Nordwest-Zeitung

Voller Dank für ein bewegendes Jahr

7ie sich der Alltag der Familie Politz aus Hahn-Lehmden unverhofft verändert hat

- VON FRANK JACOB

Die Zwillinge der Familie sind schwer beeinträch­tigt und fast rund um die Uhr auf Unterstütz­ung angewiesen. Dank großzügige­r Spender gestalten sich einige Abläufe jetzt weniger beschwerli­ch.

HAHN-LEHMDEN – Es sieht noch ein wenig nach Baustelle aus im Haus von Familie Politz in Hahn-Lehmden. Hier und da liegen Werkzeuge auf dem Boden, es riecht nach frischer Farbe. „Der größte Teil ist geschafft. Wir hoffen, dass wir dieses Jahr noch fertig werden“, sagt Familienva­ter Nico (35) und Ehefrau Meike (48) ergänzt: „Es hat sich eine ganze Menge getan bei uns.“

Vor einem Jahr berichtete die über den schweren Alltag der Familie Politz. Meike und Nico haben Zwillinge, die 2009 mehr als drei Monate zu früh zur Welt kamen: Marten und Lasse. Beide sind schwer beeinträch­tigt und auf Unterstütz­ung angewiesen.

Erst seit etwas mehr als zwei Jahren kann Marten alleine auf seinen Füßen stehen. Wegen einer Spastik im rechten Bein kann er sich nicht normal bewegen. Zudem fehlt ihm im Freien der Gleichgewi­chtssinn, die Feinmotori­k in der Hand ist gestört und er hat Probleme bei der räumlichen Wahrnehmun­g. Aber: „Er wird mutiger mit dem Laufen“, freut sich Vater Nico über die Therapiefo­rtschritte. Im Freien ohne Hilfe wieder aufstehen, wenn er gefallen ist, das kann Marten jedoch noch nicht.

Im Körper gefangen

Sein Zwillingsb­ruder Lasse ist mehrfach schwerstbe­hindert. Er kann nicht sprechen, laufen, stehen oder sitzen, ist in seinem Körper gefangen. Nach der Geburt wurde er zwei Jahre lang künstlich mit Sauerstoff versorgt. Doch Lasse versteht, was um ihn herum passiert, reagiert darauf mit Lauten. Wenn er vertraute Wörter hört, leuchten seine Augen und er lacht.

Zurzeit bekommt Lasse eine Spezialnah­rung direkt in den Magen gepumpt. Ärzte hatten bei ihm eine Transports­törung festgestel­lt. „Das Essen blieb unverdaut in der Speiseröhr­e hängen“, erklärt Vater Nico Politz.

Arztbesuch­e bei Spezialist­en in Hamburg, Hannover oder Berlin stehen bei der Familie regelmäßig im Kalender. Aber auch die kleinen Dinge des Alltags, vom Einkaufen bis zum Besuch bei Freunden, lassen sich nicht mal eben so organisier­en.

Seit diesem Frühjahr ist zumindest das Fahren ein wenig einfacher geworden. Als die

über das Leben der Familie Dankbar für die große Hilfsberei­tschaft: Nico und Meike Politz mit Marten (li.) und Lasse sowie Familienhu­nd Leni Rückblick: So berichtete die im Dezember 2016 über den schweren Alltag der Familie Politz, die damals auf ein behinderte­ngerechtes Fahrzeug hoffte.

Politz berichtete, fuhren Meike und Nico noch einen 14 Jahre alten Opel Vivaro, der für den Transport von zwei Rollstühle­n, auf die die Kinder angewiesen sind, nicht geeignet war und zudem nicht immer ansprang.

Die Familie versuchte deshalb, mit Hilfe des Landkreise­s, von Stiftungen und einer Spendenakt­ion beim Verein „Mobil mit Behinderun­g“ein behinderte­ngerechtes Fahrzeug zu bekommen. Denn, so betonen es die Eltern: „Wir sind eine normal verdienend­e Familie, haben aber viele Zusatzkost­en.“Vater Nico arbeitet beim Chemieunte­rnehmen Büfa im Schichtdie­nst, Mutter Meike ist geringfügi­g im Einzelhand­el beschäftig­t.

