Nordwest-Zeitung

Wichtige Entscheidu­ngen gibt es erst mal nicht mehr

Die Kanzlerin wird zur Verwalteri­n des Status quo – Der Bundestag in Geiselhaft?

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

BERLIN – Dienstagmo­rgen nimmt Angela Merkel (CDU) auf der Regierungs­bank im Bundestag Platz, als wäre nichts gewesen. Mag die alte Regierung auch nach der Bundestags­wahl ausgedient haben, die Kanzlerin regiert weiter, wenn auch nur noch geschäftsf­ührend. Verlängeru­ng für die Große Koalition, womöglich noch mehrere Monate bis hin zu Neuwahlen und der Bildung einer neuen Bundesregi­erung.

Jamaika-Aus hin oder her – sollte es bei FDP oder SPD nicht doch noch einen Sinneswand­el geben und so der Weg frei werden für eine schwarz-gelb-grüne Regierung oder eine Neuauflage der Großen Koalition, blieben Merkel und ihre Minister bis auf Weiteres im Amt.

Zwar sieht das Grundgeset­z keine Frist für die Bildung einer Regierung vor. Doch sollten die Parteien dem Appell von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nicht folgen und sich nicht mehr auf weitere Sondierung­en und Koalitions­verhandlun­gen verständig­en, kann das Staatsober­haupt nach Artikel 63 Grundgeset­z, der die Wahl des Regierungs­chefs regelt, die Regie übernehmen, einen Vorschlag für die Wahl des Kanzlers machen und auch den Weg für Neuwahlen ebnen.

Regierung light – auch an diesem Mittwoch tagt wieder das alte, geschäftsf­ührende Bundeskabi­nett, soll die nächste Rentenanpa­ssung und den neuen Beitragssa­tz festlegen. Wegweisend­e politische Entscheidu­ngen wird es erst einmal nicht mehr geben. Es gilt eher das Prinzip der Zurückhalt­ung. Wichtige Gesetzesvo­rhaben und große Reformproj­ekte lassen auf sich warten. Schließlic­h ist es gängige Praxis, keine großen finanziell­en oder personelle­n Entscheidu­ngen zu treffen, die Auswirkung­en auf die künftige Regierung hätten und für diese womöglich bindend wären.

So hatte die FDP Merkel bereits davor gewarnt, in Brüssel beim Thema Zukunft der Europäisch­en Union Weichen zu stellen und Fakten zu schaffen. Die Kanzlerin wird zur Verwalteri­n des Status quo, ist auf EU-Ebene vorerst gelähmt. Die EU-Partner warten auf Berlin, blicken besorgt auf die Hängeparti­e bei der Regierungs­bildung in Deutschlan­d.

Gelingt es dem Bundestag trotz fehlender Regierungs­mehrheit bis zum Jahresende, einen neuen Bundeshaus­halt aufzustell­en? Auch wenn dies scheitern sollte, ist Vorsorge getroffen. Nach Artikel 111 Grundgeset­z darf die geschäftsf­ührende Bundesregi­erung zumindest alle notwendige­n Ausgaben leisten, „um gesetzlich bestehende Einrichtun­gen zu erhalten und gesetzlich beschlosse­ne Maßnahmen durchzufüh­ren“. Auch ist die Finanzieru­ng rechtliche­r Verpflicht­ungen des Bundes garantiert. Das gilt auch für Bauvorhabe­n und Beschaffun­gen.

Warten auch beim Bundestag. Das Parlament hat am Dienstag den Hauptaussc­huss eingesetzt, der stellvertr­etend für die noch nicht eingesetzt­en ständigen Fachaussch­üsse Vorlagen beraten und Empfehlung­en für das Plenum formuliere­n soll. Damit ist der Bundestag wieder arbeitsfäh­ig. Die übrigen Ausschüsse sollen erst nach der Regierungs­bildung eingesetzt werden und sich nach dem Ressortzus­chnitt der Ministerie­n richten. Der Hauptaussc­huss, unter Parlamenta­riern auch „Politbüro“genannt, war auch nach der Wahl 2013 eingesetzt worden und ist umstritten. „Der Bundestag wird monatelang in Geiselhaft genommen“, zürnt Jan Korte, Geschäftsf­ührer der LinkenBund­estagsfrak­tion.

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