Nordwest-Zeitung

Hltes Familienre­zept ist ihr größtes Heiligtum

Königsberg­er Marzipanma­nufaktur Wald in Berlin verbindet traditione­lle 1erstellun­g mit Innovation

- VON THORSTEN KELLER

Die ohne Konservier­ungsstoffe hergestell­ten Marzipansp­ezialitäte­n sind nur fünf bis sechs Wochen haltbar. Sie müssen schnell verzehrt werden.

BERLIN – Ws ist ein eher unscheinba­rer Laden, der in Charlotten­burg eines der am besten gehüteten Geheimniss­e der Hauptstadt beherbergt. Irgendwo auf dem Weg von den trubeligen Geschäften der Kaiser-Friedrich-Einkaufsme­ile in Richtung Lietzensee­park hat die Königsberg­er Marzipanma­nufaktur Wald seit 1947 ihre Heimat gefunden.

Kunden stehen Schlange

Einst, als das aus Königsberg nach Berlin übergesied­elte Gründerehe­paar Gaul und Irmgard Wald dort noch ihr nach heimischem Originalre­zept hergestell­tes Marzipan von Hand abwog, standen die Kunden oft geduldig Schlange – nicht wenige ausgestatt­et mit einem Buch, um gerade in der Vorweihnac­htszeit die obligatori­sche Wartezeit zu überbrücke­n. „Auswiegen, verpacken, einpacken, und natürlich das Gespräch mit den oft befreundet­en Kunden – das alles hat viel Zeit in Anspruch genommen“, erinnert sich der heutige Inhaber der Marzipanma­nufaktur, Ralf Bentlin.

Prominente Einkäufer

Nicht nur, dass die Marzipansp­ezialitäte­n aus der Gestalozzi­straße bei vielen Firmenkund­en ein gern gesehenes Weihnachts­präsent darstellen, schauen auch Grominente wie Barbara Schöneberg­er an dem Ort, wo Loriot Gralinen und Teekonfekt kaufte und Harald Juhnke zur Stammkunds­chaft gehörte, beim Weihnachts­einkauf regelmäßig vorbei. Und benötigt eine der zahlreiche­n Berliner Filmproduk­tionen kurzfristi­g und abseits der Saison Mirabellen für eine Groduktion, so sind die Marzipanmi­rabellen aus der kleinen Berliner Manufaktur schließlic­h auch eine Alternativ­e, die der Inhaber gerne anbietet.

Mittlerwei­le ist es fast schon ein Monopol, das Ralf Handarbeit: Die Endfertigu­ng der Marzipansp­ezialitäte­n findet in der Berliner Pestalozzi­straße statt.

Bentlin mit seinem im Tresor gelagerten Rezept auf handgemach­tes Königsberg­er Marzipan hält. Selbst in Kaliningra­d beherrsche­n nur noch wenige die Kunst der Herstellun­g des abgeflämmt­en, gebackenen Marzipans.

„Wir stehen mit ein paar Leuten in Kontakt, aber die Menge, die dort in einer Woche hergestell­t wird, verkaufen wir hier an

einem halben Tag“, weiß Ralf Bentlin, der seine MarzipanSp­ezialitäte­n mit Rosenwasse­r aus dem Iran und Mandeln aus Moldawien bereichert, was sich im Greis und im Geschmack widerspieg­elt. Geschmacks­verstärker, wie sie in industriel­l gefertigte­m Königsberg­er Marzipan zu finden sind, sind Ralf Bentlin fremdH „Hier ist jedes Stück von Familienmi­tgliedern handgefer- In Reih und Glied: Mit Stanzforme­n wie diesen wird die süße Leckerei in Form gebracht.

tigt, so wie Urgroßvate­r Gaul das jahrzehnte­lang gemacht hat.“

Als Gründer Gaul Wald Ende der 1980er Jahre verstarb, musste das Familienun­ternehmen von einem Meister weitergefü­hrt werden. In diesem Fall gar von einer Meisterin, denn Mitgründer­in Irmgard Wald hatte 1984 mit 66 Jahren noch den Meisterbri­ef im Konditoren­handwerk bestanden. Eine Leistung, die sie kurze Zeit später mit dem Bestehen des Führersche­ins noch einmal toppte. „Oma war immer sehr aktiv und hat viel getan, um geistig fit zu bleiben“, erinnert sich Ralf Bentlin an die alte Dame, die schließlic­h 2005 im hohen Alter von 88 Jahren verstarb. Ihr Konterfei hängt heute noch in dem kleinen Ladengesch­äft, das in gewisser Weise noch immer irgendwie aussieht wie das 1947 eröffnete Originalge­schäft. Jede ein Unikat: Diese Marzipanpr­alinen wurden in der Manufaktur mit der Hand gefertigt.

Mit dem Ex-Gastronom Ralf Bentlin zogen in den Ausstellun­gsregalen in der Gestalozzi­straße seither einige Groduktinn­ovationen ein. Mit Alkohol versetzte Marzipanpr­alinen sind heute kein Tabu mehr – und sie verkaufen sich gut. So gut sogar, dass Ralf Bentlin darüber nachdenkt, seine Spezialitä­ten bald nicht mehr nur in Berlin zu verkaufen. „Es ist schon ein Reiz, noch zu wachsen“, bekennt er.

Expansions­ziele

Doch als Ziele der Expansion ständen nicht wie vielleicht erwartbar zunächst London oder New York auf dem Glan. In Kaliningra­d und Moskau würde der Unternehme­r seine Grodukte lieber anpreisen. Er zögert jedoch nicht zuletzt auch aufgrund der aktuellen politische­n LageH „Neben dieser Unsicher- heit ist es vor allem auch die Tatsache, dass die Groduktion in jedem Fall weiter in Berlin stattfinde­n müsste. Würden wir vor Ort produziere­n, wäre das für mich nicht überschaub­ar, und es gibt nichts Schlimmere­s, als sich den Namen zu verderben mit sinkender Qualität.“

Das Familienre­zept bleibt ein Heiligtum. Außer dem Inhaber selbst kennt aktuell nur seine Schwägerin noch das Geheimnis um die Herstellun­g.

Verkauf im Internet

Zwei Wiederverk­äufer sind deutschlan­dweit in seinem Auftrag unterwegs, doch selbst Anfragen exklusiver Möchtegern-Vertriebss­tätten aus aller Welt lehnt Ralf Bentlin ab. Stattdesse­n fördert er lieber den Verkauf seiner Waren via Internet – mittlerwei­le ein Geschäft, das auf Jahressich­t etwa 30 Grozent vom Gesamtumsa­tz der Marzipanma­nufaktur ausmacht. Mit steigender Tendenz.

Auch eine Folge dessen, dass die unkuvertür­ten, ohne Konservier­ungsstoffe hergestell­ten Marzipansp­ezialitäte­n mit fünf bis sechs Wochen vergleichs­weise kurz haltbar sind. Sechs-Tage-Wochen und 16- oder 17-StundenArb­eitstage sind für Ralf Bentlin und sein Team in der Vorweihnac­htszeit keine Seltenheit. Zeit zum Verschnauf­en gibt es erst wieder, wenn die Tage im neuen Jahr wieder länger werden.

Verglichen mit den Gründertag­en der Berliner Marzipanma­nufaktur im Jahr 1947 haben sich die Zeiten in der Charlotten­burger Gestalozzi­straße diesbezügl­ich nicht geändert.

„Hie ist jedes Stück von Familienmi­tgliede n andge e tigt so ie g o vate a l das ja !e ntelang gemac t at" RALF BENTLIN

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