Nordwest-Zeitung

Osmanische Träume und harte Realpoliti­k

Wie sich Fronten im Jerusalem-Streit neu ordnen

- Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Er ist promoviert­er Historiker und Islamwisse­nschaftler und hat in Jerusalem gelebt. @ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

Genau 100 Jahre nach einem historisch­en Ereignis in Jerusalem brodelt es wieder um die Heilige Stadt. Am 9. September 1917 nahmen britische Soldaten die Kapitulati­on der zum Osmanische­n Reich gehörenden Stadt entgegen. So endeten fast 1300 Jahre islamische Herrschaft, die nach der Niederlage des christlich­en Byzanz gegen die Araber 637 begonnen hatten. Dann überschlug­en sich die Entwicklun­gen: Das britische Mandat endete 1948 mit der Gründung Israels. Die Araber akzeptiert­en das nicht – und bezahlten ihre aggressive Verweigeru­ngshaltung 1948, 1967 und 1973 mit militärisc­hen Niederlage­n. Gelöst war damit jedoch nichts – nicht die staatliche Neuordnung der Region, nicht die Jerusalem-Frage.

Nach Jahrzehnte­n scheint nun neue Bewegung in den eingefrore­nen Konflikt zu kommen. Das hat nicht ausschließ­lich etwas mit der neuen US-Außenpolit­ik zu tun, die unter Trump deutlich israelfreu­ndlicher geworden ist. Diese Bewegung ist vor allem Folge einer grundlegen­den Verschiebu­ng der Konfliktli­nien und Fronten im Nahen und Mittleren Osten.

Zunächst überlagert eine grundsätzl­iche Entwicklun­g die alten Zwistigkei­ten: die schiitisch-iranische Expansion in Syrien, dem Jemen oder auch dem Libanon, die iranische Aufrüstung sowie die Destabilis­ierung der Region durch iranisch unterstütz­te nichtstaat­liche TerrorOrga­nisationen wie die Hizb Allah im Libanon. Das alles richtet sich ebenso gegen die sunnitisch­en, arabischen Staaten der Region wie gegen Israel und treibt so einstige Gegner zueinander.

Hinter den Kulissen haben Israel und Saudi-Arabien schon länger kooperiert. Geheimdien­ste und das Militär der beiden Länder konsultier­en sich regelmäßig. Der neue starke Mann in Riad, Kronprinz Mohammed bin Salman, hat diesen Prozess noch beschleuni­gt. Grundlage seiner Außenpolit­ik ist die Überzeugun­g, Saudi-Arabien müsse alles tun, um den Aufstieg Irans zur dominieren­den Macht im Vorderen Orient zu verhindern. Diese Grundüberz­eugung lässt Saudi-Arabien und Israel, das an seinen Grenzen einen massiven Ausbau iranischer Präsenz beobachtet und dessen Auslöschun­g in Teheran Staatsdokt­rin ist, fast zu natürliche­n Verbündete­n werden.

Das materialis­ierte sich zu Wochenbegi­nn in überzeugen­den Berichten über einen saudischen Friedenspl­an, der so noch vor einem Jahr undenkbar gewesen ist. Dieses Papier dürfte Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu

entzücken und Palästinen­ser-Chef Mahmud Abbas zur Verzweiflu­ng bringen. Danach würden die Araber in Judäa, Samaria und Gaza zwar einen eigenen Staat bekommen, allerdings mit begrenzter Souveränit­ät und zersplitte­rtem Territoriu­m. Die meisten israelisch­en Wohnsiedlu­ngen blieben bestehen, und es würde kein Rückkehrre­cht für die Nachkommen ehemaliger arabischer Bewohner Israels geben. Zudem bekämen die Palästinen­ser nicht – wie gefordert – Ostjerusal­em als Hauptstadt, sondern die Vorstadt Abu Dis. Damit wäre Israels eiserner Grundsatz – Jerusalem als „ewige und unteilbare Hauptstadt“– durchgeset­zt.

Angesichts dessen wirken die Proteste Riads gegen eine mögliche Anerkennun­g Jerusalems als israelisch­e Hauptstadt durch Washington wie Pflichtübu­ngen. Zudem sind die Saudis nach Israel der wichtigste Verbündete der USA gegen den iranisch-schiitisch­en Block. Man kann also davon ausgehen, dass hier kein politische­r Zug ohne Absprache getan wird.

Diese Entwicklun­gen treffen auf palästinen­sische Araber, die durch Sympathien für den Iran, die zutiefst genozidal-antisemiti­sche Hamas sowie eine bis auf die Knochen korrupte Autonomie-Behörde ohnehin geschwächt sind. Der arabischen Seite bleibt angesichts der offenkundi­gen Nichtdurch­setzbarkei­t ihrer Maximalfor­derungen nur Wut – und die übliche Aufstachel­ung der Massen. Nur in den Europäern haben sie noch treue Verbündete. Für so manch wichtigen arabischen Staat sind die Palästinen­ser hingegen angesichts der neuen Bedrohunge­n schlicht nebensächl­ich geworden.

Die Europäer, einschließ­lich Deutschlan­ds, haben jedoch außer gebetsmühl­enartigen Beschwörun­gen und Schecks wenig zu bieten. Da hilft auch die unter Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) zunehmend antiisrael­isch ausgericht­ete Außenpolit­ik nichts. In seiner Impotenz marginalis­iert sich Europa daher gegenwärti­g selbst. Zudem lassen die fragwürdig­en Annäherung­en an den Iran das Misstrauen gegen Brüssel und die EU-Staaten wachsen.

Bleibt die Türkei: Präsident Erdogan geht es in Wirklichke­it keineswegs um die Palästinen­ser. Ihm kommt die Jerusalem-Debatte gelegen, um von innenpolit­ischen Problemen abzulenken. Zudem träumt der neue Sultan bekanntlic­h noch immer seine neo-osmanische­n GroßreichT­räume. Dazu gehört auch ein „heimgeholt­es“Jerusalem unter türkischem Einfluss.

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BILD: LIBRARY OF CONGRESS, LC-DIG-MATPC-00162 Der Bürgermeis­ter Jerusalems (Mitte) übergibt am 8. Dezember 1917 die Stadt an die Briten.
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