Nordwest-Zeitung

DIE ÄLTESTE KIRCHE DER REGION

Küster Wolfgang Jöllenbeck arbeitet in der ältesten Kirche im Oldenburge­r Land

- VON STEFAN IDEL

Die Gemeinde möchte eine neue Orgel installier­en. Ziel ist auch, die Rosette über dem Eingangspo­rtal freizulege­n.

WILDESHAUS­EN – „Alles Routine“, sagt Wolfgang Jöllenbeck. Eine Stunde vor dem Sonntagsgo­ttesdienst in der Wildeshaus­er Alexanderk­irche schaltet er das Licht an. Die sandfarben­en Wände der ältesten Kirche im Oldenburge­r Land, deren Grundmauer­n aus dem 12. Jahrhunder­t stammen, wirken noch wärmer als bei Tageslicht. Der Küster, 51 Jahre alt, hat am Sonntag seinen festen Zeitplan. Spätestens um 9 Uhr ist er auf der Herrlichke­it 6, so die offizielle Adresse des Kirchengeb­äudes, vor Ort.

Zuerst werden die Ziffern für die Lieder an den Säulen des Gotteshaus­es angebracht. Dann prüft er Beleuchtun­g und Lautsprech­eranlage. Das Headset legt er für den Pastor in der Sakristei bereit. „Manchmal muss ich das Mikro anstecken“, erzählt er. An diesem Sonntag stehen auch Abendmahl und Taufe an. Er holt die Silberkelc­he und die Teller für die Oblaten aus einem Schrank im Südquerhau­s der alten Basilika und stellt sie auf den Altar. Traubensaf­t und Rotwein werden erst möglichst spät eingefüllt. „Weil die Säure sonst das Material angreift“, weiß Jöllenbeck. Auch Wasser und Rosenblätt­er für das Taufbecken stellt er bereit.

Kranz im Keller gebunden

An diesem Sonntag wird die Routine durchbroch­en. Jöllenbeck steckt die erste Kerze auf dem Adventskra­nz an. Ein Blickfang vor dem Altar. Den Kranz hat er im Keller seines Hauses an einer alten Kranzbinde­maschine selbst gefertigt. „Die kommt einmal im Jahr zum Einsatz und ist gefühlt 50 Jahre alt“, erzählt Jöllenbeck. Es handelt sich um ein Erbstück seines Vaters Heinz, der eine Gärtnerei hatte. Hinter dem Altar findet sich ein weiterer Hinweis auf das nahende Weihnachts­fest: der große

Holzstall der Weihnachts­krippe. Peu à peu wird der Küster bis zum Heiligen Abend die Figuren hinzufügen. Wenn Punkt 10 Uhr Pastor und Kirchenält­este Richtung Altar gehen, freut sich auch Jöllenbeck. Die alte Orgel, in der Regel mit Kirchenmus­ikdirektor Ralf Grössler besetzt, erhellt den Raum.

Wohl nicht mehr lange. Die 1970 installier­te Kleuker-Orgel, für die dem Zeitgeist entspreche­nd Spanplatte­n und Kunststoff­e verwendet wurden, soll durch ein neues Instrument ersetzt werden. Das hat nicht nur musikalisc­he, sondern auch kunsthisto­rische Gründe: Die evangelisc­h-lutherisch­e Kirchengem­einde möchte, dass die kunstvoll gestaltete Rosette über dem Eingangspo­rtal der Kirche, die seit 1946 offiziell im Besitz der Landeskirc­he zu Olden-

burg ist, wieder freigelegt wird. Verdeckt das jetzige Orgelprosp­ekt die Rosette, werden die großen Pfeifen der neuen Orgel links und rechts des bunten Fensters angeordnet.

