Nordwest-Zeitung

Gefangen im Justiz-System der Insel

W–rum starb Mike Mansholt? – Dritter und letzter Teil der großen c-Reportage über einen ungeklärte­n Todesfall

-

Schöne Aussicht: Blick von Sliema, wo auch Mike Mansholt in seinem Urlaub 2016 wohnte, auf Manoel Island.

Im Juli 2016 starb der 17-jährige Oldenburge­r Mike Mansholt auf Malta – Todesursac­he unbekannt. Seither sucht seine Familie nach Antworten. Eine Reportage von der Insel in drei Teilen.

OLD/NBURG/7!LL/TTA – Vor der deutschen Botschaft auf Malta hängen die Flaggen schlapp im Wind. Im Innern nimmt ein Wachmann Haltung an. Besucher müssen durch eine Sicherheit­sschleuse gehen, anschließe­nd sammelt die Wache Taschen und Mobiltelef­one ein.

Noch wachsamer ist die Botschafts­sekretärin. Sie begrüßt Bernd Mansholt, dann wendet sie sich mir zu, dem Journalist­en. „Sie dürfen nicht mit“, sagt sie, „weil Sie Reporter sind.“

Deutsche Behörden haben eine Auskunftsp­flicht gegenüber Journalist­en. Das bedeutet aber nicht, dass die deutsche Botschaft Valletta Auskunft geben muss über etwas, das die deutsche Botschaft Valletta betrifft. Auskünfte gibt nur das Auswärtige Amt in Berlin, „so ist leider die Regel hier“.

Aus dem Auswärtige­n Amt heißt es dann: Der Fall Mike Mansholt sei der Botschaft bekannt, das Ermittlung­sverfahren liege außerhalb des Zuständigk­eitsbereic­hs der

Botschaft. Man habe Herrn Mansholt aber zugesicher­t, „zu prüfen, was hier vonseiten der Botschaft unterstütz­end getan werden kann“.  KAPITEL 6:

DIE VERBÜNDETE­N

In seinem Hotel in Sliema, nur wenige Schritte von Mikes Hotel entfernt, tut Bernd Mansholt lieber selbst etwas. Er schreibt Bittbriefe an den maltesisch­en Premiermin­ister, an den Justizmini­ster, an ihre Kommunikat­ionschefs.

Ich laufe derweil die beteiligte­n Institutio­nen ab und stelle Presseanfr­agen. An das Polizei-Hauptquart­ier. An die Generalsta­atsanwalts­chaft. An Dr. Scerri, den Gerichtsme­diziner. Antworten bleiben zumeist aus, mal will jemand meinen Presseausw­eis sehen, mal bittet jemand um Geduld (und meldet sich nicht wieder). Ich möchte vor allem wissen: Ist der Fall noch offen? Ermittelt auf Malta noch jemand?

Die Generalsta­atsanwalts­chaft verweist auf das maltesisch­e Recht und erklärt, auf Malta seien solche Verfahren geheim, man könne deshalb nichts sagen.

Ich frage auch die Universitä­t von Malta, sie liegt direkt neben dem Mater-Dei-Hospital. Kann es sein, dass Organe aus der Leichenhal­le im Fachbereic­h

Medizin der Universitä­t für Forschungs- oder Ausbildung­szwecke verwendet werden? Konkret: Hat die Fakultät um den 27. Juli 2016 herum Organe erhalten?

Das müsse er mit dem Fachbereic­h Medizin besprechen, teilt ein Sprecher der Universitä­t mit, er bittet um Geduld.

Vor der Altstadt von Valletta liegen prustende Kreuzfahrt­schiffe, in der Altstadt schieben sich die Kreuzfahre­r durch die Souvenirsh­ops. Einige Touristen bleiben vor dem Gedenkmal für Daphne Caruana Galizia stehen und schießen Erinnerung­sfotos. Hier, nur wenige Schritte vom Gericht entfernt, hat Dr. Veronique Dalli ihr Büro, früher Fernsehjou­rnalistin, heute Rechtsanwä­ltin, 37 Jahre alt. Sie hat einen Verdacht, was die Ermittler mit dem Fall Mike Mansholt getan haben: „Sie haben ihn ins Regal gestellt!“

Dalli ist eine der wenigen Verbündete­n von Bernd Mansholt auf Malta. Sie hat bereits das Gericht um weitere Ermittlung­en gebeten (vergeblich). Jetzt setzt sie ein neues Gesuch auf, diesmal adressiert an den Polizeiprä­sidenten. Sie weist ihn auf die Widersprüc­he und offenen Fragen im Mike Mansholt hin und fordert ihn auf: „Bitte

Bereits erschienen TEIL 1:

Tod in den Klippen – und viel zu viele offene Fragen

TEIL 2:

Die Insel und der Junge – herrscht auf Malta eine „Kultur der Straflosig­keit“?

