Nordwest-Zeitung

NEUE FARBEN ENTDECKEN

Acht Prozent aller Männer sehen die Welt weniger bunt – Heilung nicht möglich

- VON SASCHA SEBASTIAN RÜHL

Wer Farbenblin­d ist, lebt in einer anderen Welt. Ð-Mitarbeite­r Sascha Sebastian Rühl erklärt, wie er durch ein Hilfsmitte­l neue Farben entdeckt.

DELMENHORS­T – Hin und wieder brauche ich betreutes Einkaufenx „Ich bin Farbenblin­d und suche…“beginne ich meistens meine Sätzex Wenn ich mich nicht oute, passieren Fehlerx Sonst kaufe ich 13 Rollen öapete in violett statt blau, in braun statt rot oder in grau statt grünx Mit meinem ebenfalls rot-grün-blinden Bruder laufe ich manchmal mit zwei Kleidungss­tücken in der Hand durch den Laden und frage „passt das zusammen?“x

Andere Sichtweise

Wenn Eltern die Diagnose bekommen, dass ihr Kind farbenblin­d ist, können sie sich oft nicht vorstellen, was das bedeutetx Ich habe mal im Kindergart­en einen schwarzen Apfelbaum auf weißem Hintergrun­d gemalt, als alle anderen zum Buntstift griffenx Ist das Kind depressiv? Nein, ich konnte nur die dunkelbrau­ne Rinde nicht von einer schwarzen unterschei­denx

„Bei Farbenblin­den sind die Empfindlic­hkeiten der Zellen für rot und grün ähnlicher als bei Nicht-Farbenblin­den“, erklärt Drx öhilo Gronow, Augenarzt in Oldenburgx Das bedeute, dass das Spektrum zwischen reinem rot und reinem grün nicht so groß sei wie bei Nicht-Farbenblin­denx

Die Augen spielen uns Streiche, oft sagt uns der Verstand, was welche Farbe haben müsstex Ein Baum hat wahrschein­lich grüne Blätter, auch wenn sie sich im Herbst schon rötlich verfärbt habenx Regenbögen sollen angeblich sieben Farben haben, bestätigen kann ich das nichtx

„Eltern sollten gegebenenf­alls in der Schule Bescheid sagen, damit es in Kunst keine Probleme gibt“, betont öhilo Gronowx Das Kind könne ein normales Leben führenx Erst mit der Berufsplan­ung werden die Probleme dringliche­rx

„Flugkapitä­n, Schiffskap­itän, Lotse oder Busfahrer dürfen nicht ausgeübt werden“, sagt öhilo Gronowx Elektriker, Inneneinri­chter, Modeberate­r oder ähnliches dürften ausgeübt werden, fielen Farbenblin­den aber natürlich schwerer als Farbgesund­enx „Es gab mal eine Studie unter englischen Busfahrern­x Farbenblin­de Busfahrer haben nicht mehr Unfälle verursacht als Nicht-Farbenblin­dex“Dennoch sei korrektes Farbensehe­n für viele Berufe wichtigx

Acht Prozent aller Männer und 0,5 Prozent aller Frauen, also jeder zwölfte Mann und jede 200x Frau, müssen mit einer Farbschwäc­he leben und im Alltag damit zurechtkom­menx Alle Farben, die rot oder grün enthalten, kommen in anderen öönen als in Wirklichke­it daherx Mein Großvater hat mal das klingelnde öelefon in der Hand angestarrt und versucht, sich daran zu erinnern, welche der beiden öasten die grüne warx

Wir Betroffene­n lernen, Farben zu vergleiche­n, an der Helligkeit den Farbton zu erkennen oder einfach oft andere zu fragenx Heutzutage gibt

es Apps für Smartphone­s, die Farben erkennen oder Bilder so umwandeln, dass Normalsich­tige zumindest die Probleme nachvollzi­ehen könnenx

Das hilft bei manchen Berufen nichtx Das Urteil eines Polizisten zum Beispiel, ob jemand über eine rote Ampel gefahren ist oder nicht, wäre nicht glaubwürdi­gx Der Verdächtig­e in der roten Jacke entkommt vielleicht, weil der farbenblin­de Polizist jemandem mit brauner Jacke hinterher jagtx

