Der Geist und die Gewalt
Mäzen, Germanist und Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma wird 65
Als junger Mann will der Hanseat die Literatur fördern und die Gewalt erforschen. Dann wird der Sozialwissenschaftler Opfer eines Verbrechens. Die Folgen prägen sein Denken bis heute.
HAMBURG – Der Hamburger Literaturwissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma entspricht dem Rollenbild eines Hanseaten: zurückhaltend, engagiert, großzügig. Geboren in Bonn am 26. November 1952, wächst der Sohn des Zigarettenherstellers Philipp F. Reemtsma (1893–1959) in Hamburg-Blankenese auf und besucht das Traditionsgymnasium Christianeum.
Es folgen Studium der Germanistik und Philosophie, Promotion und Honorar-Professur an der Universität Hamburg. Zahlreiche Projekte seiner Heimatstadt unterstützt er mit seinem Geld oder seinem Rat.
Was das Leben ausmacht
Als Erbe des Tabak-Imperiums ist ihm der Reichtum in die Wiege gelegt. Der Vater stirbt, als Jan Philipp gerade sieben Jahre alt ist. In die Fußstapfen des Seniors will er nicht treten. 1980 verkauft er gemeinsam mit seiner Mutter den Mehrheitsanteil am Tabak-Konzern für etwa 300 Millionen Mark. Seitdem gibt er gern Geld aus – für andere. Sein Leben als Playboy zu genießen, liegt ihm fern. Literatur ist das, was sein Leben ausmacht, sagt er.
Als junger Mann begeistert er sich für den AvantgardeSchriftsteller Arno Schmidt („Zettels Traum“). 1977 vermacht er dem Autor, der in bescheidenen Verhältnissen in der Lüneburger Heide lebt, 350 000 Mark. Nach dem Tod des Schriftstellers 1979 gründet er die Arno-Schmidt-Stiftung, die sich um den Nachlass kümmert.
Reemtsmas zweites großes Lebensthema ist die Gewalt und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Er gründet 1984 das Hamburger Institut für Sozialgeschichte. Für Furore sorgt 1995 die Wehrmachtsausstellung. Nach Ansicht ihrer Kritiker stempelt sie Millionen Wehrmachtssoldaten als Verbrecher ab.
Als ein polnischer und ein ungarischer Historiker den Ausstellungsmachern vorwerfen, Bilder falsch zugeordnet zu haben, zieht Reemtsma 1999 die Reißleine und lässt An seinem Schreibtisch in Hamburg: Jan Philipp Reemtsma
die Schau überarbeiten.
Am 25. März 1996 wird Reemtsma in Hamburg entführt. Die Geiselnehmer halten den damals 43-Jährigen 33 Tage in einem Kellerverlies bei Bremen fest und fordern ein Millionen-Lösegeld. Nach Zahlung von rund 30 Millionen D-Mark lassen sie ihn frei. 1998 wird der Drahtzieher der Entführer, Thomas Drach, in Argentinien gefasst und Ende 2000 in Hamburg zu vierzehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Über seine Geiselhaft und die Todesängste schreibt Reemtsma das Buch „Im Keller“, das 1997 erscheint. Die persönliche Aufarbeitung scheint damit nicht abgeschlossen. Reemtsma sagt zwar: „Wer sich sein Leben lang mit dem Unrecht beschäftigt, das ihm angetan worden ist, und damit, dass es nicht zureichend wiedergutgemacht
worden ist, der läuft das Risiko, zum Querulanten zu werden.“
Aber als Wissenschaftler ergründet er das Problem der Gewalt weiter. Er findet dabei keine neue Theorie, die das Phänomen erklären könnte. Im Gegenteil, er wettert gegen die „Betreiber von Gedankenläden“. Wo Gewalt erlaubt ist, in der Revolution, im Krieg oder in der Diktatur, finden sich immer Menschen, die sie ausüben, lautet sein Fazit.
Was folgt für ihn aus dieser Erkenntnis? Reemtsma ist entschiedener Vertreter des Rechtsstaats. Die Ächtung der Gewalt hält er für den größten Fortschritt in der Geschichte. Zur Ausübung von Gewalt ist allein der Staat berechtigt, nach strengen Regeln. „Folter im Rechtsstaat?“– so einer seiner Buchtitel, ist bloß eine rhetorische Frage.
Mit seinem Geld unterstützt der Multimillionär nicht nur die Forschung, sondern auch den Einsatz gegen Gewalt. Seine Stiftung fördert zum Beispiel das Kinderkompetenzzentrum am Hamburger Institut für Rechtsmedizin. Dessen Leiter Klaus Püschel würdigt Reemtsma: „Er hat offensichtlich einen Weg gefunden, die wiederholten Belastungen so zu verarbeiten, dass er nicht verbittert ist, sondern versucht, eher positive Seiten für sein eigenes künftiges Leben hervorzuheben.“
Biograf Wielands
Gedanklich ist Reemtsma zurzeit viel im Weimar der Goethe-Ära unterwegs. Er arbeitet an einer Biografie über den von ihm verehrten Dichter und Aufklärer Christoph Martin Wieland (1733– 1813). Bereits 2005 trug er mit mehr als einer halben Million Euro dazu bei, Wielands ehemaliges Gut Oßmannstedt bei Weimar zu sanieren.
Reemtsma, der verheiratet ist und einen erwachsenen Sohn hat, verrät wenig über sein Privatleben. Eine Leidenschaft offenbarte er kürzlich durch ein Büchlein. In „Einige Hunde“geht es um Hundedarstellungen in der Malerei. Reemtsma hatte mal zwei Hunde, die ihm offenbar sehr ans Herz gewachsen waren. „Einem unserer beiden Hunde habe ich das Buch gewidmet“, sagt er.