„Ohrfeige für die Bildungspolitik“
Bundesärztekammer kritisiert Bund und Länder – Verstoß gegen Chancengleichheit
Beim Medizinstudium kann nicht jeder zum Zuge kommen. Der Staat muss die Vergabe gerechter regeln, so die Richter in Karlsruhe.
KARLSRUHE – Der Präsident der Bundesärztekammer geht hart mit der Politik ins Gericht, freut sich über die Entscheidung: „Das ist ein gutes Signal. Das Karlsruher Urteil ist eine Ohrfeige für eine kleinstaatliche Bildungspolitik“, lobte Frank Ulrich Montgomery am Dienstag im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und kritisiert vor allem die Bundesländer, aber auch den Bund.
Die Vergabepraxis bei Studienplätzen für Humanmedizin sei teilweise verfassungswidrig und müsse vom Gesetzgeber bis Ende 2019 geändert werden, schrieben die Karlsruher Richter des Ersten Senats Bund und Ländern ins Stammbuch. Der Numerus clausus für das Medizinstudium ist gekippt. Die Auswahl verstoße zum Teil gegen die Chancengleichheit. Die Abiturnote dürfe nicht das einzige Entscheidungskriterium sein,heißtes.
„Die Richter haben jetzt bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dass es in den Bundesländern absolut unterschiedliche Voraussetzungen für den Erwerb des Abiturs gibt. Da ist es höchst problematisch, dieses Abitur zur Voraussetzung für ein Medizinstudium zu machen“, erklärte Ärztekammer-Präsident Montgomery. Kann jetzt jeder Medizin studieren? Ärztekammer-Chef Montgomery winkt ab: „Nein, die Gefahr sehe ich nicht“, sagte er.
Doch könnten die Abiturnoten nicht länger als ausschließliches Kriterium für die Zulassung zum Medizin-Studium dienen. „Wir brauchen nicht nur Nobelpreisträger als
Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land“, erklärt der Mediziner. Schließlich bräuchten Ärzte vor allem auch menschliche, soziale und kommunikative Kompetenzen. Zehn Prozent mehr Studienplätze und bundesweite Assessment Center (Einstellungstests), einheitliche Kriterien für die Vergabe, so die Forderung der Ärztekammer.
„Das Auswahlverfahren ist dringend reformbedürftig, weil es in vielen Punkten weder sachgerecht noch verfassungsgemäß ist. Man kann dem Bundesverfassungsgericht nur dankbar sein, dass es die Dinge so deutlich beim Namen nennt“, lobte auch der Vizechef des Marburger Bundes, Andreas Botzlar, das Urteil. Die Politik habe jetzt einen klaren Arbeitsauftrag, sagte er dieser Zeitung.
Der Karlsruher Auftrag an Bund und Länder: Die Auswahlverfahren und Eignungstests an den Unis müssen künftig vereinheitlicht und in „standardisierter und strukturierter Form“stattfinden, die Wartezeiten auf einen Studienplatz begrenzt werden. Auch müssten Kriterien bei der Vergabe berücksichtigt werden, die nichts mit dem Abi-Durchschnitt zu tun haben, aber für die Eignung zum Mediziners wichtig seien.