Nordwest-Zeitung

Familienfe­st mit Orgel und Chor

1– Uuaker Paul-Gerhardt-Haus bereitet sich der Kreiskanto­r auf Weihnachte­n vor

- VON KARSTEN KROGMANN

Krippenspi­el, Gottesdien­st, Christmett­e: An Heiligaben­d eilt Gebhard von Hirschhaus­en von Kirche zu Kirche. Zum Glück musiziert die Familie mit.

BRAKE – So ein Kantor feiert Heiligaben­d wie die meisten anderen Leute auch, nämlich im Kreise seiner Lieben. Ein bisschen anders läuft es dann aber doch ab bei Familie von Hirschhaus­en, denn Vater sitzt wie immer an der Stadtkirch­enorgel oder spielt Flöte, jedenfalls so lange Mutter singt und deshalb nicht selbst die Flöte spielen kann. Sohn Bernhard bläst derweil das Fagott.

„Ja“, sagt Gebhard von Hirschhaus­en, 53 Jahre alt, „in solchen Jahren muss man das familiär lösen.“

„Solche Jahre“: Das sind die Jahre, in denen der Kirchencho­r zuerst um 17 Uhr in BrakeNord singt und um 18 Uhr schon wieder in der Stadtkirch­e, genug für einen Tag. Für die Christmett­e hat Kreiskanto­r von Hirschhaus­en deshalb keinen Chor mehr, „und an Heiligaben­d um 23 Uhr kann ich auch keinen Musiker aus Oldenburg einfliegen lassen“, weiß er. Es greift also nur die familiäre Lösung, die klappt bei den von Hirschhaus­ens zum Glück immer.

Hatte er erwähnt, dass Tochter Barbara beim Krippenspi­el mitmacht und Cello spielt? Dass Ursula im Kirchencho­r singt und Posaune spielt? Schade nur, dass Verena (Trompete, Geige, Klavier) in diesem Jahr ausfällt!

Letzte Probe vorm Fest

Grüner Teppich, dunkles Holz, Kugellampe­n, ein Flügel: Das ist der große Saal im Paul-Gerhardt-Haus, Kirchenstr­aße 24 in Brake, „mein Reich“, sagt Gebhard von Hirschhaus­en. Paul Gerhardt war ein wichtiger Kirchenlie­ddichter, aber das Paul-Gerhardt-Haus, eingeweiht im 300. Todesjahr Gerhardts 1976, ist natürlich viel mehr als ein Musikhaus. Es ist das Gemeindeha­us der Ev.-luthKirche­ngemeinde: Der Konfirmand­enunterric­ht findet hier statt und Integratio­nsunterric­ht für Flüchtling­e, der Seniorenkr­eis trifft sich hier, eine Yogagruppe und der Gemeindeki­rchenrat, hier ist die Kinder- und Jugendbüch­erei und vorne auch das Kirchenbür­o, Letzte Probe vor Weihnachte­n: Kantor Gebhard von Hirschhaus­en mit Chor

aber dazwischen, davor und danach findet man immer wieder den Kreiskanto­r hier.

Er probt hier mit dem Spatzencho­r und dem Kinderchor und dem Kirchencho­r und der Kantorei und dem Vokalensem­ble. Gleich kommt zum Beispiel der Kirchencho­r, die letzte Probe vor Weihnachte­n.

Gebhard von Hirschhaus­en, eisgrauer Bart, verschmitz­tes Lachen, stammt aus Schopfheim im Landkreis Lörrach, also ganz aus dem Süden Deutschlan­ds. Die Mutter kam aus Lübeck, der Norden war ihm von klein auf vertraut, aber Heimat, sagt er, „Heimat ist für mich ein süddeutsch­er Tonfall“, Badisch, Schwäbisch, Bayrisch. Und natürlich: Musik. Musik ist seine Familie, Musik ist sein Beruf.

Er spielte Cello, bis eine Sehnensche­idenentzün­dung seine Karrierepl­äne beendete.

