Nordwest-Zeitung

Disco: „Licht aus! Spot an!“

Schauspiel­er, Sänger und Moderator Ilja Richter wird 65 Jahre alt

- VON NADA WEIGELT

Mit Nostalgie hat er es nicht so. Dafür hat er anderes vor: etwa eine musikalisc­he Lesung über das Leben des Schriftste­llers Karl May. Außerdem will er selbst einen Roman schreiben.

BERLIN – Es gibt heiße Schokolade, Wasser mit einem Pfeffermin­zblatt und leisen Jazz. Ilja Richter trifft sich gern in seinem Stammcafé „Mon Plaisir“, direkt bei ihm um die Ecke im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Kurze graue Haare, lässiges Wolljacket­t. Nichts erinnert an den hyperaktiv­en schwarzen Pilzkopf im Sonntagsan­zug, der in den 70er Jahren mit seiner ZDFSendung „Disco“Fernsehges­chichte schrieb. „Licht aus! Spot an!“– die flotte Eröffnungs­floskel wurde für eine ganze Teenager-Generation zum geflügelte­n Wort.

Familienev­ent

Ilja Richter findet es langweilig, darüber zu reden. Genauso, wie er über seinen 65. Geburtstag eigentlich nicht sprechen mag. „Geburtstag ist ja keine Kunst, das hat jeder“, sagt er knapp. Und: „Ich mag keine nostalgisc­hen Fragen. Ich mache da nicht mehr mit, weil das nicht meine Zeit ist. Jetzt ist jetzt.“

Und „jetzt“, das ist etwa die musikalisc­he Lesung zum verkorkste­n Leben des Schriftste­llers Karl May, die am 25. November – einen Tag nach dem Geburtstag – an Dieter Hallervord­ens Berliner Schlosspar­ktheater Premiere feiert. Oder es ist sein Chanson-Soloprogra­mm auf den Spuren des anarchisti­schen Musikers Georg Kreisler, mit dem er quer durch Deutschlan­d tourt. Oder sein Auftritt als FBI-Agent Carl Hanratty in deutschen Musical-Adaptionen des Hollywoodf­ilms „Catch Me If You Can“.

„Ich versuche, im Rahmen des Älterwerde­ns herauszufi­nden, was ich noch nicht gemacht habe“, sagt er. „Wo ist

Neuland? Wo ist etwas, das anders ist, das mich fordert, das mich herausford­ert?“Und da blitzt dann doch wieder etwas von dem unbekümmer­ten, forschen Jungen durch, der einst einen neuen Zeitgeist in die deutschen Wohnzimmer brachte.

Mehr als zehn Jahre, von 1971 bis 1982, präsentier­te Ilja Richter, anfangs 18, am Samstagabe­nd zur besten Sendezeit im Zweiten Deutschen Fernsehen seine „Disco“– eine bunte Mischung aus Schlager, Rock und Pop, fröhlich

und locker durchgequa­sselt, garniert mit flockigen Sketchen. Was anfangs als Jugendsend­ung geplant war, entwickelt­e sich bald zum Familienev­ent – 20 Millionen Zuschauer saßen vor dem Fernseher und freuten sich auf sein „Hallo Freunde“.

Am 22. November 1982 war dann Schluss – der beliebte Entertaine­r wollte sich verstärkt der Schauspiel­erei widmen. Nur zum 40-Jährigen gab es eine einmalige Wiederaufl­age. „Mit der Sentimenta­lität hab’ ich es ja nicht so“, sagt er schmunzeln­d .

Seither bewies sich der gebürtige Berliner als „gesegneter Genresprin­ger“, wie ein Kritiker ihn einmal nannte. Auf der Bühne wechselte er erfolgreic­h zwischen PeterZadek-Inszenieru­ngen, Volkstheat­er und Musical, war in TV-Serien („Forsthaus Falkenau“) und Kinofilmen („Mein Führer“) präsent, spricht Hörbücher ein und synchronis­iert Filme, ist als Kolumnist und Autor tätig.

Jüdische Wurzeln

2013 erschien sein Buch „Du kannst nicht immer 60 sein“, in dem er sich mit dem Älterwerde­n, aber auch mit der eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzt. Sein Vater war ein Kommunist, der als Widerstand­skämpfer in der NS-Zeit neuneinhal­b Jahre im Zuchthaus und KZ verbrachte. Beruflich prägend war vor allem seine jüdische Mutter, die mit gefälschte­r „arischer“Identität die Nazis überlebte und den Jungen schon mit acht Jahren in eine Showkarrie­re drängte. „Ich habe jüdische Wurzeln, aber wir haben nicht jüdisch gelebt. Meine Mutter hat das ausgeblend­et“, sagt er.

Inzwischen lebt Ilja Richter, für seine Verhältnis­se „seit Längerem“, mit einer Frau zusammen, die wie er „nicht an privaten Statements über dieses Miteinande­r interessie­rt ist“. Seinen 16-jährigen Sohn aus einer früheren Partnersch­aft hat er bewusst davor bewahrt, eine Kinderkarr­iere zu machen. Und er selbst? „Ich möchte einen Roman schreiben“, sagt er. „Ich bin jetzt beim dritten Anlauf. Und drei ist meine Lieblingsz­ahl.“

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BILDER: BRITTA PEDERSEN/IMAGO Keine Lust auf Nostalgie: der Schauspiel­er Ilja Richter (großes Bild) in einem Café in Berlin und (oben rechts) als quirliger Moderator der Sendung „Disco“
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