SO STREITET DER NORDWESTEN
Mehr Fälle als im bundesweiten Schnitt – Scheidungen sorgen für Ärger
Vor allem private <onflikte beschäftigen die Justiz. Besonders Delmenhorst zeigt sich äußerst streitfreudig. Es geht aber auch anders.
IM NORDWESTEN – Die Norddeutschen gelten in der Regel als sehr besonnen und ruhig. Doch mit diesem Klischee räumt eine nun veröffentlichte Studie des Rechtsschutzversicherers Advocard auf – zumindest, wenn es um Oldenburg und einige Kreise umzu geht.
Dem „Streitatlas“zufolge gab es im Jahr 2016 in der Huntestadt 29,6 Streitfälle pro Hundert Einwohner (2014 waren es drei Prozent weniger), im Landkreis Oldenburg sind es 0,2 Prozent mehr. Zum Vergleich: Der Bundesschnitt liegt bei 25,1 juristischen Auseinandersetzungen, und auch in den Nachbarkreisen landen die Menschen seltener vor Gericht. Im Ammerland beispielsweise beschäftigten im vergangenen Jahr 23,1 Prozent der Bevölkerung die Justiz, in der Wesermarsch liegt der Wert bei 25,8 Streitfällen pro Hundert Einwohner. In Niedersachsen liegt der Durchschnittswert bei 25,5 Prozent.
Übertroffen wird Oldenburg in der Region nur von Delmenhorst: Hier sind 33,8 Prozent der Bevölkerung in Rechtsstreitigkeiten verwickelt – 2014 waren es noch 27,2 Prozent. Die Stadt an der Delme liegt damit sogar noch vor Leipzig (33,2 Prozent), die der Studie zufolge als bundesweit streitlustigste Großstadt (ab 300 000 Einwohnern) ausgemacht wurde.
Entspannte Ostfriesen
Fahren die Menschen im Nordwesten also besonders häufig aus der Haut? Nein, denn der Streitatlas zeigt auch, dass es in der Region anders geht. Das ostfriesische Emden verzeichnet lediglich 18,3 Streitfälle pro Hundert Einwohner, und auch in Wilhelmshaven (20,2) sowie Friesland (22,7) ist die Anzahl der Zankäpfel deutlich geringer als im Bundesschnitt. Das gilt ebenso für Bremen. Als einziges Bundesland kann die Hansestadt sogar ein Minus verzeichnen: Beschäftigten 2014 noch 25,9 Prozent der Bevölkerung die Justiz, so waren es 2016 noch 25,6 Prozent. Während in Berlin die meisten Hitzköpfe leben (31,2 Prozent), finden sich in Bayern die entspanntesten Bundesbürger (21,3 Prozent).
Für die Studie wurden deutschlandweit 1,7 Millionen Streitfälle des Rechtsschutzversicherers ausgewertet. Die Bevölkerung in Oldenburg streitet demnach besonders häufig über Privates (31,8 Prozent aller Konflikte), gefolgt von Verkehrsstreitigkeiten (30,3 Prozent) und Ärger auf der Arbeit (14 Prozent).
Viele Scheidungen
Doch wann wird am häufigsten der Anwalt losgeschickt? Vor allem in Familien fließt oft böses Blut, so machen Scheidungen und Trennungen (31,4 Prozent) sowie Fehden um das Erbe (25,3 Prozent) den Hauptteil der Auseinandersetzungen in privaten Streitsachen aus. Auch Ärger im Straßenverkehr lässt viele an die Decke gehen (27,9 Prozent) – Tendenz steigend, zwei Jahre zuvor lag dieser Wert noch bei 3,2 Punkten weniger. Hier zeigen sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede:
Während Verkehrsstreitigkeiten Männer deutlich häufiger auf die Palme bringen (30,6 Prozent) als Frauen (22,4 Prozent), so bietet Ärger im Bereich „Wohnen und Mieten“beim weiblichen Geschlecht (13,3 Prozent) schneller einen Grund, den Anwalt aufzusuchen, als bei Männern (10,1 Prozent).
Streitsüchtige Männer?
Aber wer sorgt im Nordwesten für den meisten Streit? Auffällig ist: Vor allem Männer sind in Oldenburg auf Krawall gebürstet: 70,3 Prozent aller Streitigkeiten gehen auf ihr Konto – in Friesland sind es sogar 76 Prozent. Ein StreitGen scheint gewissermaßen auf dem Y-Chromosom zu liegen. Die streitsüchtigste Altersgruppe sind in der Huntestadt die 36- bis 45-Jährigen (26,8 Prozent), im Kreis Cloppenburg wird sogar jeder dritte Fall von ihnen ausgetragen. Der bundesweite Schnitt liegt hier bei etwas mehr als 28 Prozent. Massiv zugenommen hat der Anteil der jüngeren Streitenden: Vor 15 Jahren waren junge Erwachsene unter 36 Jahren noch für etwas über drei Prozent aller Konflikte verantwortlich, 2016 waren es bundesweit bereits 23,7 Prozent.
Der Streitwert liegt in sämtlichen Kreisen im Nordwesten größtenteils (zwischen 66 und 76 Prozent) bei unter 2000 Euro, nur selten wird vor Gericht um Millionenbeträge gekämpft – in Friesland ging es im Jahr 2016 beispielsweise um maximal 50 000 Euro. Im Nordwesten beschäftigen Auseinandersetzungen die Justiz größtenteils 12 bis 24 Monate lang. Von wegen kurzer Prozess: Lediglich 13 bis 17 Prozent der Verfahren dauern weniger als drei Monate.