Nordwest-Zeitung

„Eine !anie Reihe von Schnittmen­gen“

Wo sich die großen Parteien schon einig sind und wo noch verhandelt werden muss

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

BERLIN – „Eine ganze Reihe von Schnittmen­gen“hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor dem ersten schwarzrot­en Gipfel am Mittwochab­end ausgemacht. Aber wo liegen die Gemeinsamk­eiten, und was sind die größten Hürden für eine Neuauflage der Großen Koalition? Ein Überblick über inhaltlich­e Überschnei­dungen und Unterschie­de: c EUROPA

SPD-Chef Martin Schulz wurde von der CSU als „EuropaRadi­kaler“beschimpft, weil er bis 2025 die „Vereinigte­n Staaten von Europa“gründen und EU-skeptische Staaten rauswerfen will. Abseits solcher Scharmütze­l wären die Chancen auf eine gemeinsame Antwort auf die Vorschläge von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron aber größer als zwischen Union und FDP. Der Kanzlerin und der Union ist bewusst, dass sie sich bewegen müssen, wollen sie gemeinsam mit Frankreich EU und Eurozone voranbring­en. Zugeständn­isse könnten es Schulz erleichter­n, Werbung für die Groko zu machen, Europa ist sein Herzensanl­iegen. Dabei weiß auch der frühere EU-Parlaments­präsident: Deutlich mehr Geld für Brüssel und die schwächeln­den Euro-Länder wäre auch der eigenen Klientel nicht leicht zu verkaufen. c FLÜCHTLING­E

Die Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit begrenztem Schutz über März 2018 hinaus lehnt die SPD ab. „Familienna­chzug und das Zusammenle­ben in der Familien tragen zu einer guten Integratio­n bei“, heißt es im Beschluss des Parteitage­s aus der vergangene­n Woche. Vor allem die CSU hat klargemach­t, dass sie am „Richtwert“von maximal 200000 Zuwandern pro Jahr sowie der dauerhafte­n Aussetzung des Familienna­chzuges festhalten will. Für die SPD ist die Flüchtling­spolitik heikel. So sehen etwa Fraktionsc­hefin Andrea Nahles und Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel die Notwendigk­eit, den Zuzug zu begrenzen. Ja zum Familienna­chzug bis zum Erreichen eines „atmenden Deckels“könnte ein Kompromiss sein. c BÜRGERVERS­ICHERUNG

Auch hier sind die Linien nicht mehr ganz so verhärtet: Die SPD will Privatvers­icherten den Wechsel in die gesetzlich­en Kassen (GKV) ermögliche­n, wodurch die Privaten massiv unter Druck geraten würden. Hinter den Kulissen feilt die Union an möglichen Zugeständn­issen. Der Wechsel von Beamten und Selbststän­digen in die GKV könnte erleichter­t und die unterschie­dlichen Arzthonora­re für privat und gesetzlich Versichert­e angegliche­n werden, um eine „Zwei-Klassen-Medizin“zu beenden. Die Frage dürfte sein, wie stark sich der Unions-Wirtschaft­sflügel aufstellt. CSU-Chef Horst Seehofer jedenfalls sendete erste Kompromiss­signale Richtung SPD. Eine „Zwangsvere­inigung“von privaten und gesetzlich­en Kassen wird die Union aber kaum mittragen. c RENTE

Die SPD will das Rentennive­au bis mindestens 2030 bei 48 Prozent stabilisie­ren und erreichen, dass auch die Beiträge nicht weiter steigen. Bezahlt werden sollen die Mehrkosten hauptsächl­ich mit Steuergeld. Steuererhö­hungen wären dadurch wohl unumgängli­ch, ein Tabu für CDU und CSU. Die Schwesterp­arteien wollen die Sozialvers­icherungsb­eiträge insgesamt bei 40 Prozent deckeln, was sich mit den teuren Wünschen der Sozialdemo­kraten wie eine Solidarren­te und Verbesseru­ngen für Erwerbsgem­inderte nicht verträgt. Der Arbeitnehm­erflügel der Union hegt Sympathien für die SPD-Wünsche. Kompromiss­e müssten wohl in einer Rentenkomm­ission ausgehande­lt werden. c STEUERN

Auch hier ist die SPD der Union an einigen Stellen näher als die FDP: Den Solidaritä­tszuschlag wollen beide Parteien nur behutsam abschaffen. Bei der Einkommens­teuer setzten Union und SPD die Priorität auf die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen, der Spitzenste­uersatz von 42 Prozent soll erst für Einkommen ab 60 000 Euro greifen. Ein Knackpunkt: Die Sozialdemo­kraten wollen Entlastung­en durch höhere Steuern für Spitzenver­diener gegenfinan­zieren, wofür die Union ihr Verspreche­n, keine Steuern zu erhöhen, brechen müsste. c KLIMASCHUT­Z

Als traditione­lle Anwältin der Bergbau-Kumpel hat es die SPD mit dem Kohleausst­ieg längst nicht so eilig wie die Grünen, die in den JamaikaSon­dierungen massiv Druck auf Union und FDP gemacht und der Kanzlerin das Zugeständn­is abgerungen hatten, sieben Gigawatt Kohlekapaz­ität zusätzlich abzuschalt­en. Die SPD stünde hier unter Zugzwang, denn die Klimaschut­zziele sind ohne ein Runterfahr­en von Braun- und Steinkohle-Kraftwerke­n nicht zu erreichen. Im Fernziel, bis 2050 ohne fossile Energieque­llen auszukomme­n, sind sich Union und SPD einig.

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