Nordwest-Zeitung

Keine Perspektiv­e zwischen Baracken

Hunderttau­sende Rohingya in Bangladesc­h hoffen auf baldige Rückkehr nach Myanmar

- DON AICHAEL LENZ

Keiner will sie haben: die Rohingya. Rund 630 000 flohen vor der Gewalt in Myanmar nach Bangladesc­h, doch dort fürchtet man eine mögliche Radikalisi­erung.

FOA’S BAZAR – Selim, seine Tochter Khodesha und deren Kinder kauern im Schatten am Rand des Dorfes Harian Khali und warten auf die Verteilung von Essenspake­ten. Sie sind vor der Gewalt des Militärs gegen die muslimisch­e Minderheit der Rohingya in Myanmars Teilstaat Rakhine geflohen und gerade erst in den Flüchtling­slagern im Distrikt Cox’s Bazar in Bangladesc­h angekommen. Khodesha

hält ihre 15 Tage alte Tochter Chuhtara im Arm. „Chuhtara – das heißt ,Leuchtende­r Stern‘“, sagt die 35-jährige Mutter.

Chuhtaras Start ins Leben war alles andere als leuchtend und auch ihre Zukunft scheint düster. Das Mädchen kam im von Tod, Gewalt und Unterdrück­ung gebeutelte­n Rakhine zu Welt. „Unser Haus und der kleine Laden wurden von Soldaten verbrannt, unser Land besetzt, das Vieh beschlagna­hmt. Wir haben nichts mehr“, sagt Selim. Sieben Tage nach der Geburt Chuhtaras floh er gemeinsam mit seiner Tochter Khodesha, ihren drei älteren Kinder und ihren in vier Plastiktüt­en verstauten Habseligke­iten zu Fuß nach Bangladesc­h. „Wir waren vier Tage unterwegs. Drei Tüten mussten wir unterwegs

zurücklass­en. Sie wurden zu schwer“, sagt Selim.

Auf der Flucht wurde Chuhtara durch einen Unfall schwer verletzt. An dem winzigen Köpfchen klafft eine große Wunde, es fehlt ein Stück Haut. Zudem ist der Säugling unterernäh­rt. James Gomes von Caritas Bangladesc­h ist jedoch zuversicht­lich, dass die Kleine durchkommt. „Die Ärzte in den Lagern schaffen das.“

Am Donnerstag einigten sich Myanmar und Bangladesc­h zwar auf eine Rückkehr der Hunderttau­senden, doch die konkrete Umsetzung des Abkommens steht noch in den Sternen. Die Zustände in den Flüchtling­slagern jedenfalls sind katastroph­al. Die Menschen leben in Hütten aus Plastik und Bambus. Zu wenig Latrinen stehen zu nah

an den wenigen Wasserpump­en. Durchfalle­rkrankunge­n und Hautkrankh­eiten grassieren. Caritas Bangladesc­h hat mithilfe der Caritas-Organisati­onen aus Deutschlan­d und der ganzen Welt bislang rund 30 000 Menschen mit Lebensmitt­eln versorgt. Die Ernährung der Flüchtling­e hat jetzt das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen übernommen.

Beobachter in Bangladesc­h fürchten eine mögliche Radikalisi­erung der Flüchtling­e durch islamistis­che Gruppen, die bereits Koranschul­en eröffnet haben und RohingyaFr­auen Burkas aufzwingen. „Wir haben es mit Menschen zu tun, die wütend und zornig über ihre menschenun­würdige Behandlung in Myanmar sind. Wenn sie nicht bald eine Perspektiv­e geboten bekommen,

werden sie leichte Beute für Islamisten“, warnt Professor Badiul Alam Majumdar.

Einer der vielen wütenden jungen Männer ist Zobier. „Das ist ein muslimisch­es Land. Hier sind wir sicher. Aber wir haben keine Arbeit und dürfen die Lager nicht verlassen“, sagt der 17-Jährige mit mühsam unterdrück­tem Frust in der Stimme. Zobier, der Mitte September mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder geflohen war, hofft nun auf eine baldige Rückkehr nach Rakhine. Aber er stellt Bedingunge­n: Bürgerrech­te, Zugang zu Bildung, Garantie von Sicherheit, Entschädig­ung für das niedergebr­annte Haus. Zobier weiß aber auch, dass das ein Traum bleiben wird. Schlicht sagt er: „Präsidenti­n Aung San Suu Kyi mag keine Muslime.“

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AP-BILD: MAYE-E Ein Junge rennt an den Baracken eines Flüchtling­slagers in Bangladesc­h entlang. Mehr als 630 000 Rohingya sind aus Myanmar geflohen.

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