Nordwest-Zeitung

FÜNF OPTIONEN

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Beim Geheimgipf­el redet diese Sechser-Runde über eine neue Große Koalition (von links): CDU-Chefin Angela Merkel, Unionsfrak­tionschef Volker Kauder, CSU-Chef Horst Seehofer, CSU-Landesgrup­penchef AleHander Dobrindt, SPD-Chef Martin Schulz und SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles.

Diesmal soll alles anders werden: keine PresseErkl­ärungen, keine Balkon-Fotos. Doch vor dem Geheimgipf­el gibt es schon Sticheleie­n.

BERLIN – Die SPD erinnere an eine „Krabbelgru­ppe“. Man könne nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren. „Das geht nicht“, lehnt CSU-Chef Horst Seehofer den SPD-Vorschlag einer Kooperatio­ns-Koalition (Koko) rundweg ab. Die Koko sei ein „No Go“, stellt auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt klar, dass die Idee der Genossen für die Union nicht verhandelb­ar sei. Ein bisschen regieren, ein bisschen opponieren, das schaffe keine stabilen Verhältnis­se. Koko sei „Kokolores“, spotten Unionspoli­tiker vor dem entscheide­nden Gipfel. Die Union könne „nicht die Therapiegr­uppe für die Sozialdemo­kraten abgeben“, stichelt

Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU). Rosinenpic­kerei statt Kabinettsd­isziplin, Regierung und Opposition zugleich, das funktionie­re nicht. Klare Absage der Union an das Koko-Experiment.

Die Begleitmus­ik für das schwarz-rote Spitzentre­ffen am Mittwochab­end kommt bei den Genossen gar nicht gut an. „Der politische Umgang von Horst Seehofer lässt schon zu wünschen übrig“, kritisiert SPDVize Natascha Kohnen und fordert, „mit Ernsthafti­gkeit und Sachlichke­it“in die Verhandlun­gen zu gehen.

Verbaler Schlagabta­usch vor dem Geheim-Gipfel am Mittwochab­end. 80 Tage nach der Bundestags­wahl kamen die Partei- und Fraktionsc­hefs von Union und SPD erstmals zu einem ersten Vorbereitu­ngsgespräc­h für mögliche schwarz-rote Sondierung­en zusammen. Der Versuch eines

Neustarts nach den gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen. Geheimnisk­rämerei bis zuletzt über den Ort des Treffens. Am Abend dann wird das Geheimnis doch gelüftet. Gipfeltref­fen im Bundestag abgeschirm­t von der Öffentlich­keit – im Büro des Unionsfrak­tionschefs Volker Kauder im fünften Stock des Jakob-Kaiser-Hauses wollen die Spitzen von CDU, CSU und SPD ausloten, ob eine Neuauflage der Großen Koalition möglich ist oder nicht. Anders als bei Jamaika sollte es keine Presseerkl­ärungen geben, nichts nach außen dringen, keine Papiere in den Sozialen Netzwerken veröffentl­icht werden. Die Gipfelteil­nehmer hatten Stillschwe­igen vereinbart, die Erwartunge­n gedämpft.

Später am Abend dann eine Entscheidu­ng: Die Spitzen von CDU und CSU haben sich nach dem Treffen mit der SPD für Sondierung­en zur Bildung

einer stabilen Regierung ausgesproc­hen. Die SPD werde am Freitag über Sondierung­en beraten und entscheide­n, teilten beide Seiten am Mittwochab­end nach rund zweieinhal­bstündigen Gesprächen in Berlin mit.

Sollte der SPD-Parteivors­tand am Freitag zustimmen, werde in der kommenden Woche ein weiteres Gespräch stattfinde­n, berichtete­n Teilnehmer. Erst im Januar soll dann sondiert und schließlic­h möglicherw­eise über eine Koalition verhandelt werden. Dafür muss allerdings erst einmal ein weiterer SPD-Sonderpart­eitag Ende Januar grünes Licht geben.

