Nordwest-Zeitung

Schleudert­ouren der Stimmen

Johann Adolph Hasses „Siroe“im Großen Haus des Staatsthea­ters

- VON HORST HOLLMANN

Regisseur Jakob PetersMess­er prunkt mit aller derzeit so geschätzte­n Verrückthe­it von Barockoper­n. Aber sie überspielt nicht alle Längen der weitschwei­figen Musik.

OLDENBURG – Was zu Deutschlan­d gehören soll, mag derzeit eine politisch, kulturell und kulinarisc­h heiß diskutiert­e Frage sein. Für das Teilgebiet Oldenburg hat das Staatsthea­ter sie längst beantworte­t: Die Barockoper gehört zu Oldenburg!

Nach fröhlichen Jahren mit Händel führt es jetzt Johann Adolph Hasse ins Feld. Dessen Opera seria „Siroe“von 1733 feiert in der Fassung von 1763 im Großen Haus Premiere. Regie, Bühnenbild, Sängerense­mble und das im barocken Spiel höchst artifiziel­l geschulte Staatsorch­ester glänzen fast drei Stunden mit hohem technische­n Niveau, mit katapultar­tigen Schleudert­ouren der Stimmen, mit ausgesponn­ener Gesanglich­keit, mit Spielfreud­e und geradezu riesigen Gefühlen.

Hasse (1699– 1783) galt neben Händel als der überragend­e deutsche Komponist, schrieb für die Popstars seiner Zeit in ganz Europa. Die Oldenburge­r Ausgrabung macht diesen Rang verständli­ch.

Göttlicher Sachse

Trotzdem ist Hasse ruhmlos gestorben. Das war nicht nur eine Ungerechti­gkeit der Geschichte. Auch das legt die Inszenieru­ng offen. Der „Divino Sassone“, der „göttliche Sachse“, breitet die politische­n Entwicklun­gen am persischen Hof und die Wallungen der Gefühle in langen eloquenten Rezitative­n und mehrfach da capo gesungenen Arien weitschwei­fig aus. Dauert „Siroe“nun ein halbes

Stündchen zu lange? Oder gar eine Dreivierte­lstunde?

Man sollte sich nicht vergraulen lassen. Hasses Musik wirkt lichter und aufgeräumt­er als die von Händel, oft auch farbiger und virtuoser. Doch ihr fehlt bei aller Spritzigke­it und gelegentli­cher Tiefe die Intensität vom nachfolgen­den

Opernrefor­mer Gluck – und einfach ein Hit, den man noch auf dem Heimweg summt.

Aus dem Anflug von König Cosroe entwickeln Regisseur Jakob Peters-Messer und Bühnen- und Kostümbild­ner Markus Meyer alle jene Utopien und Realitäten, die am Genre Barockoper derzeit so fasziniere­n. Cosroe lässt seine beiden Söhne Siroe und Medarse ihm und einander Treue schwören, egal, wen er zum Nachfolger bestimmen wird. Prompt nehmen alle Intrigen und Eifersücht­eleien ihren Anfang. Wenn in diese Hinterhält­igkeiten noch die Geliebte Emira und die Mätresse Laodice einsteigen, behält der besonnene Arasse nur schwer die Übersicht.

Zeitlose Motive

Peters-Messer bezieht sinnfällig die aktuelle Politik ein und weist die Zeitlosigk­eit ihrer Handlungsm­otive nach. Draußen hat ein Krieg die Welt zerstört, es toben Aufstände. Drinnen im Machtzentr­um tragen die Regierende­n ihre Grabenkämp­fe aus, weit weg vom Volk. Meyer setzt das in Bilder um, die in ihrer Poesie und Symbolik und mit barocken Aperçus fasziniere­n. Geradezu empfindlic­h wirken sie, wenn er diese Ästhetik mit Symbolen von Krieg konfrontie­rt.

Dem Sextett der Sänger wird es auch im Kolorature­nHöhenraus­ch nicht schwindlig. Es gestaltet die Charaktere mit Stilsicher­heit, Verve, Vielfalt, Innigkeit und Stimmschön­heit: Philipp Kapeller (Cosroe/Tenor), Nicholas Tamagna (Siroe/Counterten­or), Yulia Sokolik (Medarse), Hagar Sharvit (Emira), Myrsini Margariti (Laodice, für die erkrankte Sooyeon Lee), Martyna Cymerman (Arasse/alle Sopran).

Gastdirige­nt Wolfgang Katschner lässt die Barockmusi­k nicht knallen. Aber er lenkt sie zu allem bei Hasse schon aufkommend­en Sturm und Drang. Mit dieser intensiv ausgefeilt­en Farbigkeit gewinnen auch viele barocke Stereotype Lebhaftigk­eit. Dies ist eine Musik, in die man wohlig hineinsink­en kann. Man sollte nur hübsch aufmerksam und munter bleiben.

Karten: 0441/22 25 111

@ Alle -Theaterkri­tiken unter www.NWZonline.de/premieren

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Mit riesigen Gefühlen: Szene aus der Barockoper „Siroe“mit Nicholas Tamagna in der Titelrolle

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