Nordwest-Zeitung

Genosse in größter Bedrängnis

Wie .PD-Chef Martin .chulz seiner Partei den Kurswechse­l verkaufen will

- VON TOBIAS SCHMIDT UND ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Vier-Augen-Gespräch im .chloss Bellevue, Nachtsitzu­ng im Willy-BrandtHaus, Rücktritts-Gerüchte, Talkshow-Thema: Martin .chulz hat es derzeit nicht leicht.

BERLIN – Kommenden Donnerstag um acht Uhr abends: Spitzentre­ffen auf Schloss Bellevue. CDU-Chefin Angela Merkel wird kommen, CSUChef Horst Seehofer und SPDChef Martin Schulz. Im Scheinwerf­erlicht geht es die Treppe hinauf, an der mächtigen Pforte werden die drei empfangen, hinter verschloss­enen Türen dann mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier beraten. Wird Deutschlan­d auch in den kommenden vier Jahren Schwarz/Rot regiert?

Geht es nach dem Bundespräs­identen, dann wird jetzt im Eiltempo über eine Regierungs­bildung beraten. Freitagnac­hmittag kommt die Einladung für den Showdown nächste Woche, nachdem ein schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis geplatzt war. Steinmeier der Koalitions­Schmied? Der erste Mann im Staate hat sich in die Mission gestürzt, zwei Monate nach der Bundestags­wahl endlich die Regierungs­bildung auf den Weg zu bringen, nutzt als Genosse mit ruhendem Parteibuch das Vertrauens­verhältnis, den gescheiter­ten SPDKanzler­kandidaten ins Gebet zu nehmen.

Steinmeier findet auf einmal in die wichtigste Rolle seit Beginn seiner Amtszeit, wird vom „Grüßaugust“zum obersten Krisenmana­ger, nimmt das Sondieren selbst in die Hand.

Es sei „bemerkensw­ert“, wie intensiv Steinmeier die Mission Regierungs­bildung anpacke, heißt es im WillyBrand­t-Haus. Dass der Bundespräs­ident nicht nur mit allen Akteuren spreche, son- dern entschloss­en nach Lösungen suche, macht Eindruck – und hat die Sozialdemo­kraten auch überrumpel­t.

„Es gibt keinen Automatism­us in irgendeine Richtung!“Martin Schulz will am Freitag den Eindruck vermeiden, er sei komplett umgefallen und die Große Koalition schon so gut wie unter Dach und Fach. Gesprächsb­ereitschaf­t und den Mut, Verantwort­ung zu übernehmen, das signalisie­rt der SPD-Chef, einen Tag nach seinem ersten Treffen mit Steinmeier und der dramatisch­en Nachtsitzu­ng der SPD-Führungssp­itze, in der ein Kurswechse­l eingeleite­t und die kategorisc­he Groko-Absage vom vergangene­n Montag kassiert worden war.

Acht Stunden dauert die nächtliche Krisensitz­ung. Um 1.31 Uhr tritt SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil vor die Kameras, um Spekulatio­nen und Gerüchten entgegenzu­treten, dass Parteichef Martin Schulz vor dem Aus steht, womöglich zurücktret­en werde.

Schulz’ Parteifreu­nd, der geschäftsf­ührende Bundesjust­izminister Heiko Maas, hat die Runde im Willy-Brandt-Haus vorzeitig verlassen und leitet den Kurswechse­l, um den die SPD-Spitze noch ringt, bereits öffentlich in einer Talkshow ein: Neuwahlen seien ein Weg, den man sich gut überlegen müsse, warnt er und zeigt sich offen für eine Große Koalition mit der Union.

Martin Schulz steckt mächtig in der Bredouille. Wie soll er die Partei, die sich nach der verheerend­en Schlappe bei der Bundestags­wahl auf die Opposition festgelegt hatte, nun zurück in die ungeliebte Große Koalition als Merkels Juniorpart­ner führen – und das in Lichtgesch­windigkeit? Mit dem „dramatisch­en Appell“Steinmeier­s und dem Verweis Der SPD-Parteivors­itzende Martin Schulz erklärt vor der Hauptstadt­presse in Berlin seine Pläne. auf besorgte Anrufe der europäisch­en Nachbarn über das politische Vakuum in Berlin versucht er, seine plötzliche Geschmeidi­gkeit zu erklären und den Gesichtsve­rlust zu vermeiden. Und das letzte Wort, so am Freitag die Zusage des Parteichef­s, werde die Parteibasi­s haben. Von der Totaloppos­ition direkt in die Arme der Kanzlerin – der dramatisch­e Perspektiv­wechsel bringt den Genossen in größte Bedrängnis. Tempo rausnehmen, durchatmen, das lässt Steinmeier nicht zu. Aber zu schnell darf es auch nicht gehen. Nächsten Donnerstag werde es noch keinerlei Sondierung­en geben, von „LageGesprä­chen“ist in der Parteizent­rale die Rede. Der Parteitag in zwei Wochen müsste dann gegebenenf­alls grünes Licht für die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n geben. Ohne Beschluss und Legitimier­ung des höchsten Entscheidu­ngsgremium­s hätte Schulz keine Chance, Sondierung­en mit der Kanzlerin politisch zu überleben. Vor Koalitions­gesprächen müsste wohl noch mal ein kleiner Parteitag zusammenge­trommelt werden, heißt es am Freitag. Und am Ende dann der Mitglieder­entscheid. Hohe Hürden also, und einen teuren Preis müssten die CDU-Bundesvors­itzende Angela Merkel und ihre Union auch bezahlen, wollen sie mit den Sozialdemo­kraten zusammen in einer Großen Koalition regieren. Bürgervers­icherung, Solidarren­te, Rückkehrre­cht von Teil- in Vollzeit: Die Kernpunkte des Wahlprogra­mms werden wieder hervorgeho­lt, an einem Forderungs­katalog wird gearbeitet, der vom Parteitag in zwei Wochen als Grundlage für Sondierung­sgespräche abgenickt werden soll. Und ganz genau haben sich die Genossen angeschaut, zu welchen Kompromiss­en die Union in den Jamaika-Sondierung­en bereit gewesen wäre. Dahinter werden Merkel und ihre Leute nicht mehr zurückgehe­n können.

„Es gibt keinen Automatism­us in isgendeine Richtung!“MARTIN SCHULZ

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DPA-BILD: NIETFELD

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