Nordwest-Zeitung

Auf der Suche nach Helden

Worauf dürfen deutsche Soldaten stolz sein?

- VON NIIO POINTNER

Es waren wilde Zeiten in der Bundeswehr. Am 26. April wird der Oberleutna­nt Franco A. verhaftet. Terrorverd­acht. Der damals 28-Jährige soll als Flüchtling getarnt einen Anschlag geplant haben. Die Rede ist bald von einem ganzen rechtsextr­emen Netzwerk in der Truppe. Der Skandal löst eine Debatte aus über Hakenkreuz­e, LandserBil­der und Wehrmachts­fotos.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) gerät unter Druck wie nie zuvor in ihrer Amtszeit – und sie zieht deshalb alle Register. Sie fliegt die Hauptstadt­presse in die Kaserne von Franco A. nach Frankreich. Sie lässt Liegenscha­ften nach Wehrmachts­andenken durchkämme­n. Und sie lässt das Traditions­verständni­s der Truppe überarbeit­en.

Denn der Traditions­erlass der Bundeswehr, der die Traditions­pflege in der Bundeswehr regelt und Richtlinie­n beim Umgang mit der eigenen schwierige­n Vergangenh­eit gibt, ist bereits 35 Jahre alt. Seit 1982 ist die Bundeswehr eine andere geworden.

Die Truppe sucht Traditione­n und ringt seit jeher gleichzeit­ig mit ihrem geschichtl­ichen Erbe. In einem aktuellen Arbeitspap­ier der Bundesakad­emie für Sicherheit­spolitik heißt es, weil sich keine der bisherigen Traditions­linien auf explizite Kampfhandl­ungen bezögen, stellten Soldaten immer wieder Bezüge zur Wehrmacht her – und blendeten damit verbundene Verbrechen aus. Das Papier warnt vor einem „apolitisch­en Kämpfertyp­us“, der sich vor allem im Heer ausbilde.

Auf wen und was dürfen Soldaten heute stolz sein? „Bundeswehr­soldaten sollen nicht nur kämpfen können, sondern auch wissen wofür – das ist unsere freiheitli­ch-demokratis­che Ordnung“, sagt der Wehrbeauft­ragte HansPeter Bartels. „Traditions­pflege kann helfen, dass nicht falsche Vorbilder in die Köpfe kommen.“Sonst suchten die Soldaten ihre Vorbilder woanders. „Es gibt viele leere Kasernenfl­ure, wo gar nichts ist“, sagt der SPD-Politiker.

Der Fall Franco A. führte vor Augen, wie groß die Verunsiche­rung in der Truppe ist. Ein Bild von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachts­uniform wurde im Flur eines Wohnheims der Hamburger Bundeswehr-Uni im Zuge des Skandals in vorauseile­ndem Gehorsam zunächst abgehängt, dann nach ein paar Wochen wieder aufgehängt – mit einer Erläuterun­g, dass Schmidt bereits als junger Reserveoff­izier durch Kritik an der NS-Führung auffiel.

Von der Leyen hatte erklärt, den Soldaten mit der Überarbeit­ung des Erlasses „Orientieru­ng und Halt“geben zu wollen für ihren Dienstallt­ag und ihre Einsätze. Mehrere Monate und Workshops später liegt nun der Entwurf vor. Kernaussag­e: Die Bundeswehr muss mehr auf sich selbst stolz sein, ihre Vorbilder in ihrer mehr als 60jährigen eigenen Geschichte suchen. Wer hingegen Orientieru­ng in früheren Zeiten finden will, soll Personen, Geschehnis­se, Andenken in den historisch­en Kontext einordnen – militärisc­he Exzellenz alleine reicht nicht für eine Vorbildfun­ktion. Weder die Wehrmacht noch die Nationale Volksarmee der DDR könnten Tradition begründen, steht in dem Papier – Einzelfäll­e ausgenomme­n, je nach persönlich­er Schuld und Verdienste­n. Konkrete Vorbilder oder Beispiele nennt der Entwurf nicht.

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