Wichtige Entscheidungen gibt es erst mal nicht mehr
Die Kanzlerin wird zur Verwalterin des Status quo – Der Bundestag in Geiselhaft?
BERLIN – Dienstagmorgen nimmt Angela Merkel (CDU) auf der Regierungsbank im Bundestag Platz, als wäre nichts gewesen. Mag die alte Regierung auch nach der Bundestagswahl ausgedient haben, die Kanzlerin regiert weiter, wenn auch nur noch geschäftsführend. Verlängerung für die Große Koalition, womöglich noch mehrere Monate bis hin zu Neuwahlen und der Bildung einer neuen Bundesregierung.
Jamaika-Aus hin oder her – sollte es bei FDP oder SPD nicht doch noch einen Sinneswandel geben und so der Weg frei werden für eine schwarz-gelb-grüne Regierung oder eine Neuauflage der Großen Koalition, blieben Merkel und ihre Minister bis auf Weiteres im Amt.
Zwar sieht das Grundgesetz keine Frist für die Bildung einer Regierung vor. Doch sollten die Parteien dem Appell von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht folgen und sich nicht mehr auf weitere Sondierungen und Koalitionsverhandlungen verständigen, kann das Staatsoberhaupt nach Artikel 63 Grundgesetz, der die Wahl des Regierungschefs regelt, die Regie übernehmen, einen Vorschlag für die Wahl des Kanzlers machen und auch den Weg für Neuwahlen ebnen.
Regierung light – auch an diesem Mittwoch tagt wieder das alte, geschäftsführende Bundeskabinett, soll die nächste Rentenanpassung und den neuen Beitragssatz festlegen. Wegweisende politische Entscheidungen wird es erst einmal nicht mehr geben. Es gilt eher das Prinzip der Zurückhaltung. Wichtige Gesetzesvorhaben und große Reformprojekte lassen auf sich warten. Schließlich ist es gängige Praxis, keine großen finanziellen oder personellen Entscheidungen zu treffen, die Auswirkungen auf die künftige Regierung hätten und für diese womöglich bindend wären.
So hatte die FDP Merkel bereits davor gewarnt, in Brüssel beim Thema Zukunft der Europäischen Union Weichen zu stellen und Fakten zu schaffen. Die Kanzlerin wird zur Verwalterin des Status quo, ist auf EU-Ebene vorerst gelähmt. Die EU-Partner warten auf Berlin, blicken besorgt auf die Hängepartie bei der Regierungsbildung in Deutschland.
Gelingt es dem Bundestag trotz fehlender Regierungsmehrheit bis zum Jahresende, einen neuen Bundeshaushalt aufzustellen? Auch wenn dies scheitern sollte, ist Vorsorge getroffen. Nach Artikel 111 Grundgesetz darf die geschäftsführende Bundesregierung zumindest alle notwendigen Ausgaben leisten, „um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen“. Auch ist die Finanzierung rechtlicher Verpflichtungen des Bundes garantiert. Das gilt auch für Bauvorhaben und Beschaffungen.
Warten auch beim Bundestag. Das Parlament hat am Dienstag den Hauptausschuss eingesetzt, der stellvertretend für die noch nicht eingesetzten ständigen Fachausschüsse Vorlagen beraten und Empfehlungen für das Plenum formulieren soll. Damit ist der Bundestag wieder arbeitsfähig. Die übrigen Ausschüsse sollen erst nach der Regierungsbildung eingesetzt werden und sich nach dem Ressortzuschnitt der Ministerien richten. Der Hauptausschuss, unter Parlamentariern auch „Politbüro“genannt, war auch nach der Wahl 2013 eingesetzt worden und ist umstritten. „Der Bundestag wird monatelang in Geiselhaft genommen“, zürnt Jan Korte, Geschäftsführer der LinkenBundestagsfraktion.