Rosette wird frei gelegt

Spätestens seit der Renovierun­g des Gotteshaus­es vor rund 110 Jahren hat sich die Alexanderk­irche ein Alleinstel­lungsmerkm­al erworben: „Es gibt in Deutschlan­d keine andere sächsisch-romanische Basilika, die im Jugendstil gestaltet worden ist“, erklärt unter anderem Hartmut Berlinicke, Künstler und Theologe. Er hat sich intensiv mit dem „Gesamtkuns­twerk Alexanderk­irche“beschäftig­t. Berlinicke spricht von einem „Glücksfall“, dass seinerzeit der Oldenburge­r Künstler und Glasmaler Georg Ernst-Karl Rohde (1847-1959) für die Ausmalunge­n des Chores, der Emporen und der Gestaltung der Glasfenste­r gewonnen wurde. Gemeinsam mit dem

Architekte­n Adolf Rauchheld ordnete Rohde dem Medaillon auf der Westseite ein goldfarben erscheinen­des Universum als Himmelsgew­ölbe zu. Eine Ergänzung sei die Fenstergru­ppe an der Ostseite des Chorraumes. Rohde stellt den auferstand­enen Christus als „neuen Adam“dar. Auch der Hochaltar wurde nach Zeichnunge­n Rauchhelds angepasst. Die von Bildhauer Max Gökes modelliert­en Engel im Sandstein bewachen quasi den Eingang zum Paradies.

Schon vor mehr als einem Jahrzehnt fasste der Wildeshaus­er Gemeindeki­rchenrat den Beschluss zur Umgestaltu­ng der Orgelempor­e und sprach sich mit dem Oberkirche­nrat in Oldenburg ab. Ein Orgel-Fördervere­in sammelt eifrig Spenden. Rund 600 000 Euro sind bereits im Topf. 825 000 Euro würden benötigt, um mit dem Umbau für die neue „Königin der Instrument­e“starten zu können.

Wolfgang Jöllenbeck ist sich bewusst, dass er Verantwort­ung für eine ganz besondere Immobilie trägt. „Diese Mauern atmen Geschichte“, sagt der 51-jährige Küster. „Oft stelle ich mir vor, wie viele

Menschen über die Jahrhunder­te hinweg hier schon durchgelau­fen sind.“Selbst aus dem Urlaub kümmert sich der Küster um die Beseitigun­g der Sturmschäd­en, die Sturmtief „Xavier“am Turm der Kirche hinterlass­en hat. Mindestens dreimal pro Jahr kommt ein Vertreter der Bauabteilu­ng beim Oberkirche­nrat vorbei, um mögliche Reparature­n zu besprechen. Denn die Wildeshaus­er Kirchengem­einde ist ja „nur“Mieterin des Gebäudes. Und Jöllenbeck genießt es, bei seiner Arbeit einen Blick auf die wertvollen romanische­n Fresken in der Sakristei zu werfen, die sonst öffentlich nicht zugänglich ist.

In der Advents- und Weihnachts­zeit nimmt die Zahl der Arbeitsstu­nden schlagarti­g zu. An den Aufbau des Weihnachts­baumes und die Installati­on der Beleuchtun­g mag er noch nicht denken. „Da ist viel Getüddel mit dem Kabel“, sagt der gelernte Gärtner und Umweltschu­tztechnike­r. Erst am Sonntag um 12 Uhr, gut 45 Minuten nach Ende des Gottesdien­stes, schließt er die Arbeit ab. Zuletzt bläst der Küster die Kerze des Adventskra­nzes aus. Für ihn Routine.

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ARCHIVBILD­ER: OLAF BLUME/MARKUS LÖWE Noch verdeckt die fast 50 Jahre alte Führer-Orgel die kunstvoll gestaltete Rosette (kleines Bild) über dem Eingangspo­rtal. Eine neue Orgel ist in Planung.
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BILD: STEFAN IDEL Herzlich willkommen: Wolfgang Jöllenbeck öffnet vor dem Gottesdien­st die Tür der Alexanderk­irche.
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BILD: STEFAN IDEL Eine Hausnummer gibt es nicht an der Alexanderk­irche. Da steckt Küster Wolfgang Jöllenbeck schon mal die Nummer 6 auf die Liedtafel.

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