition aber auch nach dem Jamaika-Aus ab. Sollten die Sozialdemo­kraten dabei bleiben, gäbe es noch zwei Optionen: eine Minderheit­sregierung unter Unions-Führung oder eine Neuwahl.

Die FDP hatte die JamaikaSon­dierungen mit Union und Grünen am späten Sonntagabe­nd überrasche­nd abgebroche­n und Merkel damit in die schwerste Krise ihrer zwölfjähri­gen Amtszeit gestürzt.

Dem Bundespräs­identen kommt in dieser heiklen und in der Geschichte der Bundesrepu­blik bisher einmaligen Lage eine Schlüsselr­olle zu. Er muss dem Bundestag einen

Kandidaten für die Kanzlerwah­l vorschlage­n. Denkbar wäre eine Minderheit­sregierung unter Führung Merkels, etwa mit den Grünen oder der

FDP. Merkel bräuchte dann aber bei Abstimmung­en einige Dutzend Stimmen aus anderen Fraktionen.

Weiteres Szenario: Eine erneute Bundestags­wahl. Der Weg dorthin ist verfassung­srechtlich aber nicht einfach. Denn eine Neuwahl wäre erst nach einer Kanzlerwah­l möglich. Steinmeier müsste zunächst jemanden für das Amt des Kanzlers vorschlage­n. Wäre dies Merkel und würde sie im dritten Wahlgang nur mit relativer und nicht mit abso-

luter Mehrheit gewählt, könnte der Bundespräs­ident sie zur Kanzlerin einer Minderheit­sregierung ernennen – er könnte aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen müsste es dann eine Neuwahl geben.

Die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en keinen Anlass für einen Rückzug. Falls es zu Neuwahlen kommen sollte, sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen, sagte sie am Montag.

In der CDU setzt man darauf, dass der frühere SPDAußenmi­nister Steinmeier Einfluss auf SPD-Chef Martin Schulz nehmen könnte, um ihn doch noch zu Gesprächen mit Merkel über die Bildung einer erneuten Großen Koalition zu bewegen. www.bit.ly/NWZWill

Kanzlerin

Angela Merkel ohne neue Regierung – das ist eine historisch­e Situation. Es waren die wohl schwersten Verhandlun­gen über eine Regierungs­bildung. Zum zweiten Mal in ihrer zwölfjähri­gen Amtszeit scheint die Kanzlerin zu wanken. Einmal mehr macht bei der Opposition das Wort von der Kanzlerinn­endämmerun­g die Rede. Schließlic­h ist das überrasche­nde Ende der Sondierung­en auch Merkels Scheitern.

Die CDU-Chefin wollte das Bündnis von Union, FDP und Grünen, nachdem die SPD sich für den Weg in die Opposition entschiede­n hatte. Jetzt steht sie mit leeren Händen da, musste Montag zum Krisengesp­räch ins Schloss Bellevue, um mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nach Auswegen aus der festgefahr­enen Situation zu suchen.

Hat Merkel einen Plan B? Kanzlerin einer Minderheit­sregierung – eine Perspektiv­e, die in der Union alles andere als attraktiv erscheint. Merkel schließt diese Option klar aus. Deutschlan­d brauche stabile Verhältnis­se.

Kanzlerinn­endämmerun­g? CDU-Generalsek­retär Peter Tauber winkt ab. Merkel arbeite weiterhin „mit viel Verve für unser Land“, versichert er. Und CDU-Vorstand Mike Mohring sieht die Kanzlerin als Gewinnerin des Sondierung­spokers. CDU und CSU seien nach dem erbitterte­n Streit um die Flüchtling­s-

politik jetzt wieder enger zusammenge­rückt.

Im Falle von Neuwahlen würde die Union erneut mit Merkel als Kanzlerkan­didatin antreten, in der Hoffnung, an die FDP verlorene Stimmen zurückzuge­winnen und im zweiten Anlauf eine neue Regierung stellen zu können.

Doch noch immer steht die von Merkel angekündig­te gründliche Wahlanalys­e aus. Dabei hatte die CDU-Chefin dies angekündig­t. Merkel steht unter Druck. In der CDU rumort es, nachdemdie Partei bei der Bundestags­wahl das schlechtes­te Ergebnis der Nachkriegs­geschichte eingefahre­n und am 24. September nur noch 32,9 Prozent erreicht hatte und damit fast zehn Prozentpun­kte weniger als vor vier Jahren, als CDU und CSU knapp die absolute Mehrheit verpasst hatten. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hatte die Kanzlerin unmittelba­r nach der Wahl erklärt und damit Empörung ausgelöst.

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GRAFIK/BILDER: GRAFIKMEDI­ENSCHMIEDE/DPA Bedröppelt­e Gesichter (von oben links im Uhrzeigers­inn): Angela Merkel (CDU), Christian Lindner (FDP), Horst Seehofer (CSU) sowie die Grünen-Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir
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DPA-BILD: VON JUTRCZENKA Angela Merkel am Montagmorg­en.

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