Osmanische Träume und harte Realpolitik
Wie sich Fronten im Jerusalem-Streit neu ordnen
Genau 100 Jahre nach einem historischen Ereignis in Jerusalem brodelt es wieder um die Heilige Stadt. Am 9. September 1917 nahmen britische Soldaten die Kapitulation der zum Osmanischen Reich gehörenden Stadt entgegen. So endeten fast 1300 Jahre islamische Herrschaft, die nach der Niederlage des christlichen Byzanz gegen die Araber 637 begonnen hatten. Dann überschlugen sich die Entwicklungen: Das britische Mandat endete 1948 mit der Gründung Israels. Die Araber akzeptierten das nicht – und bezahlten ihre aggressive Verweigerungshaltung 1948, 1967 und 1973 mit militärischen Niederlagen. Gelöst war damit jedoch nichts – nicht die staatliche Neuordnung der Region, nicht die Jerusalem-Frage.
Nach Jahrzehnten scheint nun neue Bewegung in den eingefrorenen Konflikt zu kommen. Das hat nicht ausschließlich etwas mit der neuen US-Außenpolitik zu tun, die unter Trump deutlich israelfreundlicher geworden ist. Diese Bewegung ist vor allem Folge einer grundlegenden Verschiebung der Konfliktlinien und Fronten im Nahen und Mittleren Osten.
Zunächst überlagert eine grundsätzliche Entwicklung die alten Zwistigkeiten: die schiitisch-iranische Expansion in Syrien, dem Jemen oder auch dem Libanon, die iranische Aufrüstung sowie die Destabilisierung der Region durch iranisch unterstützte nichtstaatliche TerrorOrganisationen wie die Hizb Allah im Libanon. Das alles richtet sich ebenso gegen die sunnitischen, arabischen Staaten der Region wie gegen Israel und treibt so einstige Gegner zueinander.
Hinter den Kulissen haben Israel und Saudi-Arabien schon länger kooperiert. Geheimdienste und das Militär der beiden Länder konsultieren sich regelmäßig. Der neue starke Mann in Riad, Kronprinz Mohammed bin Salman, hat diesen Prozess noch beschleunigt. Grundlage seiner Außenpolitik ist die Überzeugung, Saudi-Arabien müsse alles tun, um den Aufstieg Irans zur dominierenden Macht im Vorderen Orient zu verhindern. Diese Grundüberzeugung lässt Saudi-Arabien und Israel, das an seinen Grenzen einen massiven Ausbau iranischer Präsenz beobachtet und dessen Auslöschung in Teheran Staatsdoktrin ist, fast zu natürlichen Verbündeten werden.
Das materialisierte sich zu Wochenbeginn in überzeugenden Berichten über einen saudischen Friedensplan, der so noch vor einem Jahr undenkbar gewesen ist. Dieses Papier dürfte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
entzücken und Palästinenser-Chef Mahmud Abbas zur Verzweiflung bringen. Danach würden die Araber in Judäa, Samaria und Gaza zwar einen eigenen Staat bekommen, allerdings mit begrenzter Souveränität und zersplittertem Territorium. Die meisten israelischen Wohnsiedlungen blieben bestehen, und es würde kein Rückkehrrecht für die Nachkommen ehemaliger arabischer Bewohner Israels geben. Zudem bekämen die Palästinenser nicht – wie gefordert – Ostjerusalem als Hauptstadt, sondern die Vorstadt Abu Dis. Damit wäre Israels eiserner Grundsatz – Jerusalem als „ewige und unteilbare Hauptstadt“– durchgesetzt.
Angesichts dessen wirken die Proteste Riads gegen eine mögliche Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch Washington wie Pflichtübungen. Zudem sind die Saudis nach Israel der wichtigste Verbündete der USA gegen den iranisch-schiitischen Block. Man kann also davon ausgehen, dass hier kein politischer Zug ohne Absprache getan wird.
Diese Entwicklungen treffen auf palästinensische Araber, die durch Sympathien für den Iran, die zutiefst genozidal-antisemitische Hamas sowie eine bis auf die Knochen korrupte Autonomie-Behörde ohnehin geschwächt sind. Der arabischen Seite bleibt angesichts der offenkundigen Nichtdurchsetzbarkeit ihrer Maximalforderungen nur Wut – und die übliche Aufstachelung der Massen. Nur in den Europäern haben sie noch treue Verbündete. Für so manch wichtigen arabischen Staat sind die Palästinenser hingegen angesichts der neuen Bedrohungen schlicht nebensächlich geworden.
Die Europäer, einschließlich Deutschlands, haben jedoch außer gebetsmühlenartigen Beschwörungen und Schecks wenig zu bieten. Da hilft auch die unter Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zunehmend antiisraelisch ausgerichtete Außenpolitik nichts. In seiner Impotenz marginalisiert sich Europa daher gegenwärtig selbst. Zudem lassen die fragwürdigen Annäherungen an den Iran das Misstrauen gegen Brüssel und die EU-Staaten wachsen.
Bleibt die Türkei: Präsident Erdogan geht es in Wirklichkeit keineswegs um die Palästinenser. Ihm kommt die Jerusalem-Debatte gelegen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Zudem träumt der neue Sultan bekanntlich noch immer seine neo-osmanischen GroßreichTräume. Dazu gehört auch ein „heimgeholtes“Jerusalem unter türkischem Einfluss.