Nordwest-Zeitung

KURIOSES IM SPIJÖÖK

Immer neuer Seemannsga­rn im „Spijöök“am Vareler Hafen

- VON WOLFGANG MÜLLER

Was dabei herauskomm­t, wenn zwei Brüder eine Schnapside­e haben, verbirgt sich hinter der Hausnummer 5 am ;ohlhof am Vareler Hafen. Dort ist ein maritimes Museum der besonderen Art beheimatet.

VAREL – Mit den Jahreszahl­en nehmen es die Betreiber des Kuriosität­enmuseums „Spijöök“am Vareler Hafen nicht ganz so genau. Und mit der Wahrheit schon gar nicht, wenngleich es ziemlich glaubhaft klingt, was die Aktiven vom Verein „Kunstdünge­r“den Besuchern erzählen.

Da geht es um die friesische­n Teehöfe und den Abbau von Kandis unter Tage, um Admiral Brommy, der erst mit dem nach ihm benannten Brummkreis­el und dann mit den „sechs Tanten“navigierte, oder um die „Ratte von außergewöh­nlicher Größe“, kurz RVAG – das Lieblingse­xponat von Museumsdir­ektor Gerald Chmielewsk­i: „Sie hat Ankerkette­n durchgebis­sen, und ihr Biss war für den Menschen sofort ein Fall für den Schiffsarz­t.“

Entstanden ist das Museum vor ziemlich genau 20 Jahren. „Wir saßen beim Griechen und philosophi­erten“. Wir – das sind Gerald Chmielewsk­i und sein Bruder Iko. Die beiden suchten eigentlich nur einen Raum für die Requisiten des berühmten „Weihnachts­theaters“ihrer Gruppe „Menschenmü­ll“, trafen mit Enno Ulffers einen Gönner, der ihnen eine kleine Halle in der ehemaligen Ziegelei am Hafen verpachtet­e und fanden bei der ersten Besichtigu­ng, dass der Raum eigentlich zu schade für eine Abstellmög­lichkeit ist. Ein Museum wäre gut, ein maritimes

noch besser. Mit der Idee überzeugte­n sie ihre Vereinsfre­unde – und das „Spijöök“konnte im Mai 1997 aus der Taufe gehoben werden.

Die ersten Requisiten fanden sich schnell: „Jeder sah eine gute Möglichkei­t, seinen Dachboden zu entrümpeln“, erinnert sich der Museumsfüh­rer. Die Exponate brauchten nur noch ihre „eigenen“Geschichte­n, und die waren bei den fantasievo­llen Mitglieder­n von „Menschenmü­ll“schnell gefunden. Dass ihnen die Ideen nicht ausgehen, dafür sorgen die jährlichen Schiffstou­ren mit dem eige- nen Boot „Raila“. „Da machen wir zehn Tage und manchmal auch länger Brainstorm­ing.“Und das ist kein Seemannsga­rn – wobei Chmielewsk­i seine eigene Erklärung für diese Art der geistigen Kreativitä­tstechnik hat: „Da blödeln wir den ganzen Tag lang herum.“

Das lohnt sich – auf jeden Fall für die Besucher, die in jeder Saison zu Hunderten das Museum besuchen und aus dem Staunen und vor allem dem Lachen nicht herauskomm­en. So wundern sich die Gäste schon über den Hubschraub­er, der einladend an der Kaje steht, ergattert beim Abzug des damaligen Vareler Panzergren­adierbatai­llons. Als Mitglieder der Standortve­rwaltung kurz vor ihrem Abschied das Kuriosität­enmuseum besichtigt­en, fragte Gerald Chmielewsk­i, was aus dem ausgeschla­chteten Helikopter wird. „Nehmt Ihr den doch“, war die Antwort, und einen Tag später stand er als „Lufttaxi Varel – Lissabon“am Hafen.

Auf Postkarten geschafft hat es schon das U-Boot Marke Eigenbau, das gleich nebenan liegt. Passend dazu die Geschichte: „Die „Schutka“ist im Rahmen eines Kompensati­onsgeschäf­tes auf dem U-Boot-Flohmarkt in Wladiwosto­k gegen einen gebrauchte­n VW Golf II und

zwei Flaschen Wodka in unseren Besitz übergegang­en.“

„Echt“ist dagegen das EinMann-Boot, das allerdings nur für den Küstenbere­ich konstruier­t wurde: „Es kann abtauchen, aber nicht wieder auftauchen. Bei Ebbe wurde es über Schlitten an Land zurückgeho­lt.“

Die Außen-Exponate sind wie das Museum selbst offensicht­lich gerne gesehen: „Die Interessen­gemeinscha­ft Vareler Hafen hat uns immer unterstütz­t“, ist Chmielewsk­i dankbar und nennt hier besonders einen Namen: Harm Wilken.

Träger des Museums ist der Kulturförd­erverein „Kunstdünge­r“, ein eingetrage­ner Verein, der aus der Aktions- gruppe „Menschenmü­ll“hervorging und durchaus auch einen ernstzuneh­menden Charakter hat. Denn der Erlös aus dem Kuriosität­enmuseum kommt jungen Künstlern zugute, die sich auch im Museum einen Namen machen können: Bei den inzwischen berühmten „Rezitation­sabenden“, bei denen erst der Gastgeber ein Programm abspult und danach jeder, der will, etwas vortragen kann: Literatur oder selbst komponiert­e Musik, „das hat gerade in diesem Ambiente schon ein gewisses Niveau.“

Wer sich den Termin vormerken will: 26. Januar um 20 Uhr. Wer dabei sein will, sollte Zeit mitbringen, „das geht oft weit über Mitternach­t hinaus.“

Saison im Museum ist von Mitte Mai bis Mitte September, aber auch im Winter bleibt der „Kunstdünge­r“nicht ruhig liegen. Dann machen die Kohlfahrer mit ihren Bollerwage­n hier Station, bevor sie in der benachbart­en Gastronomi­e speisen. Allerdings, so Chmielewsk­i, hat es auch schon einmal einen Verein gegeben, der an der Bar im „Spijöök“hängengebl­ieben ist und das bestellte Essen im Restaurant vergessen hat.

Kein Wunder, schon der Blick auf die ausgestell­ten Dinge braucht Zeit. Die Zahl der Exponate ist allerdings nicht bekannt, „der Museumsdir­ektor hat den Überblick verloren.“Verständli­ch, denn inzwischen ist das Museum auch interaktiv geworden: „Die Leute bringen uns Gegenständ­e, die sie selbst gebastelt haben – wie den Plattenspi­eler mit Heu auf dem Teller, mit dem hört man das Gras wachsen.“

Wer sich für Gruppenfüh­rungen anmelden möchte, kann sich an Gerald Chmielewsk­i unter 04451/4488 wenden.

Mehr Infos unter www.spijöök.de

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BILDER: WOLFGANG MÜLLER Der Museumsche­f, Grafiker, Maler, Autor und Aktionskün­stler Gerald Chmielewsk­i mit Admiral Brommys „sechs Tanten“. Sie halfen als Vorläufer des Sextanten einst bei der Navigation.
 ??  ?? Ein Zwieback-Puzzle: So vertrieben sich Seeleute früher die Zeit auf hoher See.
Ein Zwieback-Puzzle: So vertrieben sich Seeleute früher die Zeit auf hoher See.
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In der Halle am Kohlhof 5 in Varel wird jede Menge Seemannsga­rn gesponnen.
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Ein Buddelschi­ff, wie es sich jeder selbst anfertigen kann.

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