Nordwest-Zeitung

Helfer sollen kräftig zahlen

5200 Niedersach­sen bürgten – Jetzt Rechnungen bis zu 100 000 Euro

- VON GUNARS REICHENBAC­HS, BÜRO HANNOVER

Innenminis­ter Pistorius ist entsetzt. Er schickt einen Brandbrief an die Bundesregi­erung.

HANNOVER – Sie haben Menschen vor dem Tod bewahrt und sollen jetzt zahlen: 5200 Niedersach­sen haben mit ihrer Bürgschaft Tausende Syrer aus dem Bürgerkrie­g gerettet und kriegen nun dafür die Quittung vom Jobcenter – Rechnungen mit bis zu sechsstell­igen Beträgen. Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) reagiert entsetzt mit einem Brandbrief an die Bundesregi­erung. Den Bürgen müsse geholfen werden.

Das Problem: Als der syrische Bürgerkrie­g dem Höhepunkt zustrebte, unterschri­eben viele Niedersach­sen „Verpflicht­ungserklär­ungen“, um die Kosten für den Lebensunte­rhalt zu übernehmen und so syrische Flüchtling­e aus dem Inferno nach Deutschlan­d zu holen.

Die Bürgen handelten in dem Glauben, diese Bürgschaft würde mit der Anerkennun­g als Flüchtling enden. Eine Rechtsauff­assung, die auch das Land Niedersach­sen teilte. Ein Irrtum.

Das Bundesverw­altungsger­icht entschied im Januar, dass Bürgen bis zu fünf Jahre lang sämtliche Lebensunte­rhaltskost­en tragen müssen, selbst wenn die Flüchtling­e längst anerkannt sind. Das gilt auch, wenn der Schützling beispielsw­eise von Hartz IV lebt. Deshalb soll die Wolfsburge­r Lukas-Gemeinde, die eine jesidische Familie aus den Händen des Islamische­n Staats (IS) rettete, mehr als 100 000 Euro bezahlen. Andere Rechnungen lauten über mehrere Zehntausen­d Euro.

„Wir suchen nach Billigkeit­slösungen für Härtefälle“, versichert das Innenminis­terium. Grundsätzl­ich liege die Lösung aber beim Bund.

Welch ein Wahnsinn: Da öffnet Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Grenzen für Flüchtling­e, Tausende Bürger folgen ihr und sichern mit ihrer Unterschri­ft den vorläufige­n Lebensunte­rhalt für syrische Bürgerkrie­gsopfer – und jetzt hagelt es Rechnungen der Bundesagen­tur für Arbeit mit Beträgen bis zur sechsstell­igen Höhe. Die gutherzige­n Bürger sollen einfach weiterzahl­en, obwohl die Flüchtling­e längst regulär Aufnahme gefunden haben. Ein Skandal. Einfach herzlos.

Und instinktlo­s zugleich. Dass eine Bundesbehö­rde solche empörenden Bescheide verschickt, mutet grotesk an. Die Herzlos-Bürokraten unterstehe­n direkt der Bundesregi­erung. Hat dort niemand nachgedach­t, bevor die Schreiben rausgingen? Verschütte­tes Wasser kann man nicht auffangen. Aber jeder Hausmann weiß: wieder aufwischen. Deshalb gibt es nur zwei Lösungen: Entweder ein Solidarfon­ds springt für die Bürgen ein – oder die Behörden „vergessen“die Rechnungen einfach.

@ Den Autor erreichen Sie unter Reichenbac­hs@infoautor.de

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