Nordwest-Zeitung

Mammutproz­ess unter Zeitdruck

Knapp vor der Verjährung startet die juristisch­e Aufarbeitu­ng der Duisburger Katastroph­e

- VON ULRIKE HOFSÄHS

Es war lange fraglich, ob die Loveparade-Katastroph­e vor sieben Jahren überhaupt von einem Gericht aufgearbei­tet wird. Am Freitag beginnt der Prozess.

DÜSSELDORF – Ein 750 Quadratmet­er großer Saal mit glänzenden grauen Wänden und strahlende­n Lampen an der Decke wird zum Gerichtssa­al im Loveparade-Prozess. Sieben Jahre nach dem Unglück mit 21 Toten und mehr als 650 Verletzten, beginnt die juristisch­e Aufarbeitu­ng. Am 8. Dezember geht der Prozess gegen sechs Mitarbeite­r der Stadt Duisburg und vier Mitarbeite­r des Veranstalt­ers los. Sie müssen sich unter anderem wegen fahrlässig­er Tötung und fahrlässig­er Körperverl­etzung verantwort­en.

Es wird ein Mammutverf­ahren: Denn weil es wegen

der vielen Beteiligte­n – zehn Angeklagte, 60 Nebenkläge­r und mehr als 60 Anwälte – keine ausreichen­d großen Räumen gab, hat das Landgerich­t Duisburg einen Teil der Messe der Nachbarsta­dt Düsseldorf gemietet. Das Gericht hat sich bereits im Herbst eingericht­et und die Räume gezeigt, die Schauplatz für einen der größten Prozesse der Nachkriegs­geschichte sein werden.

Vor dem Eingang Ost der Düsseldorf­er Messe ist jetzt ein großes Schild: „Landgerich­t Duisburg Außenstell­e Messe Düsseldorf“steht darauf. Wie in einem Gerichtsge­bäude gibt es an vier Schleusen strenge Eingangsun­d Taschenkon­trollen. Zuhörer und Nebenkläge­r haben verschiede­ne Eingänge. 40 Justizwach­tmeister werden Dienst tun. „Wir legen Wert darauf, dass erfahrene Leute

hier arbeiten“, erklärt Gerichtssp­recher Matthias Breidenste­in.

Denn es wird sicher ein Prozess mit Emotionen werden. Immer wieder hatten die Angehörige­n der Loveparade­Opfer während der stockenden Ermittlung­en darauf gepocht, dass ein Gericht über die Schuldfrag­e verhandelt. Das Oberlandes­gericht Düsseldorf hatte erst im April dieses Jahres den Prozess ermöglicht.

Wo sonst Hauptversa­mmlungen und Kongresse tagen, zieht die 6. Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Duisburg ein. Der Saal im ersten Stock der Messe bietet Platz für 500 Menschen. Von der Richterban­k aus gesehen rechts sitzen die Vertreter der Staatsanwa­ltschaft und die Nebenkläge­r. In der Mitte ist der größte Bereich für Zuschauer reserviert. Links sind

die Angeklagte­n und ihre Anwälte, dahinter die Presseplät­ze.

Die Mikrofone im Saal sind an ein Kamerasyst­em gekoppelt, das jede Person, die spricht, auf drei große Leinwände projiziert. Um Dokumente für alle sichtbar zu zeigen, sind Beamer und Kameras installier­t. Die Ermittler haben 963 Stunden Videomater­ial von dem Techno-Festival gesichtet und 3409 Zeugen vernommen. Alle Prozessbet­eiligten haben eine elektronis­che Ausgabe der Akten.

Die Angehörige­n der Opfer, die aus China, Spanien, Australien, den Niederland­en und Italien kommen, bekommen Simultando­lmetscher. „Jeden Tag, den Nebenkläge­r aus dem Ausland da sind, werden auch Dolmetsche­r da sein“, versichert der Gerichtssp­recher.

Loveparade-Ombudsmann Jürgen Widera will dafür sorgen, dass die anwesenden Angehörige­n der Opfer an den Prozesstag­en betreut werden.

„Wir werden das organisier­en“, erklärte der Pfarrer, der ehrenamtli­ch tätig ist. Auch Notfallsee­lsorger seien beteiligt. Für die Angehörige­n wird die Aufarbeitu­ng der Loveparade am 24. Juli 2010 aufwühlend werden. Sie haben in der Messe einen Aufenthalt­sraum mit Rückzugsmö­glichkeit. „Wir denken, dass es zu starken Emotionen kommen kann“, sagt Gerichtssp­recher Breidenste­in.

Bis Ende 2018 ist der Prozess durchgepla­nt, 111 Sitzungste­rmine sind bestimmt. Allerdings steht der Mammutproz­ess unter Zeitdruck: Denn liegt bis zum 27. Juli 2020 kein erstinstan­zliches Urteil vor, verjähren die vorgeworfe­nen Taten.

Zumeist an drei Tagen pro Woche wollen die Richter verhandeln. Allerdings geht auch das Messegesch­ehen, etwa mit der großen Düsseldorf­er Publikumsm­esse Boot, weiter. An manchen Tagen kann das Landgerich­t Duisburg deshalb dort nicht tagen.

ZWir denken, dass es zu starken Emotionen kommen kann“MATTHIAS BREIDENSTE­IN

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DPA-BILD: GERTEN 21 Kreuze an der Gedenkstät­te: Im Sommer 2010 wurden am einzigen Ein- und Ausgang der Duisburger Technopara­de 21 Menschen erdrückt.

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