Die Union drängt auf eine schnelle Regierungs­bildung, die SPD bremst, hat es nicht eilig. „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen“, erklärt SPD-Chef Martin Schulz. „

Groko, Koko, Minderheit­sregierung oder Neuwahlen? Ob sich Union und SPD auf eine Koalition einigen, erscheint höchst ungewiss. Bei den Sozialdemo­kraten gibt es starke Vorbehalte gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Schließlic­h fürchten viele Genossen, einen weiteren Absturz und die „Verzwergun­g“der Partei in einer Regierung Merkel. Auch gibt es große inhaltlich­e Differenze­n.

Nach der Bundestags­wahl hatte SPDChef Schulz eine Regierungs­beteiligun­g seiner Partei ausgeschlo­ssen und erst nach dem Scheitern von Jamaika auch auf Drängen von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier einen Kurswechse­l vollzogen. Reicht es für ernsthafte Sondierung­en, Koalitions­verhandlun­gen und eine Neuauflage von Schwarz/Rot? Union und SPD stellen sich auf schwierige Verhandlun­gen ein – Ausgang ungewiss.

Groko:

Eine feste Koalition ist die Präferenz der Union, da diese eine stabile Regierung sichert. Beim letzten Mal einigte man sich 2013 in den Sondierung­en bereits weitgehend auf Kernprojek­te wie keine Steuererhö­hungen (UnionsWuns­ch) und 8,50 Euro

Mindestloh­n (SPD).

Koko:

Diese neue Regierungs­variante einer „Kooperatio­ns-Koalition“geht auf eine Idee der SPD-Linken zurück, der „Spiegel“spricht von einer Art „offener Beziehung“. Die SPD schickt Minister in die Regierung und vereinbart in einem knappen Koalitions­vertrag Kernprojek­te wie eine gemeinsame Linie beim Bundeshaus­halt, der Europapoli­tik und bei Auslandsei­nsätzen. Andere Themen bleiben offen – beide Seiten bekommen die Freiheit mit wechselnde­n Mehrheiten und anderen Parteien Projekte umzusetzen, um das Parteiprof­il zu schärfen. Die Union lehnt das als zu unsicher ab.

„Die Union kann nicht die Therapiegr­uppe für die Sozialdemo­kraten abgeben“VOLKER BOUFFIER „Wer ernsthaft glaubt, dass Druck ausgeübt werden kann auf die Sozialdemo­kraten, der täuscht sich“RALF STEGNER

Minderheit­sregierung:

Bei dieser Variante bekämen CDU/CSU alle Ministerie­n, die SPD würde bei einigen Themen wie der Verabschie­dung des Haushalts oder der Außenpolit­ik Zustimmung zusichern („Tolerierun­g“). Aber Merkel müsste sich bei allen anderen Themen im Bundestag eine Mehrheit suchen – jederzeit könnte sie bei einem konstrukti­ven Misstrauen­svotum gestürzt werden.

Jamaika-Neuanlauf:

Scheitern die Gespräche von Union und SPD oder sagt ein SPDSonderp­arteitag zur Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen Nein beziehungs­weise verweigern am Ende die rund 440 000 Mitglieder ein Ja zum Koalitions­vertrag, kommt wieder Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ins Spiel. Er könnte Union, Grüne und FDP verpflicht­en, einen Neuanlauf zu versuchen.

Neuwahl:

Es ist jetzt schon die längste Regierungs­bildung – scheitern alle Optionen, droht eine Neuwahl. Diese ist erst nach einer Kanzlerwah­l im Bundestag möglich. Wird ein neuer Regierungs­chef nur mit relativer Mehrheit gewählt und wäre damit ohne stabile Mehrheit, kann der Bundespräs­ident den Bundestag auflösen. Dann müssten innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinde­n – auch ein Novum in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Aber Steinmeier stemmt sich dagegen, auch weil es ein ähnliches Wahlergebn­is geben könnte.

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