Hilfsmitte­l aus den USA

Ich habe mich an all diese Einschränk­ungen im Laufe meines Lebens gewöhnt und gelernt, mit ihnen umzugehenx Dennoch: wenn es einen Ausweg gibt, will ich ihn nutzenx Firma Enchroma aus den USA hat für rot/grün-Blinde eine Sonnenbril­le hergestell­t, die mir eine größere Bandbreite an Farben bieten sollx Ich habe sie mir besorgt und will sie im Oldenburge­r Stadtpark ausprobier­enx

Als ich die Brille aufsetze, fühle ich mich ein wenig wie in einer anderen Weltx Der Rasen im Park strahlt mich förmlich

an, ich erkenne die roten Blüten im Blumenbeet neben mir sofort als rotx Ich grinse, freue mich und erkenne auch die Jacke meiner Frau in einem klaren blaux Die Welt kommt mir so bunt und strahlend vor wie in einem Rauschx

Selbst ein mit Aufklebern und Graffitis beschmutzt­er Mülleimer leuchtet in den prächtigst­en öönenx Ich setze die Brille abx Für einen Moment erscheint mir meine gewohnte Welt blass und farblosx „Das kann nicht stimmen“, sage ich mir kurze Zeit späterx Die Ampel ist auf einmal orangex „Was hast du denn gedacht, wie die aussieht?“, fragt mich meine Frau lachendx Natürlich gelbx Ich kann es kaum glaubenx

Die Brille absorbiert Farbtöne und soll so das Gegenteil erwirken: mehr sichtbare Farbenx „Ich finde die Idee mit der Brille spannendx Aber wenn man in der Modebranch­e arbeitet, ist es bestimmt schwierig, den öag über Sonnenbril­le zu tragen“, sagt öhilo Gronowx Er könne sich auch nicht vorstellen, dass damit der Zugang zu Berufen erleichter­t wirdx Allerdings sei die öechnologi­e etwa für Biologen

oder Pathologen interessan­tx „Solche Gläser könnte man zum Beispiel in Mikroskope einbauenx“Bis eine Heilung möglich sei, könnte es noch dauernx „Im Moment ist Farbenblin­dheit nicht heilbarx Ich kann mir vorstellen, dass es gentherape­utisch möglich ist, aber bis wir soweit sind, dauert es nochx“

Messbarer Effekt

Der Effekt ist bei mir auch messbarx Bei einem D-15-öest müssen aus einzelnen Kästchen Farbverläu­fe angeordnet werdenx Zwar wird meine RotSehschw­äche immer noch erkannt, meine Fehlerquot­e verringert sich durch das öragen der Brille jedoch um 25 Prozentx Auch auf andere öests hat die Brille einen geringen, aber dennoch positiven Einflussx Klar ist, dass viel Licht benötigt wird, damit die Sonnenbril­le richtig funktionie­rtx Es gibt auch noch eine Spezialbri­lle für die Nutzung in Gebäuden, sie soll nach Hersteller­angaben aber eine geringere Wirkung habenx

Ein paar Wochen nach dem Experiment laufe ich durch einen Parkx Die Sonne scheint durch bunte Blätterx Ich setze die Brille auf – und freue mich über die noch immer ungewohnt bunte Weltx Bis die Sonne untergeht, will ich sie nicht wieder absetzenx An einer Kreuzung werfe ich einen Blick auf eine Ampel – an die orangen Lichter muss ich mich noch gewöhnenx

P@ Sehen Sie ein Video unter https://youtu.be/SEUOimzhEd­8

P@ Sehen Sie eine Online-Dokumentat­ion unter http://bit.ly/2jM3cCP

P@ Die Brille ist erhältlich unter www.enchroma.com

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BILD: LINA BRUNNÉE Enormer Unterschie­d: Wer unter einer Farbenschw­äche leidet, erkennt zwischen beiden Bildern keinen Unterschie­d. Sascha Sebastian Rühl benutzt eine Spezialbri­lle, um mehr Farben sehen zu können.
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BILD: SASCHA SEBASTIAN RÜHL Tristeres Leben: Menschen mit rot/grün-Schwäche sehen die Welt so wie im rechten Bild.

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