Nach der Berichters­tattung in der ging plötzlich alles Das neue Fahrzeug: Mit Hilfe einer Rampe können die Rollstühle nun in das Auto geschoben werden.

ganz schnell. Familie Politz erfuhr eine riesige Welle der Hilfsberei­tschaft. Bereits im Februar konnte sie den Auftrag für ein behinderte­ngerecht umgebautes Auto erteilen, das immerhin mehr als 30 000 Euro kostete. Und einige Wochen später stand das praktische Fahrzeug tatsächlic­h in Hahn-Lehmden. „Damit hatte keiner gerechnet“, sagt Meike Politz. Die Hilfsberei­tschaft der Menschen sei einfach toll gewesen.

„Vieles ist jetzt einfacher geworden“, sagt die Mutter. Oder überhaupt erst möglich geworden. Im Frühjahr musste Marten ins Krankenhau­s, wo er eine Achillesse­hnenverlän­gerung bekam. Dadurch soll sein Gleichgewi­chtssinn verbessert werden. Transporti­ert werden musste der Junge

mit hochgelegt­em Bein. „Das wäre mit dem alten Wagen nicht möglich gewesen“, berichtet Meike Politz. Der Ford Transit Custom bot dafür nun ausreichen­d Raum.

Eine deutlich spürbare Erleichter­ung für die Eltern ist aber vor allem, dass sie die Kinder in ihren Rollstühle­n nun über eine Rampe in das Auto schieben können. „In das alte Auto habe ich den Rollstuhl nie alleine reinbekomm­en. Ich brauchte immer eine zweite Person“, schildert Meike Politz.

Über noch mehr neu gewonnene Mobilität konnte sich die Familie im Spätsommer freuen. Der Spielmanns­und Fanfarenzu­g Hahn-Nethen, bei dem Marten mitspielt, hatte ein Benefizkon­zert mit dem Polizeiorc­hester Mehr Mobilität: Dank des Spielmanns- und Fanfarenzu­ges konnte Familie Politz ein Spezialfah­rrad kaufen.

organisier­t. Den Erlös spendete der Verein der Familie Politz, die damit ein Spezialfah­rrad kaufen konnte, das wie ein Bakfiets funktionie­rt – das in den Niederland­en beliebte Lastenrad – und mit dem ebenfalls ein Rollstuhl transporti­ert werden kann.

„Die ersten kleinen Touren haben wir bereits gemacht“, berichtet Nico Politz. Marten kann auf einem speziellen Therapie-Trike fahren, dessen Kosten zum Teil von der Krankenkas­se getragen werden. Und Lasse kann in seinem Rollstuhl in der Transportv­orrichtung des Spezialfah­rrades dabei sein.

Viel Arbeit steckte Familie Politz in diesem Jahr in ihr Haus. Am Hauseingan­g gibt es jetzt eine Rampe, um die Rollstühle nicht mehr reintragen zu müssen, sondern um sie reinschieb­en zu können. Und das größte Projekt nähert sich nun dem Abschluss. „Wir haben einen Durchbruch zur Einliegerw­ohnung nebenan geschaffen“, berichtet Meike Politz und Ehemann Nico sagt: „Da bekommt Lasse sein eigenes Reich.“

Ein eigenes kleines Reich

Bislang befand sich Lasses Schlafzimm­er im Obergescho­ss, ihn ins Bett zu bringen war mit großem Kraftaufwa­nd verbunden. Jetzt ist alles ebenerdig zu erreichen. Ein ganzer Raum wird alleine benötigt, um die Spezialnah­rung und Medikament­e aufzubewah­ren, auf die der Junge angewiesen ist. Gegenüber liegen ein Badezimmer und der Therapiera­um, in dem bald auch Lasses Pflegebett stehen soll. „Der Aufbau muss aber noch vom Sanitätsha­us abgenommen werden“, erklärt Vater Nico.

Bisher waren die Umbauten, die Familie Politz im Haus vornehmen musste, vor allem praktische­r Natur gewesen. Mal wurden Türen verbreiter­t, mal die kleinen Fliesen im Wohnzimmer ersetzt, damit die Räder des Therapiest­uhls nicht hängen bleiben.

Der Durchbruch und der dadurch neu gestaltete Wohnund Essbereich mit Lasses angegliede­rtem Reich sind aber nicht länger nur praktisch, sondern auch gemütlich und schön geworden. „Darauf sind wir sehr stolz“, sagt Mutter Meike.

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BILD: JACOB
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BILD: ULF MIDDENDORF
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BILD: ARCHIV9JAC­OB
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