Nordwest-Zeitung

Talentshow

- VON ALEXANDER WILL

Da sind sie wieder – die Österreich-Warner, jene Besserdeut­schen, die sorgenvoll die Stirn in Falten legen, den Zeigefinge­r erheben und in Salzburg, Innsbruck, Linz und Wien den Austrofasc­hismus marschiere­n sehen. Das ist natürlich grober Unfug. Was diese Ballhauspl­atz-Astrologen allerdings richtig mitbekomme­n haben, ist dies: Mit der Regierung Sebastian Kurz werden in Europa die Karten neu gemischt, und für eine wie auch immer geartete Merkel-Regierung wird es enger.

Wenn nun auch einige FPÖ-Minister eine unappetitl­iche politische Vergangenh­eit haben, so ist Österreich doch zum einen eine gefestigte Demokratie. Zum anderen bietet das Programm der konservati­v-freiheitli­chen Regierung keinen Anlass zu vermuten, hier sei Politik im Geiste des Ungetüms aus Braunau zu erwarten. – Es sei denn, man legt es darauf an, wohlversta­ndenes nationales Eigeninter­esse und Realpoliti­k als solche zu diffamiere­n.

Das europapoli­tische Kapitel des Regierungs­programms beginnt da etwa mit einem Bekenntnis zur EU – aber auch mit dem Satz, Maßstab „internatio­nalen Handelns sind die Interessen Österreich­s und seiner Bevölkerun­g“. An anderer Stelle liest man, flankiert von einem Bekenntnis zum politische­n Asyl, Einwanderu­ng müsse „am Bedarf Österreich­s“ausgericht­et sein. Das alles sind im Grunde politische Binsenweis­heiten, von denen man allerdings im gesinnungs­ethisch einexerzie­rten Deutschlan­d nur träumen kann. Angesichts dessen wird sich die Merkel-MacronKomb­ination in Europa auf deutlich engere Abstimmung­en zwischen Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei einstellen müssen. Man ist in diesen Ländern durchweg der Ansicht, Einwanderu­ng müsse den eigenen Interessen dienen. Angesichts der neo-imperialen Töne aus Berlin und Paris in der Einwanderu­ngsfrage könnte Europa der sich andeutende­n Donau-Koalition vielleicht noch einmal dankbar sein. Ein großer Irrtum ist es jedenfalls, Sebastian Kurz und die Beweglichk­eit der österreich­ischen Politik zu unterschät­zen. Trotz Betonung der Neutralitä­t im Regierungs­programm ist Österreich etwa der EU-Verteidigu­ngsinitiat­ive Pesco beigetrete­n.

Es ist also möglich, dass Österreich mit Kurz ein politische­s Talent besitzt, das in Deutschlan­d schon lange fehlt.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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