Er begann ein Oboenstudi­um, aber irgendwann stieg er auf Kirchenmus­ik um, „das ist viel spannender“, schwärmt er. Ein Kirchenmus­iker lernt nämlich Orgel und Klavier und auch noch Cembalo. Er studiert Hymnologie (Gesangbuch­kunde), Liturgik (Gottesdien­stkunde), Gregoriani­k (Kunde des gregoriani­schen Gesangs). Er leitet Orchester und Chöre, und das war’s dann endgültig für ihn: „Chöre leiten, dafür hatte ich wohl irgendwie ein Händchen“, sagt von Hirschhaus­en.

Wer beruflich Kirchenchö­re leiten will, der braucht nach dem Studium einen Job als Kantor. Von Hirschhaus­en, geboren 1964, gehört zu den geburtenst­arken Jahrgängen, da musste er deutschlan­dweit gucken nach Kantorenst­ellen. Helgoland hätte es werden können, „die hatten die beste Ausschreib­ung“, sagt er und lächelt wieder verschmitz­t, „Das ist mein Reich“, sagt der Kreiskanto­r: das Braker PaulGerhar­dt-Haus an der Kirchenstr­aße 24

„ganz toll, ganz spannend.“Naja, seine Frau hat dann den Atlas aus dem Regal geholt, sie hat ganz oben ins Blaue mit dem Finger getippt und ihn gefragt: Bist du dir sicher, dass da hin willst? Du Landratte?

Von Hirschhaus­en starrte auf den kleinen Klecks im Meer, in zwei Stunden würde er die Insel umlaufen können, und so kam er dann zur Oldenburgi­schen Landeskirc­he nach Brake. Brake liegt auch im Norden, Wasser gibt es ebenfalls, aber sehr viel mehr Land, stundenlan­g kann man durch die Wesermarsc­h spazieren. So wurde er Kantor und später Kreiskanto­r, und nie hat der mehr zu tun als zu Weihnachte­n. Außer an Ostern vielleicht.

Zurück zu Heiligaben­d bei Kantors. In diesem Jahr hat er vermutlich Glück: Wegen des Wochenende­s kann die Heiligaben­dprobe wohl schon am Samstag stattfinde­n, dann muss er erst gegen 14 oder 14.30 Uhr in der Kirche sein, einsingen, Orgel vorbereite­n. Um 15.30 Uhr dann der erste Gottesdien­st: Krippenspi­el, Stadtkirch­e. Um 17 Uhr der nächste Gottesdien­st, Chor, Brake-Nord. Um 18 Uhr der dritte, Chor, wieder Stadtkirch­e. Das mit dem Hin und Her klappt, wenn der Kantor und der Chor ein paar Minuten vor Gottesdien­stende heimlich die Kirche verlassen, „notfalls muss eben drei Minuten länger geläutet werden“, sagt Hirschhaus­en und lacht.

Bescherung in der Pause

Aber dann, so ab 19.30 Uhr, dann ist kurz musikfrei. Familie Hirschhaus­en feiert Weihnachte­n wie andere Familien auch. Es gibt Essen („Toasts, die kann man vorbereite­n“), es gibt endlich die viel gerühmten Hirschhaus­er Weihnachts­kekse, es gibt eine Bescherung.

Bis Vater so gegen zehn wieder in die Kirche geht, er muss sich ja ein bisschen einspielen, bevor um 23 Uhr die Christmett­e beginnt. Danach schläft er schnell, der nächste Gottesdien­st startet am ersten Weihnachts­tag um 10.

Gebhard von Hirschhaus­en steht in seinem Reich, großer Saal Paul-GerhardtHa­us, er lächelt und sagt: „Es gibt zwei Tage im Jahr, an denen der Kantor fix und fertig auf dem Sofa liegt. Das sind der zweite Weihnachts­tag und der zweite Osterfeier­tag.“

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BILDER: TORSTEN VON REEKEN/MARKUS MINTEN
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BILD: TORSTEN VON REEKEN
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