Nordwest-Zeitung

„Sie haben aus dem Dreck gefressen“

Margot 7chwarz ;8erle8te Konzentrat­ionslager in Auschwitz

- VON CHRHSTOCHE­R HANRAETS Mehr Hnfos Anter 666.gr5eschler­haus.eu

Aor genau 75 Jahren trat der sogenannte „Auschwitz-Erlass“in Kraft. Er war der Anfang von der Ermordung tausender 7inti und Roma. Auch eine Familie aus Bohlen8erg­e wurde de9ortiert.

Sas Schreiben, mit dem der Familie Franz ein Ende gesetzt werden sollte, ist gerade mal drei Sätze lang: „Auf Befehl des Reichsführ­ers SS vom 16.12.42 – Tgb. Nr. I 2652/42 Ad./RF/V. – sind Zigeunermi­schlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblü­tige Angehörige zigeuneris­cher Sippen balkanisch­er Herkunft nach bestimmten Richtlinie­n auszuwähle­n und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrat­ionslager einzuweise­n. Dieser Personenkr­eis wird im nachstehen­den kurz als ‘zigeuneris­che Personen’ bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlings­grad familienwe­ise in das Konzentrat­ionslager (Zigeunerla­ger) Auschwitz.“So stand es im sogenannte­n „Auschwitz-Erlass“von Heinrich Himmler. Margot Anita Schwarz, geb. Franz, überlebte das Konzentrat­ionslager. Mit Ausnahme ihrer Brüder Anton und Erwin wurde ihre ganze Familie ausgelösch­t.

Die Familie Franz war eine Schaustell­erfamilie, die zu Beginn des Krieges in Wilhelmsha­ven lebte. Sie gehörten den Sinti an. Weil Wilhelmsha­ven im Krieg angegriffe­n wurde, zog die Familie 1939 nach Bohlenberg­e um. Dort, im kleinen Dorf, wähnte sie sich in Sicherheit. Der Vater arbeitete in der Kiesgrube, der Bruder bei einem Bauern, Margot Schwarz fing in der Schuhfabri­k in Varel an.

„Und dann wurde mein Vater zum Militär eingezogen“, erzählte Margot Schwarz 1992. Und kaum war der Vater in Frankreich, stand die Polizei in Bohlenberg­e vor der Tür der Familie. „Alles einpacken und mitkommen. Ihr werdet angesiedel­t im Osten“, habe es da geheißen. „Wir mussten unsere Sachen zusammen packen, weil sie ja mit Gewehr vor uns standen“, sagte Margot Schwarz.

Es ging nach Bremen in ein Sammellage­r. Dort traf die Familie auch den Vater wieder. „Da waren wir nur zwei Nächte, dann sind wir auf Transport gekommen, nach Auschwitz, zusammenge­pfercht in den Waggons.“Zu essen und zu trinken gab es nichts.

Angst hatte Margot Schwarz damals nicht. Im Gegenteil. Sie war sogar hoffnungsv­oll: „Ich war jung, war damals 18 Jahre alt und habe mir keine Vorstellun­g gemacht von Auschwitz. Wir Kinder haben auch gesungen und gelacht unterwegs, wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt. Wir haben gedacht,

uns geht es gut, wenn wir dahin kommen.“In Auschwitz angekommen gingen sie unterdemTo­rbogenmitd­em Schriftzug „Arbeit macht frei“durch. „Naja, haben wir gedacht, arbeiten ist ja nicht schlimm, wir können ja arbeiten. Wir waren jung und kräftig.“

Erst als sie nach Birkenau ins Zigeunerla­ger kam und das Krematoriu­m sah, bekam sie eine Ahnung von dem, was ihnen bevorstand. Nach der ersten Nacht in einem alten Pferdestal­l konnte „unsere Mutter die Läuse von uns nur so abschippen“. Zu essen gab es für die Gefangenen kaum

etwas: „Dann kriegte jeder von uns fünf Pellkartof­feln, davon waren drei schlecht. Und die ersten paar Tage hatten wir auch noch gar nicht so einen großen Hunger. Wir hatten ja noch was am Körper. Deshalb haben wir die Kartoffeln noch abgepellt, was wir nachher überhaupt nicht mehr gemacht haben. Ich habe die Schalen rausgeschm­issen, da sind die Juden über die Schalen hergefalle­n. Sie lagen in Kot, in Dreck, und haben sie aus dem Dreck heraus gefressen.“

Nach wenigen Tagen kam die Familie in den MilitärBlo­ck, weil Margot Schwarz’ Vater Soldat war. Kurz darauf starb als erste ihre kleine Schwester. Sie war keine fünf Jahre alt.

Auch Margot Schwarz’ Mutter wurde krank. Sie konnte nicht mehr aufstehen und zur Arbeit antreten. Die SS-Leute schlugen sie mit ihren Gewehren zu Tode. Als die Tochter dazwischen gehen wollte, wurde sie bewusstlos geprügelt. In den offizielle­n Unterlagen wird als Todesursac­he eine „Nierenentz­ündung“genannt.

Der Familienva­ter kam in den Krankenbau. Besucht werden durften die Kranken dort nicht. „Ich habe mich aber doch reingeschl­ichen, er war tot. Er hatte den Mund auf und ich dachte, was hat er da für Schwarzes im Mund? Und ich bin nah rangegange­n, da kamen viele kleine Fliegen heraus. Jetzt war ich mit meinen Geschwiste­rn alleine.“Aber auch ihre Geschwiste­r starben einer nach dem anderen.

Schließlic­h wurde Margot Schwarz wieder in einen Zug verfrachte­t. Es ging ins Durchgangs­lager Ravensbrüc­k, von dort weiter nach Flossenbür­g, wo sie in einer Munitionsf­abrik arbeiten musste. Ihre übrigen beiden Geschwiste­r blieben in Auschwitz.

Der Krieg neigte sich dem Ende zu: „Als es brenzlig wurde, haben sie uns alle aus dem Arbeitslag­er rausgenomm­en und wollten uns nach Flossenbür­g bringen zur Vernichtun­g. Aber das haben sie nicht mehr geschafft, weil der Amerikaner sie überrascht hat.“Das war am 24. April 1945.

Margot Schwarz konnte sich aber schon beim Todesmarsc­h absetzen und unter die Flüchtling­e mischen. Nach der Befreiung machte sie sich zu Fuß auf den Weg nach Oldenburg. Im heutigen Ziegelhofv­iertel lernte sie Friedrich Schwarz kennen, den sie 1946 heiratete. Das Ehepaar zog in den 1950er Jahren wieder in den Landkreis Friesland.

Von ihren überlebend­en Brüdern wusste sie da noch nichts. Dass Anton und Erwin noch am Leben waren, erfuhr sie erst Jahrzehnte später.

2002 – 60 Jahre nach Himmlers „Auschwitz-Erlass“– starb Margot Schwarz in Oldenburg.

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BHLD: JENS WOLF Das TorhaAs des früheren VernichtAn­gslagers AAschwitz-BirkenaA
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BHLD: ARCHHV Friedrich Schwarz And Margot Schwarz lieJen sich Am 1KGE in Häftlingsk­leidAng fotografie­ren.

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