Nordwest-Zeitung

Lehrstunde

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL @ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Was auch immer sich Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu von dieser Selbsteinl­adung nach Brüssel erhofft hatte – er bekam es nicht. Mit unmissvers­tändlicher Klarheit und überrasche­nderweise auch großer Einigkeit erteilten die 28 EU-Außenminis­ter dem Versuch, mit einer Hauptstadt Jerusalem Fakten zu schaffen, eine Abfuhr. Die einseitige Parteinahm­e der USA für den jüdischen Staat wird in Europa nicht nur einfach missbillig­t, sondern zutiefst bedauert. Denn Washington hat sich selbst der Möglichkei­t beraubt, mit allen Konfliktpa­rteien zu reden. Mit einer gewissen Nostalgie erinnert man sich in Brüssel an die einstige Pendel-Diplomatie des amerikanis­chen Außenminis­ters Henry Kissinger, der so lange zwischen Palästina und Israel hin- und herflog, bis er alle an einem Tisch hatte. Allerdings verhält sich die EU auch nicht völlig unparteiis­ch. Mit europäisch­en Geldern wird praktisch der komplette palästinen­sische Regierungs­apparat finanziert – mit Wissen und Billigung Israels.

Jerusalem ist nicht einfach irgendeine Stadt. Dieses wichtige, ja zentrale Symbol für drei große Religionen kann und darf nicht einfach von einer Seite annektiert werden, um bei dann folgenden Gesprächen eine bessere Ausgangsba­sis zu haben. Denn genau das scheint Netanjahus Rechnung zu sein – unter tatkräftig­er Mithilfe des amerikanis­chen Präsidente­n. Doch die EU will keine Fakten schaffen, die von einer Seite bei anschließe­nden Friedensge­sprächen als Faustpfand genutzt werden könnten. Europa setzt auf einen Dialog, der am Ende vielleicht sogar im Nahen Osten zu einer Union nach dem Vorbild der EU führen wird – dem historisch einzigen Modell, das zur Überwindun­g jahrzehnte­langer Feindselig­keiten in der Lage war. Doch dazu braucht sie Verbündete, die nicht vorpresche­n und glauben, sie hätten nun den Stein der Weisen gefunden, die über 70 Jahre dauernden, vergeblich­en Bemühungen durchbrech­en zu können. Vielleicht hat Netanjahu am Montag in Brüssel erst lernen müssen, wie außenpolit­isch selbstbewu­sst die Europäer inzwischen geworden sind – vor allem aber, wie sehr Washington sein früheres Gewicht in der Welt längst eingebüßt hat. Dann war das eine gelungene Lehrstunde für den Ministerpr­äsidenten Israels.

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