Talentshow
Da sind sie wieder – die Österreich-Warner, jene Besserdeutschen, die sorgenvoll die Stirn in Falten legen, den Zeigefinger erheben und in Salzburg, Innsbruck, Linz und Wien den Austrofaschismus marschieren sehen. Das ist natürlich grober Unfug. Was diese Ballhausplatz-Astrologen allerdings richtig mitbekommen haben, ist dies: Mit der Regierung Sebastian Kurz werden in Europa die Karten neu gemischt, und für eine wie auch immer geartete Merkel-Regierung wird es enger.
Wenn nun auch einige FPÖ-Minister eine unappetitliche politische Vergangenheit haben, so ist Österreich doch zum einen eine gefestigte Demokratie. Zum anderen bietet das Programm der konservativ-freiheitlichen Regierung keinen Anlass zu vermuten, hier sei Politik im Geiste des Ungetüms aus Braunau zu erwarten. – Es sei denn, man legt es darauf an, wohlverstandenes nationales Eigeninteresse und Realpolitik als solche zu diffamieren.
Das europapolitische Kapitel des Regierungsprogramms beginnt da etwa mit einem Bekenntnis zur EU – aber auch mit dem Satz, Maßstab „internationalen Handelns sind die Interessen Österreichs und seiner Bevölkerung“. An anderer Stelle liest man, flankiert von einem Bekenntnis zum politischen Asyl, Einwanderung müsse „am Bedarf Österreichs“ausgerichtet sein. Das alles sind im Grunde politische Binsenweisheiten, von denen man allerdings im gesinnungsethisch einexerzierten Deutschland nur träumen kann. Angesichts dessen wird sich die Merkel-MacronKombination in Europa auf deutlich engere Abstimmungen zwischen Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei einstellen müssen. Man ist in diesen Ländern durchweg der Ansicht, Einwanderung müsse den eigenen Interessen dienen. Angesichts der neo-imperialen Töne aus Berlin und Paris in der Einwanderungsfrage könnte Europa der sich andeutenden Donau-Koalition vielleicht noch einmal dankbar sein. Ein großer Irrtum ist es jedenfalls, Sebastian Kurz und die Beweglichkeit der österreichischen Politik zu unterschätzen. Trotz Betonung der Neutralität im Regierungsprogramm ist Österreich etwa der EU-Verteidigungsinitiative Pesco beigetreten.
Es ist also möglich, dass Österreich mit Kurz ein politisches Talent besitzt, das in Deutschland schon lange fehlt.
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