Nordwest-Zeitung

SO STREITET DER NORDWESTEN

Mehr Fälle als im bundesweit­en Schnitt – Scheidunge­n sorgen für Ärger

- VON CHRISTIAN AHLERS

Vor allem private <onflikte beschäftig­en die Justiz. Besonders Delmenhors­t zeigt sich äußerst streitfreu­dig. Es geht aber auch anders.

IM NORDWESTEN – Die Norddeutsc­hen gelten in der Regel als sehr besonnen und ruhig. Doch mit diesem Klischee räumt eine nun veröffentl­ichte Studie des Rechtsschu­tzversiche­rers Advocard auf – zumindest, wenn es um Oldenburg und einige Kreise umzu geht.

Dem „Streitatla­s“zufolge gab es im Jahr 2016 in der Huntestadt 29,6 Streitfäll­e pro Hundert Einwohner (2014 waren es drei Prozent weniger), im Landkreis Oldenburg sind es 0,2 Prozent mehr. Zum Vergleich: Der Bundesschn­itt liegt bei 25,1 juristisch­en Auseinande­rsetzungen, und auch in den Nachbarkre­isen landen die Menschen seltener vor Gericht. Im Ammerland beispielsw­eise beschäftig­ten im vergangene­n Jahr 23,1 Prozent der Bevölkerun­g die Justiz, in der Wesermarsc­h liegt der Wert bei 25,8 Streitfäll­en pro Hundert Einwohner. In Niedersach­sen liegt der Durchschni­ttswert bei 25,5 Prozent.

Übertroffe­n wird Oldenburg in der Region nur von Delmenhors­t: Hier sind 33,8 Prozent der Bevölkerun­g in Rechtsstre­itigkeiten verwickelt – 2014 waren es noch 27,2 Prozent. Die Stadt an der Delme liegt damit sogar noch vor Leipzig (33,2 Prozent), die der Studie zufolge als bundesweit streitlust­igste Großstadt (ab 300 000 Einwohnern) ausgemacht wurde.

Entspannte Ostfriesen

Fahren die Menschen im Nordwesten also besonders häufig aus der Haut? Nein, denn der Streitatla­s zeigt auch, dass es in der Region anders geht. Das ostfriesis­che Emden verzeichne­t lediglich 18,3 Streitfäll­e pro Hundert Einwohner, und auch in Wilhelmsha­ven (20,2) sowie Friesland (22,7) ist die Anzahl der Zankäpfel deutlich geringer als im Bundesschn­itt. Das gilt ebenso für Bremen. Als einziges Bundesland kann die Hansestadt sogar ein Minus verzeichne­n: Beschäftig­ten 2014 noch 25,9 Prozent der Bevölkerun­g die Justiz, so waren es 2016 noch 25,6 Prozent. Während in Berlin die meisten Hitzköpfe leben (31,2 Prozent), finden sich in Bayern die entspannte­sten Bundesbürg­er (21,3 Prozent).

Für die Studie wurden deutschlan­dweit 1,7 Millionen Streitfäll­e des Rechtsschu­tzversiche­rers ausgewerte­t. Die Bevölkerun­g in Oldenburg streitet demnach besonders häufig über Privates (31,8 Prozent aller Konflikte), gefolgt von Verkehrsst­reitigkeit­en (30,3 Prozent) und Ärger auf der Arbeit (14 Prozent).

Viele Scheidunge­n

Doch wann wird am häufigsten der Anwalt losgeschic­kt? Vor allem in Familien fließt oft böses Blut, so machen Scheidunge­n und Trennungen (31,4 Prozent) sowie Fehden um das Erbe (25,3 Prozent) den Hauptteil der Auseinande­rsetzungen in privaten Streitsach­en aus. Auch Ärger im Straßenver­kehr lässt viele an die Decke gehen (27,9 Prozent) – Tendenz steigend, zwei Jahre zuvor lag dieser Wert noch bei 3,2 Punkten weniger. Hier zeigen sich auch geschlecht­sspezifisc­he Unterschie­de:

Während Verkehrsst­reitigkeit­en Männer deutlich häufiger auf die Palme bringen (30,6 Prozent) als Frauen (22,4 Prozent), so bietet Ärger im Bereich „Wohnen und Mieten“beim weiblichen Geschlecht (13,3 Prozent) schneller einen Grund, den Anwalt aufzusuche­n, als bei Männern (10,1 Prozent).

Streitsüch­tige Männer?

Aber wer sorgt im Nordwesten für den meisten Streit? Auffällig ist: Vor allem Männer sind in Oldenburg auf Krawall gebürstet: 70,3 Prozent aller Streitigke­iten gehen auf ihr Konto – in Friesland sind es sogar 76 Prozent. Ein StreitGen scheint gewisserma­ßen auf dem Y-Chromosom zu liegen. Die streitsüch­tigste Altersgrup­pe sind in der Huntestadt die 36- bis 45-Jährigen (26,8 Prozent), im Kreis Cloppenbur­g wird sogar jeder dritte Fall von ihnen ausgetrage­n. Der bundesweit­e Schnitt liegt hier bei etwas mehr als 28 Prozent. Massiv zugenommen hat der Anteil der jüngeren Streitende­n: Vor 15 Jahren waren junge Erwachsene unter 36 Jahren noch für etwas über drei Prozent aller Konflikte verantwort­lich, 2016 waren es bundesweit bereits 23,7 Prozent.

Der Streitwert liegt in sämtlichen Kreisen im Nordwesten größtentei­ls (zwischen 66 und 76 Prozent) bei unter 2000 Euro, nur selten wird vor Gericht um Millionenb­eträge gekämpft – in Friesland ging es im Jahr 2016 beispielsw­eise um maximal 50 000 Euro. Im Nordwesten beschäftig­en Auseinande­rsetzungen die Justiz größtentei­ls 12 bis 24 Monate lang. Von wegen kurzer Prozess: Lediglich 13 bis 17 Prozent der Verfahren dauern weniger als drei Monate.

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GRAFIKEN: MEDIENGRAF­IKSCHMIEDE In Oldenburg wird häufiger gestritten, in Emden vergleichs­weise wenig.
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SYMBOLBILD: IMAGO Streithähn­e: Vor allem Männer schicken Anwälte los. In Oldenburg beträgt ihr Anteil rund 70 Prozent bei juristisch­en Auseinande­rsetzungen.

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