Genosse in größter Bedrängnis
Wie .PD-Chef Martin .chulz seiner Partei den Kurswechsel verkaufen will
Vier-Augen-Gespräch im .chloss Bellevue, Nachtsitzung im Willy-BrandtHaus, Rücktritts-Gerüchte, Talkshow-Thema: Martin .chulz hat es derzeit nicht leicht.
BERLIN – Kommenden Donnerstag um acht Uhr abends: Spitzentreffen auf Schloss Bellevue. CDU-Chefin Angela Merkel wird kommen, CSUChef Horst Seehofer und SPDChef Martin Schulz. Im Scheinwerferlicht geht es die Treppe hinauf, an der mächtigen Pforte werden die drei empfangen, hinter verschlossenen Türen dann mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beraten. Wird Deutschland auch in den kommenden vier Jahren Schwarz/Rot regiert?
Geht es nach dem Bundespräsidenten, dann wird jetzt im Eiltempo über eine Regierungsbildung beraten. Freitagnachmittag kommt die Einladung für den Showdown nächste Woche, nachdem ein schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis geplatzt war. Steinmeier der KoalitionsSchmied? Der erste Mann im Staate hat sich in die Mission gestürzt, zwei Monate nach der Bundestagswahl endlich die Regierungsbildung auf den Weg zu bringen, nutzt als Genosse mit ruhendem Parteibuch das Vertrauensverhältnis, den gescheiterten SPDKanzlerkandidaten ins Gebet zu nehmen.
Steinmeier findet auf einmal in die wichtigste Rolle seit Beginn seiner Amtszeit, wird vom „Grüßaugust“zum obersten Krisenmanager, nimmt das Sondieren selbst in die Hand.
Es sei „bemerkenswert“, wie intensiv Steinmeier die Mission Regierungsbildung anpacke, heißt es im WillyBrandt-Haus. Dass der Bundespräsident nicht nur mit allen Akteuren spreche, son- dern entschlossen nach Lösungen suche, macht Eindruck – und hat die Sozialdemokraten auch überrumpelt.
„Es gibt keinen Automatismus in irgendeine Richtung!“Martin Schulz will am Freitag den Eindruck vermeiden, er sei komplett umgefallen und die Große Koalition schon so gut wie unter Dach und Fach. Gesprächsbereitschaft und den Mut, Verantwortung zu übernehmen, das signalisiert der SPD-Chef, einen Tag nach seinem ersten Treffen mit Steinmeier und der dramatischen Nachtsitzung der SPD-Führungsspitze, in der ein Kurswechsel eingeleitet und die kategorische Groko-Absage vom vergangenen Montag kassiert worden war.
Acht Stunden dauert die nächtliche Krisensitzung. Um 1.31 Uhr tritt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil vor die Kameras, um Spekulationen und Gerüchten entgegenzutreten, dass Parteichef Martin Schulz vor dem Aus steht, womöglich zurücktreten werde.
Schulz’ Parteifreund, der geschäftsführende Bundesjustizminister Heiko Maas, hat die Runde im Willy-Brandt-Haus vorzeitig verlassen und leitet den Kurswechsel, um den die SPD-Spitze noch ringt, bereits öffentlich in einer Talkshow ein: Neuwahlen seien ein Weg, den man sich gut überlegen müsse, warnt er und zeigt sich offen für eine Große Koalition mit der Union.
Martin Schulz steckt mächtig in der Bredouille. Wie soll er die Partei, die sich nach der verheerenden Schlappe bei der Bundestagswahl auf die Opposition festgelegt hatte, nun zurück in die ungeliebte Große Koalition als Merkels Juniorpartner führen – und das in Lichtgeschwindigkeit? Mit dem „dramatischen Appell“Steinmeiers und dem Verweis Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz erklärt vor der Hauptstadtpresse in Berlin seine Pläne. auf besorgte Anrufe der europäischen Nachbarn über das politische Vakuum in Berlin versucht er, seine plötzliche Geschmeidigkeit zu erklären und den Gesichtsverlust zu vermeiden. Und das letzte Wort, so am Freitag die Zusage des Parteichefs, werde die Parteibasis haben. Von der Totalopposition direkt in die Arme der Kanzlerin – der dramatische Perspektivwechsel bringt den Genossen in größte Bedrängnis. Tempo rausnehmen, durchatmen, das lässt Steinmeier nicht zu. Aber zu schnell darf es auch nicht gehen. Nächsten Donnerstag werde es noch keinerlei Sondierungen geben, von „LageGesprächen“ist in der Parteizentrale die Rede. Der Parteitag in zwei Wochen müsste dann gegebenenfalls grünes Licht für die Aufnahme von Sondierungsgesprächen geben. Ohne Beschluss und Legitimierung des höchsten Entscheidungsgremiums hätte Schulz keine Chance, Sondierungen mit der Kanzlerin politisch zu überleben. Vor Koalitionsgesprächen müsste wohl noch mal ein kleiner Parteitag zusammengetrommelt werden, heißt es am Freitag. Und am Ende dann der Mitgliederentscheid. Hohe Hürden also, und einen teuren Preis müssten die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel und ihre Union auch bezahlen, wollen sie mit den Sozialdemokraten zusammen in einer Großen Koalition regieren. Bürgerversicherung, Solidarrente, Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit: Die Kernpunkte des Wahlprogramms werden wieder hervorgeholt, an einem Forderungskatalog wird gearbeitet, der vom Parteitag in zwei Wochen als Grundlage für Sondierungsgespräche abgenickt werden soll. Und ganz genau haben sich die Genossen angeschaut, zu welchen Kompromissen die Union in den Jamaika-Sondierungen bereit gewesen wäre. Dahinter werden Merkel und ihre Leute nicht mehr zurückgehen können.
„Es gibt keinen Automatismus in isgendeine Richtung!“MARTIN SCHULZ