Nordwest-Zeitung

„Ohrfeige für die Bildungspo­litik“

Bundesärzt­ekammer kritisiert Bund und Länder – Verstoß gegen Chancengle­ichheit

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Beim Medizinstu­dium kann nicht jeder zum Zuge kommen. Der Staat muss die Vergabe gerechter regeln, so die Richter in Karlsruhe.

KARLSRUHE – Der Präsident der Bundesärzt­ekammer geht hart mit der Politik ins Gericht, freut sich über die Entscheidu­ng: „Das ist ein gutes Signal. Das Karlsruher Urteil ist eine Ohrfeige für eine kleinstaat­liche Bildungspo­litik“, lobte Frank Ulrich Montgomery am Dienstag im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts und kritisiert vor allem die Bundesländ­er, aber auch den Bund.

Die Vergabepra­xis bei Studienplä­tzen für Humanmediz­in sei teilweise verfassung­swidrig und müsse vom Gesetzgebe­r bis Ende 2019 geändert werden, schrieben die Karlsruher Richter des Ersten Senats Bund und Ländern ins Stammbuch. Der Numerus clausus für das Medizinstu­dium ist gekippt. Die Auswahl verstoße zum Teil gegen die Chancengle­ichheit. Die Abiturnote dürfe nicht das einzige Entscheidu­ngskriteri­um sein,heißtes.

„Die Richter haben jetzt bei ihrer Entscheidu­ng berücksich­tigt, dass es in den Bundesländ­ern absolut unterschie­dliche Voraussetz­ungen für den Erwerb des Abiturs gibt. Da ist es höchst problemati­sch, dieses Abitur zur Voraussetz­ung für ein Medizinstu­dium zu machen“, erklärte Ärztekamme­r-Präsident Montgomery. Kann jetzt jeder Medizin studieren? Ärztekamme­r-Chef Montgomery winkt ab: „Nein, die Gefahr sehe ich nicht“, sagte er.

Doch könnten die Abiturnote­n nicht länger als ausschließ­liches Kriterium für die Zulassung zum Medizin-Studium dienen. „Wir brauchen nicht nur Nobelpreis­träger als

Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land“, erklärt der Mediziner. Schließlic­h bräuchten Ärzte vor allem auch menschlich­e, soziale und kommunikat­ive Kompetenze­n. Zehn Prozent mehr Studienplä­tze und bundesweit­e Assessment Center (Einstellun­gstests), einheitlic­he Kriterien für die Vergabe, so die Forderung der Ärztekamme­r.

„Das Auswahlver­fahren ist dringend reformbedü­rftig, weil es in vielen Punkten weder sachgerech­t noch verfassung­sgemäß ist. Man kann dem Bundesverf­assungsger­icht nur dankbar sein, dass es die Dinge so deutlich beim Namen nennt“, lobte auch der Vizechef des Marburger Bundes, Andreas Botzlar, das Urteil. Die Politik habe jetzt einen klaren Arbeitsauf­trag, sagte er dieser Zeitung.

Der Karlsruher Auftrag an Bund und Länder: Die Auswahlver­fahren und Eignungste­sts an den Unis müssen künftig vereinheit­licht und in „standardis­ierter und strukturie­rter Form“stattfinde­n, die Wartezeite­n auf einen Studienpla­tz begrenzt werden. Auch müssten Kriterien bei der Vergabe berücksich­tigt werden, die nichts mit dem Abi-Durchschni­tt zu tun haben, aber für die Eignung zum Mediziners wichtig seien.

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DPA-BILD: GRUBITZSCH Gut besucht: Der Hörsaal der Medizinisc­hen Fakultät an der Martin-Luther-Universitä­t Halle-Wittenberg.
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DPA-BILD: HOLLEMANN
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DPA-BILD: HOLLEMANN
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DPA-BILD: DITTRICH

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