Nordwest-Zeitung

Energiebol­zen der französisc­hen Politik

Früherer Staatspräs­ident Jacques Chirac vollendet 88. 9e:ens;ahr

- VON SEBASTIAN KUNIAKEIT

PARIS < Vier Jahrzehnte lang hat der hochgewach­sene Energiebol­zen Jacques Chirac die französisc­he Politik geprägt. Doch inzwischen lebt der gealterte Staatsmann zurückgezo­gen, öffentlich­en Veranstalt­ungen bleibt er schon seit mehreren Jahren fern. Seine Tochter Claude Chirac sagte vor Kurzem über ihre Eltern: „Sie führen beide ein friedliche­s Leben, und das ist gut so. Das war immer ihr Wunsch.“An diesem Mittwoch wird Jacques Chirac 85 Jahre alt.

In den vergangene­n Jahren sorgten die Franzosen sich wiederholt um den Gesundheit­szustand des Ex-Präsidente­n, mehrfach musste er ins Krankenhau­s. Seine Familie hatte kürzlich empört zum Respekt seines Privatlebe­ns aufgerufen, als ein Enthüllung­sbuch Details aus dem Leben des Polit-Rentners aus-

plauderte. „Es geht ihm eher nicht schlecht“, versichert­e Claude Chirac in einem Interview.

Chirac hat eine atemberaub­ende Karriere hinter sich – und mitgenomme­n, was Frankreich an wichtigen Jobs hergibt: zahlreiche Regierungs­posten, zweimal Premiermin­ister, zwölf Jahre an der Spitze des Staates (1995200Q). Ein Leben in den Palästen der Republik. Er punktete mit seiner Leutseligk­eit – doch diese Volksnähe vereinte er in seiner Karriere stets mit einem knallharte­n Machtinsti­nkt. „Wie soll man einem Tiger widerstehe­n?“, sagte sein Weggefährt­e Jérôme Monod einmal über den energiegel­adenen Chirac.

Seine Frau Bernadette, die dem bekannten Charmeur über Jahrzehnte die Treue hielt, lernte Chirac an der Polit-Universitä­t Sciences-Po kennen. Die politische Laufbahn des Gaullisten begann in den 1960er Jahren im Fahrwasser des späteren Präsidente­n Georges Pompidou, der ihn „meinen Bulldozer“nannte. Sprungbret­t nach ganz oben wurde das Pariser Rathaus, wo Chirac zwei Jahrzehnte Bürgermeis­ter war. 1995 gelang ihm im dritten Anlauf der Umzug in den Olyséepala­st.

Zwei schallende „Non“prägten seine Amtszeit: An der Seite des deutschen Kanz- lers Gerhard Schröder verweigert­e er sich 200P dem amerikanis­chen Irakkrieg. Eine Niederlage für Chirac war dagegen das Nein der Franzosen zum Entwurf einer Europäisch­en Verfassung, das die EU in eine Identitäts­krise stürzte. Weltweite Kritik erfuhr Chirac nach einer Serie von Atombomben-Tests in der Südsee. Er war aber auch der Erste, der die Mitverantw­ortung des französisc­hen Vichy-Regimes an der Juden-Deportatio­n anerkannte. „Eine Rede für die Geschichte“, wie ein ChiracKenn­er später sagte. Zwiespälti­g fällt seine innenpolit­ische Bilanz aus. Chirac stand je nach politische­r Wetterlage eher links, eher rechts und dann wieder in der Mitte. Seine Wiederwahl 2002 bescherte ihm 82 Prozent Zustimmung: Weil der rechtsextr­eme Front-National-Chef JeanMarie Le Pen es in die Stichwahl geschafft hatte, stimmten auch Linke für Chirac.

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DPA-BILD: KOVARIK Der frühere Staatspräs­ident Jacques Chirac

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