DIE ÄLTESTE KIRCHE DER REGION
Küster Wolfgang Jöllenbeck arbeitet in der ältesten Kirche im Oldenburger Land
Die Gemeinde möchte eine neue Orgel installieren. Ziel ist auch, die Rosette über dem Eingangsportal freizulegen.
WILDESHAUSEN – „Alles Routine“, sagt Wolfgang Jöllenbeck. Eine Stunde vor dem Sonntagsgottesdienst in der Wildeshauser Alexanderkirche schaltet er das Licht an. Die sandfarbenen Wände der ältesten Kirche im Oldenburger Land, deren Grundmauern aus dem 12. Jahrhundert stammen, wirken noch wärmer als bei Tageslicht. Der Küster, 51 Jahre alt, hat am Sonntag seinen festen Zeitplan. Spätestens um 9 Uhr ist er auf der Herrlichkeit 6, so die offizielle Adresse des Kirchengebäudes, vor Ort.
Zuerst werden die Ziffern für die Lieder an den Säulen des Gotteshauses angebracht. Dann prüft er Beleuchtung und Lautsprecheranlage. Das Headset legt er für den Pastor in der Sakristei bereit. „Manchmal muss ich das Mikro anstecken“, erzählt er. An diesem Sonntag stehen auch Abendmahl und Taufe an. Er holt die Silberkelche und die Teller für die Oblaten aus einem Schrank im Südquerhaus der alten Basilika und stellt sie auf den Altar. Traubensaft und Rotwein werden erst möglichst spät eingefüllt. „Weil die Säure sonst das Material angreift“, weiß Jöllenbeck. Auch Wasser und Rosenblätter für das Taufbecken stellt er bereit.
Kranz im Keller gebunden
An diesem Sonntag wird die Routine durchbrochen. Jöllenbeck steckt die erste Kerze auf dem Adventskranz an. Ein Blickfang vor dem Altar. Den Kranz hat er im Keller seines Hauses an einer alten Kranzbindemaschine selbst gefertigt. „Die kommt einmal im Jahr zum Einsatz und ist gefühlt 50 Jahre alt“, erzählt Jöllenbeck. Es handelt sich um ein Erbstück seines Vaters Heinz, der eine Gärtnerei hatte. Hinter dem Altar findet sich ein weiterer Hinweis auf das nahende Weihnachtsfest: der große
Holzstall der Weihnachtskrippe. Peu à peu wird der Küster bis zum Heiligen Abend die Figuren hinzufügen. Wenn Punkt 10 Uhr Pastor und Kirchenälteste Richtung Altar gehen, freut sich auch Jöllenbeck. Die alte Orgel, in der Regel mit Kirchenmusikdirektor Ralf Grössler besetzt, erhellt den Raum.
Wohl nicht mehr lange. Die 1970 installierte Kleuker-Orgel, für die dem Zeitgeist entsprechend Spanplatten und Kunststoffe verwendet wurden, soll durch ein neues Instrument ersetzt werden. Das hat nicht nur musikalische, sondern auch kunsthistorische Gründe: Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde möchte, dass die kunstvoll gestaltete Rosette über dem Eingangsportal der Kirche, die seit 1946 offiziell im Besitz der Landeskirche zu Olden-
burg ist, wieder freigelegt wird. Verdeckt das jetzige Orgelprospekt die Rosette, werden die großen Pfeifen der neuen Orgel links und rechts des bunten Fensters angeordnet.
Rosette wird frei gelegt
Spätestens seit der Renovierung des Gotteshauses vor rund 110 Jahren hat sich die Alexanderkirche ein Alleinstellungsmerkmal erworben: „Es gibt in Deutschland keine andere sächsisch-romanische Basilika, die im Jugendstil gestaltet worden ist“, erklärt unter anderem Hartmut Berlinicke, Künstler und Theologe. Er hat sich intensiv mit dem „Gesamtkunstwerk Alexanderkirche“beschäftigt. Berlinicke spricht von einem „Glücksfall“, dass seinerzeit der Oldenburger Künstler und Glasmaler Georg Ernst-Karl Rohde (1847-1959) für die Ausmalungen des Chores, der Emporen und der Gestaltung der Glasfenster gewonnen wurde. Gemeinsam mit dem
Architekten Adolf Rauchheld ordnete Rohde dem Medaillon auf der Westseite ein goldfarben erscheinendes Universum als Himmelsgewölbe zu. Eine Ergänzung sei die Fenstergruppe an der Ostseite des Chorraumes. Rohde stellt den auferstandenen Christus als „neuen Adam“dar. Auch der Hochaltar wurde nach Zeichnungen Rauchhelds angepasst. Die von Bildhauer Max Gökes modellierten Engel im Sandstein bewachen quasi den Eingang zum Paradies.
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt fasste der Wildeshauser Gemeindekirchenrat den Beschluss zur Umgestaltung der Orgelempore und sprach sich mit dem Oberkirchenrat in Oldenburg ab. Ein Orgel-Förderverein sammelt eifrig Spenden. Rund 600 000 Euro sind bereits im Topf. 825 000 Euro würden benötigt, um mit dem Umbau für die neue „Königin der Instrumente“starten zu können.
Wolfgang Jöllenbeck ist sich bewusst, dass er Verantwortung für eine ganz besondere Immobilie trägt. „Diese Mauern atmen Geschichte“, sagt der 51-jährige Küster. „Oft stelle ich mir vor, wie viele
Menschen über die Jahrhunderte hinweg hier schon durchgelaufen sind.“Selbst aus dem Urlaub kümmert sich der Küster um die Beseitigung der Sturmschäden, die Sturmtief „Xavier“am Turm der Kirche hinterlassen hat. Mindestens dreimal pro Jahr kommt ein Vertreter der Bauabteilung beim Oberkirchenrat vorbei, um mögliche Reparaturen zu besprechen. Denn die Wildeshauser Kirchengemeinde ist ja „nur“Mieterin des Gebäudes. Und Jöllenbeck genießt es, bei seiner Arbeit einen Blick auf die wertvollen romanischen Fresken in der Sakristei zu werfen, die sonst öffentlich nicht zugänglich ist.
In der Advents- und Weihnachtszeit nimmt die Zahl der Arbeitsstunden schlagartig zu. An den Aufbau des Weihnachtsbaumes und die Installation der Beleuchtung mag er noch nicht denken. „Da ist viel Getüddel mit dem Kabel“, sagt der gelernte Gärtner und Umweltschutztechniker. Erst am Sonntag um 12 Uhr, gut 45 Minuten nach Ende des Gottesdienstes, schließt er die Arbeit ab. Zuletzt bläst der Küster die Kerze des Adventskranzes aus. Für ihn Routine.