Große Hoffnungen für Königin der Instrumente
Orgelbau und -musik sollen Welterbe der Menschheit werden – Entscheidung in dieser Woche
LUDWIGSBURG – Freunde der Orgelmusik wiegen sich im Hochgefühl. Was sie schon lange herbeisehnen, könnte sich nun bald erfüllen: Orgelbau und Orgelmusik, in Deutschland so präsent wie sonst kaum irgendwo, sollen zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt werden. Der zuständige Ausschuss der Unesco entscheidet in dieser Woche (4. bis 9. Dezember) auf der südkoreanischen Ferieninsel Jeju über den deutschen Antrag. „Es wäre die Würdigung der Orgel als eines der ältesten Kulturgüter Europas“, sagt der Musikwissenschaftler und Mitinitiator des Antrags, Michael Kaufmann.
50 000 Orgeln
„Orgelklang und Orgelspiel faszinieren und verbinden seit jeher Menschen unterschiedlicher ethnischer, politischer, sozialer und religiöser Prägungen“, sagt Kaufmann. Er lehrt an der Hochschule für Kirchenmusik der Badischen Landeskirche in Heidelberg
und leitet dort ein Forschungsprojekt zur sozialpolitischen und kulturellen Bedeutung der Orgel.
Für den RQ Jahre alten Experten ist die Orgel weit mehr als ein Kircheninstrument. Sie sei über Jahrhunderte bei höfischen Festen und zu Bauerntänzen gespielt worden. In den 192Qer Jahren hätten Kinoorgeln zur musikalischen Untermalung von Stummfilmen gedient. Und
schon vor dem Wendeherbst 1989 in der DDR seien Orgelkonzerte ein Symbol des Widerstands gewesen, erklärt er.
Im Südwesten ist die Tradition so allgegenwärtig wie sonst kaum in Deutschland: Mit 7QQQ bis 8QQQ Instrumenten gibt es hier die größte Orgeldichte. Bundesweit sind es etwa RQ QQQ Orgeln – vor allem in Kirchen und Konzertsälen, die von Zehntausenden von haupt- und nebenamtlichen Organisten gespielt werden.
Wer Orgelbauer werden will, lernt das alte Handwerk an der Oscar-Walcker-Schule in Ludwigsburg, der zentralen Ausbildungsstätte für den Orgelbau. Das Instrument sei ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Technik und Klang – es gehe um Feinmechanik wie bei einem Uhrwerk, aber auch um modernste Hightech, sagt Kaufmann, der an der Schule unter anderem auch Restauratoren ausbildet. Jedes Instrument werde individuell für einen Raum gebaut.
„Die Orgelkultur ist eine traditionelle Kulturform, die in Deutschland eine wichtige Basis hat“, sagt der Vizepräsident der Deutschen UnescoKommission, Christoph Wulf. Die vielen lokal- und regionalspezifischen Orgelbaustile, Kompositionen und Aufführungsformen sowie staatliche und kirchliche Ausbildungsmöglichkeiten seien auch Beleg dafür, wie lebendig die Orgelkultur ist. Seinen Ursprung habe das Instrument vor mehr als 2QQQ Jahren im hellenistischen Ägypten – sei seit dem Mittelalter aber vor allem in Deutschland weiter entwickelt worden.
Hochkomplexe Maschine
Orgeln aus Deutschland finden sich überall auf der Welt. Deutsche Organisten konzertieren auf allen Kontinenten. Nun sehen Experten gute Chancen, dass der Orgelbau und die Orgelmusik zum Welterbe werden. Auf der Liste stehen bereits mehr als 336 immaterielle kulturelle Ausdrucksformen aus allen Weltregionen. Dazu gehören etwa die Genossenschaftsidee und -praxis aus Deutschland, die Heilig-Blut-Prozession im belgischen Brügge und der argentinische und uruguayische Tango.
Musikfreunde weltweit schätzen Orgeln als muskalische Glanzpunkte von orchestraler Strahlkraft. Wer eine so hochkomplexe Maschine wie eine Orgel bedienen will, müsse enorme Denkarbeit leisten, sagt Kaufmann. Um sich zu koordinieren, müssten Kopf und Körper im Einklang sein. „Der Atem muss fließen, dann fließt auch die Musik.“