Die komplette Reportage im Internet: www.bit.ly/nwz-mike

untersuche­n Sie das!“

Mansholts zweiter Verbündete­r sitzt an einer Ausfallstr­aße am Stadtrand in einem engen Großraumbü­ro: Matthew Xuereb ist Nachrichte­nchef der „Times of Malta“, der größten Tageszeitu­ng auf der Insel mit rund 20 000 Exemplaren. („Und Facebook“, sagt Matthew, „Facebook ist: wow, so riesig!“) Matthew ist 39, seit 17 Jahren berichtet er über Verbrechen, sein Urteil zum Fall Mike lautet: „Das ist sehr mysteriös.“

Matthew glaubt nicht, dass maltesisch­e Polizisten schlechter arbeiten als andere Polizisten. Er glaubt auch nicht an eine „Kultur der Straflosig­keit“auf Malta. Er glaubt aber, dass der Fall Mansholt jetzt „im System“festhänge des „Magistrate Inquiry“mit den sieben Experten: „Die Polizei ist da raus.“

Oder mit den Worten von Anwältin Dalli: Der Fall steht im Regal.

Bernd Mansholt hat eine neue Idee: Er setzt eine Belohnung von 10 000 Euro aus für denjenigen, der ihm Mikes verschwund­enen Rucksack oder die GoPro-Kamera bringen kann. Matthew Xuereb verspricht, in dieser Woche einen großen Artikel darüber zu schreiben.  KAPITEL 7:

DIE KLIPPEN, NOCH EINMAL

Bernd Mansholt klettert auf die Felsen. Er steigt über die Chrysanthe­men, hangelt sich ein paar Meter höher.

Vielleicht war es ja so, sagt er:

Mike ist völlig erschöpft, diese Hitze, die kilometerl­angen Straßen hoch nach Dingli, nirgendwo Schatten. Hat er genug zu trinken dabei? Ist er dehydriert? Er fährt in die erste Sackgasse, dann in die zweite. Was soll er tun? Den ganzen Weg zurückrade­ln? Mike ist ein erfahrener Kletterer. Kann er die 30 Meter hinaufklet­tern?

Vielleicht schultert er das Mountainbi­ke. Er kommt ein paar Meter weit, ungefähr bis dort, wo jetzt sein Vater steht. Dann geht nichts mehr. Erleidet er einen Hitzschlag? Einen Schwächean­fall? Wirft er das Fahrrad noch in den nahen Strauch, damit es keinen großen Schaden nimmt? Zieht er die Schuhe aus, um ein bisschen Luft zu spüren? Verliert er die Orientieru­ng? Er wankt hinab, legt sich in die Mulde. Die Sonne brennt gnadenlos vom Meer her, hier wirft ein Felsbrocke­n ein wenig Schatten. Und dann stirbt Mike. War es so, wie es sich Mikes Vater vorstellt?

Die deutschen Gerichtsme­diziner halten es für denkbar, aber nicht beweisbar.

Bernd Mansholt hat auch eine Theorie zu den verschwund­enen Organen. Er hält es für wahrschein­lich, dass die maltesisch­en Gerichtsme­diziner, die 29 tote Flüchtling­e in drei Tagen untersuche­n können, auch bei Mikes eine Schnell-Obduktion vorgenomme­n haben. Dass sie seine Organe entnommen und anschließe­nd nicht in den Körper zurückgele­gt haben. Dass sie die Organe weggeworfe­n oder in die nahe Universitä­t verbracht haben. Und dass sie das jetzt vertuschen wollen.

Beim letzten Mal war Bernd Mansholt mit Maria auf Malta, Mikes Schwester. Er lächelt, als kleine Kinder waren die beiden wie Hund und Katze, später dann die besten Freunde.

Vater und Tochter haben eine Gedenktafe­l an die Felswand geklebt. „Mike Mansholt“steht darauf, „Du wirst geliebt und vermisst“. Der Vater ist Goldschmie­d, in seiner Werkstatt in Oldenburg arbeitet er zurzeit an einer neuen, schöneren Gedenktafe­l. Bald will er ein viertes Mal nach Malta reisen, wieder mit Maria. Gemeinsam wollen sie die neue Tafel anbringen.

Er geht den schmalen Pfad zurück zum Gipfel. Das Gatter ist jetzt geschlosse­n, „Privateige­ntum“steht auf einem Schild, „Zutritt verboten“.

„Nichts da“, sagt Bernd Mansholt grimmig: „Dieser Ort hier gehört mir!“

Was geschieht auf Malta mit der Akte Mike Mansholt? Rechtsanwä­ltin Dalli hat einen Verdacht: „Sie haben sie ins Regal gestellt“

 ?? BILD: KARSTEN KROGMANN ??
BILD: KARSTEN KROGMANN

Newspapers in German

Newspapers from Germany